Der Horizont der Unterschicht
- Dienstag, 28. Juni 2011 @ 09:14
Anmerkungen zur Propaganda des (Post-)Neoliberalismus von Günther Hopfgartner
Nach einer ersten „Schrecksekunde“ im Gefolge des Ausbruchs der Finanzkrise 2007 besticht das Krisenbewältigungs-Programm der Merkels, Sarkozys, Faymanns & Co. durch ein ebenso fatalistisches wie orientierungsloses Beharrungsvermögen einerseits und andererseits durch die Bereitschaft, die Interessen breiter Teile der Bevölkerung endgültig auf dem Altar der Märkte, zugunsten des „Shareholder Values“ zu opfern. Ein Programm, das irgendwann notwendigerweise den Widerstand der betroffenen Bevölkerungsgruppen provozieren musste – siehe Nordafrika, Spanien, Portugal, Griechenland...
Dilemma nicht auflösbar
Dieses Dilemma ist von der herrschenden politischen Klasse freilich gar nicht aufzulösen - solange sie ausschließlich in kapitalistisch-marktwirtschaftlichen Kategorien denkt/in marktwirtschaftlicher Logik befangen handelt, bleibt sie getrieben von „den Finanzmärkten“ und deren Profit-Kommando und muss die Krisenfolgen fast zwangsläufig auf den Schultern der Masse der ArbeitnehmerInnen, Erwerbslosen, MigrantInnen etc. abladen und jeden Widerstand dagegen denunzieren und kriminalisieren.
Am Ausgang der aktuellen („post-neoliberalen“) Krisenbewältigungsprogramme werden dementsprechend nicht nur wir die Kosten für die große Krise bezahlen, sondern darüber hinaus werden viele von uns überhaupt „über bleiben“, sprich: gänzlich aus dem sozialen Gefüge, wie wir es seit 1945 kannten, rausfallen – dazu noch permanent überwacht und ruhig gestellt.
Thatchers Dogma
Weil aber in den vergangenen Jahrzehnten - insbesondere nach 1989 - die Behauptung Margret Thatchers „There is no alternative“ zum gesellschaftspolitischen Leitmotiv schlechthin aufgestiegen ist, provoziert diese Entwicklung zwar immer wieder Mal Widerstand gegen diverse Sozialabbau- und Spar-Programme, eine breite gesellschaftliche Bewegung für einen grundsätzlichen Systemwechsel entwickelt sich daraus – in Ermangelung alternativer kollektiver Perspektiven - freilich noch nicht.
Entsprechend muss die politische Klasse zwar verstärkt über Zwang und nicht mehr im Konsens mit den „Subalternen“ regieren, kann sich dabei aber auf immer noch wirksame Restbestände neoliberaler Denkfiguren im Alltagsverstand stützen – denn dass etwa „jeder seines eigenen Glückes Schmied“ sei und deshalb sein Auskommen im verschärften Wettbewerb dieser Tage letztlich über individuelle Überlebensstrategien organisieren wird müssen, ist nach wie vor im öffentlichen und privaten Diskurs weitgehend unbestritten.
Miet-Experten der Herrschenden
An solchen „Weisheiten“ setzt aber auch die in den letzten Jahren allgegenwärtige Boulevard- und Talkshow-taugliche Argumentation der Miet-Experten der herrschenden Klassen an: Aufgabe der Sarrazins, Sloterdijks und Marins dieser Welt ist es einerseits den argumentativen Überbau für eine verschärfte Repressionspolitik zu entwickeln und andererseits den vom Sozialabbau betroffenen und von Abstiegsängsten geplagten Bevölkerungsschichten einen Deutungshorizont für ihre disparaten Alltagserfahrungen anzubieten.
