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Einwanderungsland Österreich

  • Montag, 27. Juni 2011 @ 16:03
Meinung Von Ljubomir Bratić

Die Migration und die Situation in den Einwanderungsgesellschaften sind in den letzten Jahrzehnten zu viel diskutierten Themen der politischen und öffentlichen Debatte geworden. Die Auseinandersetzungen in Österreich erreichten Anfang der 1990er Jahre einen ersten Höhepunkt. Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang das sogenannte „Ausländervolksbegehren“ der Freiheitlichen Partei im Jahr 1993 und als zivilgesellschaftliche Reaktion darauf das „Lichtermeer“ und sozialpartnerschaftlich-parteipolitische Reaktion das Aufenthaltsgesetz 1993. Kontinuität der Zuwanderung

Österreich ist aufgrund seiner geografischen Lage, seiner Vergangenheit und einer bis in die 1990er andauernden Tradition von Asylerteilung unbestritten ein Einwanderungsland. Seit den 1920er Jahren gibt es Arbeitsmigration nach Österreich in größerem Umfang. Um diese Kontinuität nachzuweisen, genügt es, die Gesetze, die zur Regulierung dieser Migration dienten, durchzublättern. Die Einwanderungsphase dauert bis heute an, obwohl offiziell seit Mitte der 1970er Jahre ein Einwanderungsstopp herrscht und seit den 1990ern ein totaler Bruch mit der humanistischen Asylpolitik gegeben ist.

Allein im 20. Jahrhundert blickt Österreich auf eine Vergangenheit als konstitutionell monarchistischer Vielvölkerstaat, als Erste Republik, als austrofaschistische Diktatur, als Naziprovinz Ostmark, als Besatzungsland, als Zweite Republik und seit 1995 als Teil der Europäischen Union.

Allein seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges können mehrere Phasen der Migration nach Österreich unterschieden werden: Von 1945 bis zum Staatsvertrag im Jahr 1955 kamen 530.000 volksdeutsche AussiedlerInnen aus dem Osten nach Österreich, von denen 350.000 bis Anfang der 1960er Jahre eingebürgert wurden. Im Jahr 1956 kamen innerhalb weniger Tage rund 180.000 Ungarinnen und Ungarn auf der Flucht vor den russischen Truppen nach Österreich. Von ihnen blieben rund 18.000 in Österreich. 1961 wurde das Raab-Olah-Abkommen unterzeichnet, womit der Start für die Arbeitsmigration gegeben war, die bis heute andauert.

1968 flüchteten rund 162.000 Menschen aus der Tschechoslowakei in der Folge der Niederschlagung des Prager Frühlings nach Österreich. Davon stellten 12.000 einen Asylantrag in Österreich. Im Jahr 1973 kamen in Folge des Putsches gegen Präsident Allende auch ChilenInnen nach Österreich. Zwischen 1981 und 1984 kamen mehr als 120.000 Flüchtlinge aus Polen nach Österreich, von denen 33.000 einen Asylantrag stellten.

In den frühen 1990er Jahren kamen auch aus dem ehemaligen Jugoslawien, bedingt durch die kriegerischen Ereignisse, viele KroatInnen, BosnierInnen und Kosovo-AlbanerInnen nach Österreich. Neben den Einwanderungswellen ist auch zu erwähnen, dass Österreich aufgrund seiner geopolitischen Lage ein wichtiges Transitland ist. So emigrierten z. B. bis in die 1990er Jahre ca. 250.000 Jüdinnen und Juden aus der Sowjetunion und Osteuropa über Österreich nach Israel und Amerika.1

Restriktives Gesetz

Als Ergebnis der Restriktionen – eingeführt durch das Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG)2 wurden von 1976 bis 1984 rund 110.000 Arbeitsmigrantinnen und Arbeitsmigranten auf Geheiß der Sozialpartner aus Österreich vertrieben.

