Auf zur Vertafelung der Gesellschaft?
- Montag, 7. November 2011 @ 11:32
Von Martin Mair
Am 18. August übernahm der Verein „Wiener Tafel“ vom REWE-Konzern 10.000 Sets Körperpflegeprodukte seiner Billiglinie. Arme und Arbeitslose könnten sich keine Körperpflege leisten, wird suggeriert, und dies bedeute, so „Wiener Tafel“-Obmann und Sozialarbeiter Martin Haiderer, ‚nicht teilhaben können am gesellschaftlichen Leben’ und ‚kaum Chancen am Arbeitsmarkt’ haben“. Dass ausgerechnet jener Konzern, der gerade wegen systematischer Einstufung von KassierInnen in zu niedrige Gehaltsklassen von der Gewerkschaft gpa-djp vor Gericht gezerrt wurde, nun mit der Spende sich ein soziales Mäntelchen umhängt, lässt auf einen billigen Marketinggag im Sommerloch vermuten.
Den Gipfel der Frechheit war der Aufruf an die Bevölkerung, (im Einzelhandel gekaufte) Körperpflegeprodukte und Waschmittel in den (wenigen) MyPlace-SelfStorage-Filialen abzugeben, für die „Stinker“ sozusagen. Das beseitigt Ursachen der Armut genauso wenig wie damals Socken Stricken für Wehrmachtssoldaten den Zweiten Weltkrieg.
Paternalistische Hilfsorganisationen stützen das System
Auf Kritik hin meint die Wiener Tafel gar, sie helfe den Menschen durch „ausschließliche Kooperation mit professionellen Sozialeinrichtungen, die ihren KlientInnen mit gezielten Begleitangeboten wie beispielsweise Schuldnerberatung, psychosoziale Betreuung und anderen die Möglichkeit geben, ihre Lebenssituation zu stabilisieren und eigenständig zu leben.“
Das entspricht genau dem neoliberalen Dogma der „Wiedereingliederung“: Jene, die von der Wirtschaft hinaus geboxt wurden, sollen immer wieder noch mehr darum kämpfen, sich in den „Arbeitsmarkt“ zu „integrieren“. Für Jeden, der mühsam und medienwirksam „reintegriert“ wird fliegen wieder Andere eins, zwei, drei raus ...
Mit der repressiven Mindestsicherung erhöhen der Staat und das AMS den Druck auf die Armen schlecht bezahlte, prekäre (Teilzeit-)Arbeit anzunehmen. Dazu schweigen diese Hilfsorganisationen. Caritas, Volkshilfe & Co bieten ja auch selbst „Wiedereingliederungsmaßnahmen“ für das AMS an, die unter Androhung des Existenzentzuges aufgezwungenen werden. In „Arbeitstrainings“ darf zum AMS-Bezug gratis gearbeitet werden und dann schlecht bezahlt als „Transitarbeitskraft“. Dauerhafte, ordentlich bezahlte Erwerbsarbeit bleibt für allzu viele dennoch unerreichbar.
Tafeln spalten die Gesellschaft
Laut einer Studie der Caritas Nordrheinwestfahlen spalten Tafeln und Sozialmärkte die Gesellschaft, weil die auf mildtätige Gaben angewiesenen Menschen sich erst recht sozial ausgegrenzt fühlen. Der neoliberalen Ideologie werde das Feld für weiteren Abbau des Sozialstaates und den Rückzug des Staates aus seiner politischen Verantwortung frei gemacht. Die Verantwortlichen dafür, dass mitten in reichen Gesellschaften immer mehr Menschen abgehängt werden, geraten aus dem Blickfeld.
Die „Wiener Tafel“ weist zwar auch auf die wachsende Kluft zwischen Arm und Reicht hin, aber ohne weiter gehende Wirtschafts- und Gesellschaftskritik. All die Hilfsorganisationen helfen den Arbeitslosen und Armen auch nicht, sich politisch wirksam zu organisieren und gemeinsam den die Armut erzeugenden Kapitalismus zu überwinden. Die Not wird zwar gelindert, die Ursache bleibt bestehen.
Dafür vermarktet sich die „Wiener Tafel“ lautstark: Jeder könne durch eine Spende zum „Robin Hood“ werden. 220 freiwilligen Helfern hätten 2010 in 10.000 (unbezahlte) Arbeitsstunden 70.000 km zurückgelegt und 330.000 kg „Über-Lebensmittel“ und Hygieneprodukte vor der Vernichtung gerettet und über 9.000 Notleidende würden versorgt. Also nicht gerade 0,5 Prozent der 70.000 Tonnen allein in Wien jährlich vernichteten Lebensmittel. Das macht gerade 100g täglich für jeden von den drei Prozent der unter der Armutsgefährdungsschwelle lebenden WienerInnen (2009: 283.000). Der Verursacher, die Wirtschaft, spart nicht nur Entsorgungskosten, sondern setzt sich auch noch als Wohltäter in Szene. Die „Wiener Tafel“ sieht sich dennoch mit ihrer „sozialen Transferarbeit erfolgreich gegen Armut und Hunger“ kämpfen.
Das reicht vielleicht gerade zur Aufstandsvermeidung, aber wohl nicht auf Dauer, siehe Griechenland, Spanien, Portugal, usw.. Einstweilen läuft die dreiste Marketingmaschine noch wie geschmiert …
Martin Mair ist Obmann von AKTIVE ARBEITSLOSE, Info unter www.aktive-arbeitslose.at.