Die entsprechende Erzählung geht so: Schuld an sozialem Abstieg/mangelnden Aufstiegschancen, Arbeitslosigkeit oder Armut trotz Jobs, entwürdigender Behandlung durch Ämter und Behörden etc. etc. ist letztlich immer der/die Betroffene selbst, weil zu blöd, zu unflexibel, zu faul, der hiesigen Amtssprache nicht mächtig, integrationsunwillig und überhaupt irgendwie renitent, leistungsverweigernd und oftmals Muslime, dafür aber gebärfreudig! (Sarrazin)
Dazu kommen noch die gesellschaftlichen Quasi-Naturgesetzlichkeiten wie die „demographische Frage“, die den Sozialstaat bis an seine Grenzen belasten und deshalb dringend nach Reformen verlangen würde (Marin) sowie die natürliche Grenze der finanziellen und moralischen Belastbarkeit „der Leistungsträger“, die es schön langsam satt haben (sollten), mit ihrer Arbeit die Faulen und Minderbemittelten zu alimentieren (Sloterdijk).
Entsprechende Lösungsansätze in der Perspektive dieser „Problembeschreibungen“: Den „Unterschichten“ und „Kulturfremden“ die Sozialhilfen kürzen und bei fortgesetzter Aufmüpfigkeit überhaupt streichen, damit sie gezwungen sind, endlich selbst in die Gänge zu kommen (Sarrazin); für die noch mit einem existenzsichernden Job gesegneten ArbeitnehmerInnen, die Sozialsysteme weitgehend auf Eigenvorsorge umstellen (Marin) oder überhaupt gleich den Sozialstaat zugunsten freiwilliger Wohltätigkeit der reichen Eliten abschaffen (Sloterdijk).
Wer profitiert an Entsolidarisierung?
Soviel zum medial breit propagierten Programm gesellschaftlicher Entsolidarisierung im Post-Neoliberalismus! Und man täusche sich nicht – bei aller Unhaltbarkeit der Grundprämissen der Polemik der zitierten Herren, genau in die von ihnen skizzierte Richtung geht der Zug, den die Merkels & Sarkozys wie auch die Faymanns & Mikl-Leitners gerade ins Rollen bringen. Finanziell profitieren davon die üblich verdächtigen Shareholder; politisch: Strache, De Wilder, Le Pen und Konsorten.
Günther Hopfgartner ist Journalist und lebt in Wien
Nach einer ersten „Schrecksekunde“ im Gefolge des Ausbruchs der Finanzkrise 2007 besticht das Krisenbewältigungs-Programm der Merkels, Sarkozys, Faymanns & Co. durch ein ebenso fatalistisches wie orientierungsloses Beharrungsvermögen einerseits und andererseits durch die Bereitschaft, die Interessen breiter Teile der Bevölkerung endgültig auf dem Altar der Märkte, zugunsten des „Shareholder Values“ zu opfern. Ein Programm, das irgendwann notwendigerweise den Widerstand der betroffenen Bevölkerungsgruppen provozieren musste – siehe Nordafrika, Spanien, Portugal, Griechenland...
Dilemma nicht auflösbar
Dieses Dilemma ist von der herrschenden politischen Klasse freilich gar nicht aufzulösen - solange sie ausschließlich in kapitalistisch-marktwirtschaftlichen Kategorien denkt/in marktwirtschaftlicher Logik befangen handelt, bleibt sie getrieben von „den Finanzmärkten“ und deren Profit-Kommando und muss die Krisenfolgen fast zwangsläufig auf den Schultern der Masse der ArbeitnehmerInnen, Erwerbslosen, MigrantInnen etc. abladen und jeden Widerstand dagegen denunzieren und kriminalisieren.
Am Ausgang der aktuellen („post-neoliberalen“) Krisenbewältigungsprogramme werden dementsprechend nicht nur wir die Kosten für die große Krise bezahlen, sondern darüber hinaus werden viele von uns überhaupt „über bleiben“, sprich: gänzlich aus dem sozialen Gefüge, wie wir es seit 1945 kannten, rausfallen – dazu noch permanent überwacht und ruhig gestellt.