„Die Ausländer hatten keine Möglichkeit, ihre Interessen und Bedürfnisse in diese Politikformulierung einzubringen, um Markt- und Handlungschancen innerhalb der österreichischen Gesellschaft zu gewinnen. Der Staat war und ist machtlos, das Handeln der Sozialpartner in diesem Politikfeld zu strukturieren (...)“3 Vor allem die Feststellung, dass der Staat in der sogenannten Ausländerpolitik nichts zu sagen hatte, wies auf eine der zentralen Eigenheiten der Ausländerpolitik in Österreich hin: dass sie bis in die 1990er Jahre das zentrale Betätigungsfeld der Sozialpartner war.

Diese betrachteten die Migrantinnen und Migranten allein in deren Funktion als billige Arbeitskräfte. Nur der Blickwinkel der beiden Interessenfraktionen auf das Arbeitskraftpotenzial war ein anderer: Während die Wirtschaft darin eine Möglichkeit sah, zu billigen Arbeitskräften zu kommen, sah die Gewerkschaft darin nur eine Konkurrenz für deren Klientel, die österreichischen Arbeiterinnen und Arbeiter. Die beiden Positionen der Interessensvertretungen haben sich im Wesentlichen bis heute nicht geändert.

Innenministerium als Machtinstanz

Erst Anfang der 1990er Jahre tritt das Innenministerium und damit eine staatliche Machtinstanz im engeren Sinne als neuer starker Akteur in der Migrationspolitik auf den Plan. Die in die Kompetenz des Innenministeriums fallenden Materien des Aufenthalts- und des Asylrechts werden neben dem Ausländerbeschäftigungsrecht die maßgeblichen Regelungsinstrumente zur Restriktion der Einwanderung bzw. zur Vertreibung bereits in Österreich ansässiger MigrantInnen.

Im Laufe der 1990er Jahre wurden neue Kategorien zur Differenzierung von Menschen eingeführt. Heute besteht eine hochkomplexe Fremdengesetzgebung, deren hauptsächliche Funktion darin besteht, die Grenzen Österreichs und der Europäischen Union noch dichter zu machen. Diese Grenzen sind nicht nur am Rande des Staates zu finden. Im Inneren werden immer neue rechtliche Unterscheidungsmerkmale eingesetzt, die Gruppen von Immigrantinnen und Immigranten zu bürokratisch Verschiedenen machen.

Nationale Integration

Die anhaltende Marginalisierung und „Nichtposition“ der MigrantInnen in der solchermaßen zunehmend undemokratischen Öffentlichkeit haben Auswirkungen auf die Ausprägung der Rassismen in Österreich. Je mehr MigrantInnen aus den Orten der öffentlichen Repräsentation abgedrängt oder gar nicht erst zugelassen werden, trotzdem die Realität der Bevölkerungsentwicklung eine solche Repräsentation immer stärker nahelegt, desto mehr werden Unterschichtungsprozesse gefördert. Die MigrantInnen besitzen in der Mainstream-Öffentlichkeit kaum symbolisches Kapital, das sie den rassistischen Agitationen entgegenhalten oder das sie für die Durchsetzung ihrer Interessen einsetzen können.

Als Unterschicht bleiben sie in der bürgerlichen Gesellschaft tendenziell mit den Stigmata der Krankheit und der Gefährlichkeit behaftet. MigrantInnen werden auch symbolisch von nicht rassistisch diskriminierten Unterschichten abgespalten; z. B. durch Diskurse rund um den Zugang zu billigen Wohnungen in Gemeindebauten. Dieses Privileg, das eine soziale Ausgleichsmaßnahme konzipiert ist, würde lange Zeit nur für StaatsbürgerInnen reserviert. Durch solche offizielle Herangehensweise wurden und werden auch die anderen Aggressionen gegen MigrantInnen vorweg entschuldigt und die alteingesessenen Unterschichten als bedrohte Spezies konstruiert, deren Abwehrhaltung verständlich sei.

