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Starke MetallerInnen erzwangen schnelle Verhandlungen

  • Sonntag, 30. Oktober 2011 @ 08:00
Meinung Von Anne Rieger

Die Industriellen Eisen Metall wollten die Verhandlungen über den Kollektivvertrag auf die lange Bank schieben, um einen möglichst niedrigen Lohnabschluss zu erreichen. Ihr Verhandlungsführer Christoph Hinteregger, Vorstand beim Seilbahnhersteller Doppelmayr, erhoffte sich Rückenwind für sein Kalkül, den MetallerInnen durch den befürchteten Konjunkturabschwung den Schneid abzukaufen. Die Strategie der Gewerkschaften, ihre Forderung von 5,5 Prozent öffentlich auf den Tisch zu legen, und schon nach der ersten Verhandlung am 4. Oktober bundesweit Betriebsrätekonferenzen durchzuführen, durchkreuzte diese Taktik. Ebenso die dort beschlossenen Betriebsversammlungen für die beiden Tage vor dem zweiten Verhandlungstermin.

Industrielle provozierten Abbruch der Verhandlungen

Mit nur 3,65 Prozent und einer Einmalzahlung von 200 Euro (die nicht dauerhaft in die Lohntabellen eingehen) provozierten die Arbeitgeber den Abbruch der Verhandlungen. Die Beschäftigten empfanden das niedrige „Angebot“ als Hohn und Missachtung ihrer Leistung angesichts der 2,5 Mrd. Euro Ausschüttungen an die Eigner.

100.000 Beschäftigte in 200 Betrieben antworteten sofort mit Betriebsversammlungen und Warnstreiks. In Der Steiermark waren allein am Freitag 14.300 Menschen daran beteiligt: bei Böhler Edelstahl und Schmiedtechnik, Pewag, Austria Draht, VA Erzberg, beide VA Divisionen Stahl und Schiene in Donawitz, VA Tubular, Stahl Judenburg, VAE Eisenbahnsysteme, Styria Federn, AVL, Magna Steyr, Andritz AG, RHI und andere.

Industrielle zeigen Angst vor „ihren“ Beschäftigten

Überhebliche Industriellenvertreter wurden von den Beschäftigten gezwungen den scheinbar eingemauerten dritten Verhandlungstermin vorzuziehen. Irritiert von der Wucht der Streiks und der realen Gefahr, dass Bänder, Maschinen und Hochöfen am Montag nicht anlaufen würden, „wünschten“ die Sozialpartner-Präsidenten eine Bereinigung des Konflikts. Verunsichert folgten die Verhandlungsspitzen und führten „Sondierungsgespräche“ an einem geheimen Ort. Offenbar hatten sie Angst vor DemonstrantInnen. Zuvor schon hatten einige Arbeitgeber Listen an „ihre“ Beschäftigten verteilen lassen um sie einzuschüchtern. Sie wurden mit der Abmeldung von der Gebietskrankenkasse, Verlust des Anspruches der Arbeitslosenunterstützung und Verlust des Arbeitsplatzes bedroht – völlig rechtswidrig.

Ergebnis

Am 1. November stiegen für die 165.000 Beschäftigten in der Metallindustrie und dem Bergbau die Ist-Löhne um 4,0 bis 5,3 Prozent, Lehrlingsentschädigungen um 4,3 Prozent, Zulagen um 4,0 Prozent, Aufwandsentschädigungen um 3,8 Prozent. Der KV-Mindestlohn beträgt 1582,54 Euro, damit gibt es eine Lohnerhöhung von mindestens 80 Euro Lohnerhöhung. Die Anrechnung der Karenzzeiten wird auf 16 Monate für jedes Kind erhöht. Im Durchschnitt gerechnet die bekannten 4,2 Prozent.

Streiks haben Selbstbewusstsein der Arbeiter gestärkt

Das Ergebnis haben die Beschäftigten in mehr als 800 Aktionen, Streiks und Arbeitsniederlegungen erkämpft. Ohne diese Arbeitskämpfe wäre das Ergebnis nicht möglich gewesen. „Die Streiks und Kampfaktionen in den Betrieben haben das Selbstbewusstsein der arbeitenden Menschen gestärkt und zu einem Lohnabschluss über der Inflationsrate geführt“, sagt Peter Scherz, GLB-Arbeiterkammer- rat, Mitglied der zentralen Verhandlungskommission und der Streikleitung bei Magna Steyr. (Gemeint ist die Inflationsrate der vergangenen zwölf Monate, die Masszahl bei den KV Verhandlungen).

