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Lebendige realistische Literatur

  • Donnerstag, 17. November 2011 @ 10:02
Aktionen Von Alexander Weiss

Am Karfreitag 1970 traten in Deutschland aus der (neben dem PEN damals wichtigsten Schriftstellerorganisation) „Gruppe 61“ die Autoren Max v. d. Grün und Erika Runge aus und gründeten den „Werkkreis Literatur der Arbeitswelt“. Wie auch in Österreich, hatte die realistische Literatur bei der neuen Schriftstellergeneration etwas „Anrüchiges“ an sich: Eine Dichtung, zwischen der Blut und Boden-Glorifizierung der Nazi einerseits und den Leitartikeln von tagespolitischen Leitartikeln in kommunistischen Zentralorganen in Versmaß gedichtet andererseits.

Wesentlich von der 68er-Bewegung beeinflusst, besann sich eine neue Generation von Schreibenden den revolutionären Wurzeln der Arbeiterliteratur und forderte – schreibend – eine neue, andere Darstellung der gesellschaftlichen Wirklichkeit in der Literatur ein.

Dass sich die Werkkreis-Bewegung so erfolgreich entwickeln konnte (fast in jeder größeren BRD-Stadt entstanden Schreibwerkstätten) war zweifellos damit verbunden, dass sie bei Fischertaschenbuch eine eigene Reihe herausgegeben konnte, deren Titel in hohen Auflagen vertrieben wurden.

In Österreich entstanden Ende der 70er-Jahre Werkstätten in Wien und Graz. Während es in der Steiermark eine gute Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft und Arbeiterkammer gab, und sich dort viele Werktätige engagierten (etwa die Arbeiterschriftsteller Erich Zwirner und Friedrich Kürbisch), war die Wiener Werkstatt zunächst vor allem von älteren Autoren geprägt, die autobiographisch ihre Erlebnisse im Kampf gegen den Faschismus aufarbeiteten.

Alfred Hirschenberger publizierte die ersten Bücher, Hans Magschok brachte im Böhlau-Verlag seine Erinnerungen „Rote Spieler – Blaue Blusen“ heraus. Ein wichtiger Mentor der Wiener Werkstätte war Herbert Exenberger vom DÖW. Obwohl die Mehrheit der Werkstatt-Mitglieder in Wien auch Mitglieder der SPÖ waren, verlor sie nie den Ruf, eine „kommunistische Organisation“ zu sein, und erhielt daher nie öffentliche Förderungen.

Dennoch erlebte die Literatur der Arbeitswelt Mitte der 70er-Jahre einen beachtlichen Aufschwung: Michael Scharang schrieb den Roman „Charly Traktor“, Elfriede Jelineks Frühwerk war Arbeiterliteratur vom Feinsten, ebenso die Romane von Gernot Wolfgruber und Franz Innerhofer, Helmuth Zenkers erster Roman „Wer hier die Fremden sind“ war ebenso Arbeiterliteratur wie die ersten Publikationen von Gustav Ernst und Ernst Hinterberger, Arthur West publizierte( spät) sein lyrisches Werk, Peter Turrini und Wilhelm Pevny schrieben die Fernsehserien „Alpensaga“ und die „Arbeiter-Saga“. Die AK Oberösterreich stiftete den Max von der Grün-Preis Literatur der Arbeitswelt – die besten Wettbewerbsergebnisse wurden in einer Buchreihe des Europa-Verlages publiziert.

Die Literaturzeitschriften Wespennest und Frischfleisch & Löwenmaul (aber auch andere) waren wichtige Förderinnen der (realistischen) Arbeiterliteratur. Parallel dazu entwickelte sich - vom ORF kaum beachtet - die Liedermacherbewegung: Sigi Maron, Fritz Nussböck, Erich Demmer, Kurti Winterstein, Heli Deinbök, Rudi Burda und viele andere: Sie schufen neue Formen des (entkitschten) Arbeiterliedes.

Mitte der 80er-Jahre wurde die Buchreihe im Fischer-Verlag leider eingestellt. Der „Werkkreis Literatur der Arbeitswelt“ verschwand aus der öffentlichen Wahrnehmung. Auch die österreichischen Werkstätten stellten allmählich ihre Tätigkeit ein.

Doch einige wenige hielten in Deutschland die Werkkreis-Bewegung in etwa einem Dutzend Städten aufrecht, gaben die Literaturzeitschrift „TARANTEL – Literatur der Arbeitswelt“ zwei Mal im Jahr heraus, und ab 2006 wurde auch in Wien eine Werkkreis-Werkstatt neu gegründet. Seit 2009 wird die TARANTEL von Wien aus redigiert und nun monatlich herausgegeben (Abonnement 40 Euro). Seit zwei Jahren erscheint auch die kleine Buchreihe „edition tarantel“.

Die Gruppe trifft sich jeden Mittwoch zum Stammtisch im Gasthaus Sudy, Schüttelstraße 5, 1020 Wien. Weitere Informationen unter tarantel-wien@gmx.at oder TARANTEL, p.A. Gerald Grassl, Vivariumstraße 8/4/18, 1020 Wien.

Alexander Weiss ist Aktivist der Werkstatt Wien des Werkkreises Literatur der Arbeitswelt