Am 18. August übernahm der Verein „Wiener Tafel“ vom REWE-Konzern 10.000 Sets Körperpflegeprodukte seiner Billiglinie. Arme und Arbeitslose könnten sich keine Körperpflege leisten, wird suggeriert, und dies bedeute, so „Wiener Tafel“-Obmann und Sozialarbeiter Martin Haiderer, ‚nicht teilhaben können am gesellschaftlichen Leben’ und ‚kaum Chancen am Arbeitsmarkt’ haben“. Dass ausgerechnet jener Konzern, der gerade wegen systematischer Einstufung von KassierInnen in zu niedrige Gehaltsklassen von der Gewerkschaft gpa-djp vor Gericht gezerrt wurde, nun mit der Spende sich ein soziales Mäntelchen umhängt, lässt auf einen billigen Marketinggag im Sommerloch vermuten.
Den Gipfel der Frechheit war der Aufruf an die Bevölkerung, (im Einzelhandel gekaufte) Körperpflegeprodukte und Waschmittel in den (wenigen) MyPlace-SelfStorage-Filialen abzugeben, für die „Stinker“ sozusagen. Das beseitigt Ursachen der Armut genauso wenig wie damals Socken Stricken für Wehrmachtssoldaten den Zweiten Weltkrieg.
Paternalistische Hilfsorganisationen stützen das System
Auf Kritik hin meint die Wiener Tafel gar, sie helfe den Menschen durch „ausschließliche Kooperation mit professionellen Sozialeinrichtungen, die ihren KlientInnen mit gezielten Begleitangeboten wie beispielsweise Schuldnerberatung, psychosoziale Betreuung und anderen die Möglichkeit geben, ihre Lebenssituation zu stabilisieren und eigenständig zu leben.“
Das entspricht genau dem neoliberalen Dogma der „Wiedereingliederung“: Jene, die von der Wirtschaft hinaus geboxt wurden, sollen immer wieder noch mehr darum kämpfen, sich in den „Arbeitsmarkt“ zu „integrieren“. Für Jeden, der mühsam und medienwirksam „reintegriert“ wird fliegen wieder Andere eins, zwei, drei raus ...
Mit der repressiven Mindestsicherung erhöhen der Staat und das AMS den Druck auf die Armen schlecht bezahlte, prekäre (Teilzeit-)Arbeit anzunehmen. Dazu schweigen diese Hilfsorganisationen. Caritas, Volkshilfe & Co bieten ja auch selbst „Wiedereingliederungsmaßnahmen“ für das AMS an, die unter Androhung des Existenzentzuges aufgezwungenen werden. In „Arbeitstrainings“ darf zum AMS-Bezug gratis gearbeitet werden und dann schlecht bezahlt als „Transitarbeitskraft“. Dauerhafte, ordentlich bezahlte Erwerbsarbeit bleibt für allzu viele dennoch unerreichbar.
Tafeln spalten die Gesellschaft
Laut einer Studie der Caritas Nordrheinwestfahlen spalten Tafeln und Sozialmärkte die Gesellschaft, weil die auf mildtätige Gaben angewiesenen Menschen sich erst recht sozial ausgegrenzt fühlen. Der neoliberalen Ideologie werde das Feld für weiteren Abbau des Sozialstaates und den Rückzug des Staates aus seiner politischen Verantwortung frei gemacht. Die Verantwortlichen dafür, dass mitten in reichen Gesellschaften immer mehr Menschen abgehängt werden, geraten aus dem Blickfeld.
Die „Wiener Tafel“ weist zwar auch auf die wachsende Kluft zwischen Arm und Reicht hin, aber ohne weiter gehende Wirtschafts- und Gesellschaftskritik. All die Hilfsorganisationen helfen den Arbeitslosen und Armen auch nicht, sich politisch wirksam zu organisieren und gemeinsam den die Armut erzeugenden Kapitalismus zu überwinden. Die Not wird zwar gelindert, die Ursache bleibt bestehen.
Dafür vermarktet sich die „Wiener Tafel“ lautstark: Jeder könne durch eine Spende zum „Robin Hood“ werden. 220 freiwilligen Helfern hätten 2010 in 10.000 (unbezahlte) Arbeitsstunden 70.000 km zurückgelegt und 330.000 kg „Über-Lebensmittel“ und Hygieneprodukte vor der Vernichtung gerettet und über 9.000 Notleidende würden versorgt. Also nicht gerade 0,5 Prozent der 70.000 Tonnen allein in Wien jährlich vernichteten Lebensmittel. Das macht gerade 100g täglich für jeden von den drei Prozent der unter der Armutsgefährdungsschwelle lebenden WienerInnen (2009: 283.000). Der Verursacher, die Wirtschaft, spart nicht nur Entsorgungskosten, sondern setzt sich auch noch als Wohltäter in Szene. Die „Wiener Tafel“ sieht sich dennoch mit ihrer „sozialen Transferarbeit erfolgreich gegen Armut und Hunger“ kämpfen.
Das reicht vielleicht gerade zur Aufstandsvermeidung, aber wohl nicht auf Dauer, siehe Griechenland, Spanien, Portugal, usw.. Einstweilen läuft die dreiste Marketingmaschine noch wie geschmiert …
Martin Mair ist Obmann von AKTIVE ARBEITSLOSE, Info unter www.aktive-arbeitslose.at.