Das ist eine Einmischung sondergleichen
- Montag, 10. Oktober 2011 @ 08:00
Die Europäische Zentralbank fordert von Italien den drastischen Abbau von Arbeiterrechten. Gespräch von Raoul Rigault mit Fabrizio Tomaselli, Mitglied der Nationalen Exekutive der neu gegründeten Union der italienischen Basisgewerkschaften, USB
Vor kurzem sorgte ein in der Tageszeitung Corriere della Sera veröffentlichter gemeinsamer Brief des alten und des neuen Chefs der Europäischen Zentralbank, der EZB, Jean-Claude Trichet und Mario Draghi, für Aufsehen. Beide fordern darin von der italienischen Regierung ein härteres Vorgehen gegen die Schuldenkrise des Landes. Was halten Sie davon? Dieses Dokument zeigt, wie weitgehend die ökonomischen Manöver von Silvio Berlusconi buchstäblich von der europäi¬schen Finanzmacht diktiert werden. Das ist eine Einmischung in unsere inneren Angelegenheiten sondergleichen, eine schwere Nötigung, die Inhalte, Methoden und Zeiträume der Umsetzung haushaltspolitischer Maßnahmen betrifft und sogar eine Verfassungsänderung vorschreibt.
Es geht in diesem Brief allerdings nicht nur um ein verschärftes Austeritätsprogramm, sondern auch um ein Rollback im Arbeitsrecht. Wie ist das einzuschätzen?
Das Kapitel zum Thema Arbeit ist extrem detailliert und stellt eine regelrechte Wunschliste des italienischen Industriellenverbandes Confindustria dar. Zu einem großen Teil ist die Regierung diesen Vorgaben bereits durch den berüchtigten Artikel 8 des im September verabschiedeten Gesetzes Nr. 138 nachgekommen. Dieser Artikel ermöglicht Entlassungen ohne Grund sowie die komplette Videoüberwachung der Beschäftigten. Berlusconi und sein Arbeitsminister Maurizio Sacconi berufen sich dabei auf das am 28. Juni von der Confindustria mit den drei großen Gewerkschaftsbünden geschlossene Abkommen, das neben der christlichen CISL und der ehemals sozialdemokratischen UIL auch die CGIL unterzeichnet hat.
Ein Teil der EZB-Forderungen steht aber noch im Raum?
Einige Aspekte wurden von Berlusconi nicht sofort aufgegriffen. Sie werden aber bereits seit Monaten in Wirtschafts- und Kabinettskreisen diskutiert. Das Spektrum reicht von weiteren Einschnitten bei den Renten bis zur Aushebelung des allgemeinen Kündigungsschutzes. Hinzu kommt die vom Rat der EU-Finanzminister, Ecofin, geforderte Reduzierung der über die seinerzeit in Maastricht festgelegte Grenze von 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes hinausgehenden italienischen Staatsverschuldung um fünf Prozentpunkte jedes Jahr. Bei Umsetzung würde das eine weitere Steuerbelastung von 50 Milliarden Euro im Jahr für die Italiener bedeuten. Zusätzlich zu den 80 Milliarden Euro Abgaben, die bereits fällig sind!
Was bedeutet das für die nach wie vor schwächelnde Wirtschaft?
Auch vom rein ökonomischen Standpunkt aus betrachtet ist das absurd. Um so glaubwürdiger und notwendiger ist die Forderung nach einer Schuldenstreichung. Es müssen Veränderungen im System durchgesetzt und Maßnahmen ergriffen werden, die nicht nur die großen Vermögen treffen, sondern auch die finanziellen Mechanismen angreifen, die zur Krise geführt haben. Ein Mittel ist dabei die Verstaatlichung der Banken sowie der Unternehmen, die für das Land von strategischer Bedeutung sind. Man muß mit der Politik und den Beschlüssen des Superstaates EU brechen.
Wie soll das durchgesetzt werden?
Sicher nicht durch einen simplen Personalwechsel bei den Mächtigen. Eine bloße Ablösung der Regierung Berlusconi und ein Ende des Berlusconismus reichen nicht aus. Dessen Nachfolger würde die Austeritätspolitik beibehalten und der breiten Masse die von EU, EZB und Internationalem Währungsfonds erzwungenen Opfer aufbürden. Es ist notwendig, an die starke Streikbeteiligung vom 6. September anzuknüpfen und aus der Großdemonstration am 15. Oktober in Rom einen Erfolg zu machen. Zu der mobilisieren wir gemeinsam mit vielen anderen gewerkschaftlichen und sozialen Kräften. Die muß sich durch die Teilnahme und aktive Vorbereitung von allen Arbeitern, Rentnern, Erwerbslosen, prekär Beschäftigten und Migranten auszeichnen.
Außerdem müssen wir die internationale Arbeit weiterentwickeln, die wir als USB bereits begonnen haben, um gewinnbringende Beziehungen zu knüpfen und vor allem auf europäischer Ebene gemeinsame Aktionen zu starten. Dort spielt sich nämlich inzwischen das wahre staatliche Geschehen ab, mit dem wir uns auseinanderzusetzen haben.
