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Nicht prüfen, sondern (um)verteilen!

  • Montag, 11. April 2011 @ 11:10
Meinung Von Melina Klaus

Wer verteilt besser? Die Gießkanne oder der „treffsichere“ Strahl? Und wie fühlt sich das an, wenn man drunter steht? Es gibt Sozialleistungen, die unabhängig vom Erwerbsstatus und der Einkommenshöhe gewährt werden sowie Leistungen mit Bedarfsprüfung. Aktuell ist diesbezüglich wohl die bedarfsorientierte Mindestsicherung, kurz bMS. Was bedarfsorientiert heißen kann, hierzu möchte ich zu einem kleinen Exkurs einladen. Wenige Wochen nach Einführung der bMS kam die Gemeinde Wien auf die Idee, in Notschlafquartieren von bMS-BezieherInnen Nächtigungsgeld einzuheben. Die Mindestsicherung warf ihre ersten Schatten. Und die Bedarfsorientierung hielt, was sie leider verspricht: Neiddebatten, Verdächtigungsklima, gesellschaftliche Spaltungswirkung, die auch noch wunderbar politisch genutzt werden kann. Menschen die 186 Euro Wohngeld beziehen, dann aber gratis schlafen, beziehen dieses Geld zu Unrecht. (Die haben sich das nicht verdient! Die kassieren doppelt! Das ist ungerecht! Oder?) Also müssen sie bezahlen bzw. wird ihnen einfach wieder etwas abgezogen.

Zu befürchten ist, dass hier an den Schwächsten geprobt wurde, was längst in der bMS angedacht ist. Dazu eine Nachricht aus Deutschland: Der Regelsatz von Hartz IV (ALG2) enthält den Posten „Ernährung“. Es dauerte nicht lange, bis der Gesetzgeber folgende „Ungerechtigkeit“ entdeckte: Wenn du in stationärer Behandlung bist, wirst du dort von der Krankenversicherung verköstigt, (detto ungerecht! Abkassierer! Doppelter Nutznießer!) deshalb wird dir der Ernährungssatz vom Regelsatz in dieser Zeit abgezogen!

Nach Protesten und Diskussionen, ließ der barmherzige Staat Milde walten. 21 Tage darfst du doppelt föllern, nach 21 Tagen stationärer Behandlung bekommst du einen Rückzahlungsbescheid. Auch Geschenke (für Kinder) und Unterstützungen aus der Familie können übrigens „unrechtmäßig“ sein, wenn sie im Regelsatz von HartzIV eingerechnet sind. Der deutsche Autor Ronald Blaschke dazu: „Bedürftigkeitsgeprüfte Transfersysteme sind einem ständigen Abschaffungs- und Senkungsdruck ausgesetzt, da jederzeit (bewusst) geschürt werden kann, dass einzelne Personen oder Zielgruppen zu Unrecht Transfers beziehen (und Nichttransferbeziehende die Leidtragenden wären).“

Je multipler und komplexer die Bedarfsprüfung bzw. die soziale Staffelung (gern treffsicher genannt), desto weiter entfernen wir uns von Umverteilung und Grundrechten! Das „Recht auf...“ der Gesellschaftsmitglieder wird in Frage gestellt. Ein Sozialstaat kann sich jedoch nicht allein an zu definierendem Bedarf oder individuellem Leisten von Beiträgen (Umlage) orientieren. Auch Lohn- und Tarifpolitik kann nicht genügen, wenn Löhne sinken und Tarifpolitik gesellschaftliche Unverhältnisse weiter reproduziert (vergleichen wir dazu etwa die Kollektivverträge mehrheitlich männlicher und weiblicher Branchen).

Vielmehr gilt, es ist genug für alle da. Und das bedeutet übersetzt: Freifahrt auf öffentlichen Verkehrsmitteln, kostenloser Zugang zu Kultureinrichtungen, kostenlose Kinderkrippen und -gärten, offene Bildungs- und Weiterbildungsangebote für alle Menschen, der Ausbau kostenloser Kommunikationsmöglichkeiten (z.B. freies WLAN, Zugang zu kostenlosen Zeitungs- und Zeitschriftenabos, öffentliche Orte ohne Konsumtionszwang, …), die Realisierung einer kostenlosen Energiegrundsicherung, mit welcher Wohnen leistbarer wird.

Wohnen, Gesundheit, Bildung, Mobilität sind Grundvoraussetzungen für ein Leben in Würde, welches angesichts der Prekarisierung der Gesellschaft immer schwieriger wird. Und sollten Grundrechte sein, unabhängig davon ob der/die Betroffene selbst, dessen Vater, Mutter, Großvater, Ehemann bzw. Ehefrau ein Millionär, Häuselbauer oder Mittelschicht ist.

Soziale Leistungen für alle Menschen – unabhängig vom Einkommen und Vermögen – bringen einerseits enorme Einsparungen im Verwaltungsapparat, doch vor allem entfällt Restriktion, Kontrolle und Stigmatisierung der Anspruchsberechtigten.

Von der sogenannten Gießkanne profitieren die, die's am nötigsten brauchen und die „große Mehrheit“, die es auch nicht dicke hat, wie wir an jeder Statistik zur Einkommensverteilung ablesen können. Und es ist unvergleichlich mehr zu gewinnen als zu verlieren (an die Hofratswitwen), wenn die Möglichkeiten an Teilhabe oder Mobilität für alle steigen und gesellschaftliche (Teil)Bereiche, der kapitalistischen Verwertungslogik entzogen werden.

Das Gießkannenprinzip wird bereits angewandt. Schulbücher, Pflichtschulen, Gratiskindergarten, Familienbeihilfe, Bausparvertragsförderung. Bleibt also die Frage – Eindämmung oder Ausbau des Prinzips? Wenn nicht Ausbau, dann sogar Abschaffung oder den Status quo erhalten? Wenn den Status quo erhalten, warum das? Der ist doch lange nicht genug!

Melina Klaus arbeitet als Sozialpädagogin in Wiener Neustadt