Gleichzeitig haben das Eingreifen der Sozialpartnerschaftsspitzen, die Sondierungsgespräche im kleinen Kreis und das Aussetzen der Streiks den Kampfeswillen der Beschäftigten abgebremst und ein noch besseres Ergebnis verhindert: „Ich habe dem Ergebnis als GLB-Vertreter schließlich zugestimmt, weil es für die Frauen (verbesserte Anrechnung der Karenzzeiten) und die unteren Lohngruppen deutliche Verbesserungen bringt. Hervorzuheben ist dabei der Mindestbetrag von 80 Euro monatlich. Im Gegensatz zu der von den Unternehmern angebotenen Einmalzahlung von 200 Euro ist diese Erhöhung dauerhaft wirksam.“

Lob der Sozialpartnerschaft nicht angebracht

Peter Scherz betonte, dass ein Lob der Sozialpartnerschaft keineswegs angebracht ist: Sie hat den Kampf der Arbeiterschaft abgebremst. Es ist schade, dass die Gewerkschaftsspitze trotz der Unterstützung in den Betrieben und in der Bevölkerung insgesamt am Schluss Angst vor der eigenen Courage bekommen hat. Scherz: „Jetzt geht es darum, auch in anderen Branchen ordentliche Lohnabschlüsse zu erreichen und dabei vor Kampfmaßnahmen nicht zurückzuschrecken.“

Kollektivvertragsbindung

Die Streiks haben auch eine Stabilisierung der Kollektivvertragsbindung bewirkt, die nicht zu unterschätzen ist. Denn gleichzeitig versucht die Firma Securitas in Graz Leiharbeiter als Busfahrer einzuschleusen – ein Versuch, geltende Kollektivverträge zu unterlaufen. In Griechenland soll durch das „Multigesetz“ im Privatsektor Tarifverträge abgeschafft werden.

Allerdings gelang es zwei Fachverbänden der Industriellen mit ihrer Verbandsaustrittsdrohung eine Beschäftigungs- und Standortsicherungsklausel durchzusetzen. Sie ermöglicht – unter genau definierten Bedingungen - eine andere Verteilung der Lohn- und Gehaltsstruktur. Auf diesem Wege weiterzugehen, beinhaltet langfristig die Gefahr eines Unterlaufens der kollektiven Bindung.

Beschäftigtenforderung ein Klacks für die Wirtschaft

Die ökonomischen Daten hätten mehr hergegeben. Angesichts der enormen Gewinnausschüttungen (2,5 Mrd. Euro an die Eigner), der Erhöhung der Grundgehälter der Führungskräfte um 4,1 Prozent plus sagenhafte Boni, sind die 385 Mio Euro, die die Erhöhung um 5,5 Prozent gebracht hätte, ein Klacks für die Wirtschaft.

Gleichzeitig wurden die Beschäftigtenzahlen gekürzt, was ein Minus von 12.000 Arbeitsplätze ergibt. Der Beschäftigungsstand ist immer noch nicht auf Vorkrisenniveau. Das heißt, es wird mit weniger Personal Tag und Nacht gearbeitet. Die Produktivität ist um 5 Prozent gestiegen und der Personalaufwand ohne Abfertigungen und Pensionen an der Betriebsleistung liegt in der Metallindustrie bei durchschnittlich 15,4 Prozent. Die Lohnstückkosten in Österreich sanken seit 2005 im Verhältnis zu den anderen EU-Ländern um durchschnittlich 0,8 Prozent pro Jahr.

Dem enormen Druck aus dem Industriellen hielten die Gewerkschaftsspitzen nicht Stand. Die Sozialpartner forderten ein Aussetzen des Streiks während der Verhandlungen, den Beschäftigten schien das nachvollziehbar und setzten den Streik aus. Damit gaben sie ungewolllt ein Druckmittel aus der Hand.

Insgesamt aber eine Lohnerhöhung, die eine Vorlage für die Beschäftigten anderer Branchen ist und eine Kampferfahrung, die den Streikenden nicht zu nehmen ist.

Anne Rieger ist GLB-Aktivistin in der Steiermark