Quelle: Junge Welt, 10.10.2011, www.jungewelt.de
Vor kurzem sorgte ein in der Tageszeitung Corriere della Sera veröffentlichter gemeinsamer Brief des alten und des neuen Chefs der Europäischen Zentralbank, der EZB, Jean-Claude Trichet und Mario Draghi, für Aufsehen. Beide fordern darin von der italienischen Regierung ein härteres Vorgehen gegen die Schuldenkrise des Landes. Was halten Sie davon? Dieses Dokument zeigt, wie weitgehend die ökonomischen Manöver von Silvio Berlusconi buchstäblich von der europäi¬schen Finanzmacht diktiert werden. Das ist eine Einmischung in unsere inneren Angelegenheiten sondergleichen, eine schwere Nötigung, die Inhalte, Methoden und Zeiträume der Umsetzung haushaltspolitischer Maßnahmen betrifft und sogar eine Verfassungsänderung vorschreibt.
Es geht in diesem Brief allerdings nicht nur um ein verschärftes Austeritätsprogramm, sondern auch um ein Rollback im Arbeitsrecht. Wie ist das einzuschätzen?
Das Kapitel zum Thema Arbeit ist extrem detailliert und stellt eine regelrechte Wunschliste des italienischen Industriellenverbandes Confindustria dar. Zu einem großen Teil ist die Regierung diesen Vorgaben bereits durch den berüchtigten Artikel 8 des im September verabschiedeten Gesetzes Nr. 138 nachgekommen. Dieser Artikel ermöglicht Entlassungen ohne Grund sowie die komplette Videoüberwachung der Beschäftigten. Berlusconi und sein Arbeitsminister Maurizio Sacconi berufen sich dabei auf das am 28. Juni von der Confindustria mit den drei großen Gewerkschaftsbünden geschlossene Abkommen, das neben der christlichen CISL und der ehemals sozialdemokratischen UIL auch die CGIL unterzeichnet hat.
Ein Teil der EZB-Forderungen steht aber noch im Raum?
Einige Aspekte wurden von Berlusconi nicht sofort aufgegriffen. Sie werden aber bereits seit Monaten in Wirtschafts- und Kabinettskreisen diskutiert. Das Spektrum reicht von weiteren Einschnitten bei den Renten bis zur Aushebelung des allgemeinen Kündigungsschutzes. Hinzu kommt die vom Rat der EU-Finanzminister, Ecofin, geforderte Reduzierung der über die seinerzeit in Maastricht festgelegte Grenze von 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes hinausgehenden italienischen Staatsverschuldung um fünf Prozentpunkte jedes Jahr. Bei Umsetzung würde das eine weitere Steuerbelastung von 50 Milliarden Euro im Jahr für die Italiener bedeuten. Zusätzlich zu den 80 Milliarden Euro Abgaben, die bereits fällig sind!
Was bedeutet das für die nach wie vor schwächelnde Wirtschaft?
Auch vom rein ökonomischen Standpunkt aus betrachtet ist das absurd. Um so glaubwürdiger und notwendiger ist die Forderung nach einer Schuldenstreichung. Es müssen Veränderungen im System durchgesetzt und Maßnahmen ergriffen werden, die nicht nur die großen Vermögen treffen, sondern auch die finanziellen Mechanismen angreifen, die zur Krise geführt haben. Ein Mittel ist dabei die Verstaatlichung der Banken sowie der Unternehmen, die für das Land von strategischer Bedeutung sind. Man muß mit der Politik und den Beschlüssen des Superstaates EU brechen.
Wie soll das durchgesetzt werden?
Sicher nicht durch einen simplen Personalwechsel bei den Mächtigen. Eine bloße Ablösung der Regierung Berlusconi und ein Ende des Berlusconismus reichen nicht aus. Dessen Nachfolger würde die Austeritätspolitik beibehalten und der breiten Masse die von EU, EZB und Internationalem Währungsfonds erzwungenen Opfer aufbürden. Es ist notwendig, an die starke Streikbeteiligung vom 6. September anzuknüpfen und aus der Großdemonstration am 15. Oktober in Rom einen Erfolg zu machen. Zu der mobilisieren wir gemeinsam mit vielen anderen gewerkschaftlichen und sozialen Kräften. Die muß sich durch die Teilnahme und aktive Vorbereitung von allen Arbeitern, Rentnern, Erwerbslosen, prekär Beschäftigten und Migranten auszeichnen.
Außerdem müssen wir die internationale Arbeit weiterentwickeln, die wir als USB bereits begonnen haben, um gewinnbringende Beziehungen zu knüpfen und vor allem auf europäischer Ebene gemeinsame Aktionen zu starten. Dort spielt sich nämlich inzwischen das wahre staatliche Geschehen ab, mit dem wir uns auseinanderzusetzen haben.
Quelle: Junge Welt, 10.10.2011, www.jungewelt.de