Rassismus legitimiert

Damit werden rassistische Einstellungen als quasinatürlich legitimiert, anstatt dass ihnen gegengesteuert wird. Die MigrantInnen haben in der Mainstream-Öffentlichkeit keine eigene Stimme, keine anerkannten legitimen RepräsentantInnen, um sich gegen solche diskriminierende Vorgängen, gegen rassistische Gesetzesmaßnahmen und gegen die sie benachteiligende Diskurse effektiv zur Wehr setzen zu können.

Entsprechend dieser ausgrenzenden Tradition mündete die Einwanderung in Österreich in eine sozial gespannte Multikulturalität, d.h. in ein Nebeneinander der Gruppen, die als kulturell unterschiedlich definiert werden.

Die real existierende Multikulturalität in Österreich ist eine über mehrere Jahrhunderte andauernde Tradition. Ihre Anfänge hat sie in den Toleranzpatenten von Joseph II. und in ihrem jetzigen Brennpunkt steht die Frage, ob Österreich ein Einwanderungsland ist oder nicht bzw. welche Rechte MigrantInnen eingeräumt werden sollen. Es versteht sich von selbst, dass jegliche undifferenzierte Vorgangsweise sich durch die Propaganda leicht gegen die neue Minderheiten oder anderen Gruppen lenken ließe, deren Diffamierung und Verfolgung politischen Vorteil verspricht.

Protektionismus von AK und ÖGB

Leider haben die machtrelevanten Interessensvertretungen der Arbeiter und Arbeiterinnen in Österreich entlang der nationalen protektionistischen Linie ein halbes Jahrhundert lang hauptsächlich durch eine - stillschweigende aber umso effektiver - Solidarität mit Verfolger und Diffamierer der MigrantInnen geglänzt.

Ob dieser entsolidarisierende Einstellung fortgesetzt wird, wird die Zeit zeigen, eines dürfen wie nie vergessen: Wenn wir von MigrantInnen reden, dann reden wir zum einem überwältigenden Teil über die ärmsten Arbeiterinnen und Arbeiter und dieser würden in der Geschichte, zwecks der optimaler Verwertung ihrer Arbeitskraft, der Öffentlichkeit, seit je als Gefahr präsentiert.

Ljubomir Bratić ist Philosoph. Lebt und arbeitet in Wien. Zuletzt veröffentlicht: Politische Antirassismus. Selbstorganisation, Historisierung als Strategie und diskursive Interventionen, Löcker Verlag Wien.

Anmerkungen:
1 Zu den angeführten Zahlen in diesem Abschnitt vergleiche Bernhard Perchinig 2003, 16ff.
2 Das „AuslBG" wurde am 20.März einstimmig im Nationalrat verabschiedet und am 1.Jänner 1976 in Kraft gesetzt (AuslBG 218/1975)" (Matuschek, 1986, 185) Dieses Gesetz würde von der Alleinregierung Bruno Kreiskys vorgeschlagen und beschlossen. Wenn Kreisky in Österreich zu linke Ikone stilisiert wird darf die Tatsache solcher Expost der Arbeitslosigkeit nicht verschwiegene werden.
3 Matuschek, 1985, 195-196

Literatur
- Bratić, Ljubomir (2010) Politischer Antirassismus. Selbstorganisation, Historisierung als Strategie und diskursive Interventionen. Wien.
- Matuschek, Helga: Ausländerpolitik in Österreich 1962-1985. Der Kampf um und gegen die ausländischen Arbeitskräfte. In: Journal für Sozialforschung, 25. Jg. (1985) Heft 2, S159-265.
- Perchinig, Bernhard: Einwanderung und Einwanderungspolitik in Österreich. In: Zwicklhuber, Maria (Hg.): Interkulturelles Zusammenleben und Integration als kommunalpolitische Herausforderung. Handbuch für die interkulturelle Gemeindearbeit. Wien. 2003.