Thatchers Dogma
Weil aber in den vergangenen Jahrzehnten - insbesondere nach 1989 - die Behauptung Margret Thatchers „There is no alternative“ zum gesellschaftspolitischen Leitmotiv schlechthin aufgestiegen ist, provoziert diese Entwicklung zwar immer wieder Mal Widerstand gegen diverse Sozialabbau- und Spar-Programme, eine breite gesellschaftliche Bewegung für einen grundsätzlichen Systemwechsel entwickelt sich daraus – in Ermangelung alternativer kollektiver Perspektiven - freilich noch nicht.
Entsprechend muss die politische Klasse zwar verstärkt über Zwang und nicht mehr im Konsens mit den „Subalternen“ regieren, kann sich dabei aber auf immer noch wirksame Restbestände neoliberaler Denkfiguren im Alltagsverstand stützen – denn dass etwa „jeder seines eigenen Glückes Schmied“ sei und deshalb sein Auskommen im verschärften Wettbewerb dieser Tage letztlich über individuelle Überlebensstrategien organisieren wird müssen, ist nach wie vor im öffentlichen und privaten Diskurs weitgehend unbestritten.
Miet-Experten der Herrschenden
An solchen „Weisheiten“ setzt aber auch die in den letzten Jahren allgegenwärtige Boulevard- und Talkshow-taugliche Argumentation der Miet-Experten der herrschenden Klassen an: Aufgabe der Sarrazins, Sloterdijks und Marins dieser Welt ist es einerseits den argumentativen Überbau für eine verschärfte Repressionspolitik zu entwickeln und andererseits den vom Sozialabbau betroffenen und von Abstiegsängsten geplagten Bevölkerungsschichten einen Deutungshorizont für ihre disparaten Alltagserfahrungen anzubieten.
Die entsprechende Erzählung geht so: Schuld an sozialem Abstieg/mangelnden Aufstiegschancen, Arbeitslosigkeit oder Armut trotz Jobs, entwürdigender Behandlung durch Ämter und Behörden etc. etc. ist letztlich immer der/die Betroffene selbst, weil zu blöd, zu unflexibel, zu faul, der hiesigen Amtssprache nicht mächtig, integrationsunwillig und überhaupt irgendwie renitent, leistungsverweigernd und oftmals Muslime, dafür aber gebärfreudig! (Sarrazin)
Dazu kommen noch die gesellschaftlichen Quasi-Naturgesetzlichkeiten wie die „demographische Frage“, die den Sozialstaat bis an seine Grenzen belasten und deshalb dringend nach Reformen verlangen würde (Marin) sowie die natürliche Grenze der finanziellen und moralischen Belastbarkeit „der Leistungsträger“, die es schön langsam satt haben (sollten), mit ihrer Arbeit die Faulen und Minderbemittelten zu alimentieren (Sloterdijk).
Entsprechende Lösungsansätze in der Perspektive dieser „Problembeschreibungen“: Den „Unterschichten“ und „Kulturfremden“ die Sozialhilfen kürzen und bei fortgesetzter Aufmüpfigkeit überhaupt streichen, damit sie gezwungen sind, endlich selbst in die Gänge zu kommen (Sarrazin); für die noch mit einem existenzsichernden Job gesegneten ArbeitnehmerInnen, die Sozialsysteme weitgehend auf Eigenvorsorge umstellen (Marin) oder überhaupt gleich den Sozialstaat zugunsten freiwilliger Wohltätigkeit der reichen Eliten abschaffen (Sloterdijk).
Wer profitiert an Entsolidarisierung?
Soviel zum medial breit propagierten Programm gesellschaftlicher Entsolidarisierung im Post-Neoliberalismus! Und man täusche sich nicht – bei aller Unhaltbarkeit der Grundprämissen der Polemik der zitierten Herren, genau in die von ihnen skizzierte Richtung geht der Zug, den die Merkels & Sarkozys wie auch die Faymanns & Mikl-Leitners gerade ins Rollen bringen. Finanziell profitieren davon die üblich verdächtigen Shareholder; politisch: Strache, De Wilder, Le Pen und Konsorten.
Günther Hopfgartner ist Journalist und lebt in Wien