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Inflation – statistisch und real

  • Freitag, 8. April 2011 @ 14:16
Meinung Von Michael Graber

Für dieses Jahr rechnen die Wirtschaftsforschungsinstitute mit einem deutlichen Anstieg der Inflation und damit der Verbraucherpreise.

Trotz des nominellen Zuwachses der Löhne und Gehälter um etwa 2,5 Prozent werden sich die Reallöhne um 0,3 Prozent und damit die Kaufkraft verringern, da die Inflation um 2,8 Prozent steigen wird. Bei den PensionistInnen geht die Schere noch weiter auseinander, da die Pensionserhöhung nur 1,2 Prozent betragen hat. Diese Zahlen sagen aber für eine große Mehrheit der arbeitenden Menschen und PensionistInnen aber nur einen Teil der Wahrheit. Die Inflation wird mit dem Verbraucherpreisindex (VPI) gemessen, der wiederum von der Statistik Austria verlautbart wird. Der zuletzt angewendete VPI ist der VPI 10, der die Preise eines Warenkorbs im Jahr 2010 mit 100 angibt. dieser Index steht derzeit (Feber 2011) bei 101,7; das heißt, dass die so gemessene Inflation seit Jänner 2010 um 1,7 Prozent gestiegen ist. Die Inflationsentwicklung früherer Jahre kann durch die Verknüpfung mit früheren Indizes ermittelt werden.

Entscheidend an der Sache ist der Warenkorb. Dieser wird durch eine Konsumerhebung zusammengestellt. Eine bestimmte Zahl von Haushalten führt über ihre Konsumausgaben Buch. Auf dieser Grundlage werden die anteiligen Gewichte der Ausgaben für einzelne Waren oder Warengruppen, Dienstleistungen und sonstige Ausgaben aller Haushalte bemessen. Macht eine Warengruppe zehn Prozent des Warenkorbs aus und steigt deren Preis um zehn Prozent, beeinflusst sie die Teuerung des gesamten Warenkorbs um 1 Prozent.

Nun ist dieses ganze Verfahren auf Durchschnittswerte ausgerichtet. So ergibt sich z.B. dass das Gewicht der Nahrungsmittel und alkoholfreien Getränke im derzeitigen VPI10 12 Prozent beträgt. Im Warenkorb für den VPI05 war das Gewicht noch 12,8 Prozent und im VPI00, also vor zehn Jahren 13,2 Prozent. Ist der Anteil der Ausgaben für Nahrungsmittel und alkoholfreien Getränke in diesem Zeitraum wirklich gesunken? Möglicherweise im Durschnitt aller Haushalte. Aber der Durchschnitt der Einkommen aller Haushalte spiegelt nicht die wirklichen Einkommensverhältnisse wieder.

So konzentrieren sich etwa zwei Drittel aller sozialversicherungspflichtigen Einkommen auf nur zwei Fünftel aller Einkommensbezieher. Für den Rest, also einer großen Mehrheit von drei Fünftel aller Einkommensbezieher bleibt nur ein Drittel aller Einkommen übrig. Bei den lohnsteuerpflichtigen Einkommen beträgt diese Verteilung sogar 70 Prozent zu 30 Prozent. Und da sind die Beamtengehälter noch nicht dabei, die im Durchschnitt sowieso höher sind. Es liegt auf der Hand, dass das Gewicht der Konsumausgaben für Nahrungsmittel für die unteren drei Fünftel, die nur über ein Drittel der Einkommen verfügen relativ höher ist als für die oberen zwei Fünftel, die über zwei Drittel der Einkommen verfügen. Dieser Unterschied wird durch die Durchschnittsbildung ausgelöscht, unsichtbar gemacht.

Aus diesem Grund hat der Österreichische Seniorenrat seinerzeit beantragt einen eigenen Pensionistenindex zu berechnen. Dessen Warenkorb berücksichtigt die spezifischen Ausgaben von PensionistInnenhaushalten stärker als der des VPI. PensionistInnen haben ein wesentlich geringeres Einkommen, daher machen die Ausgaben des täglichen Bedarfs einen größeren Anteil an den Gesamtausgaben aus als im Durchschnitt aller Haushalte. Steigen die Preise dieser Ausgaben, schlagen sie stärker auf die Teuerungsrate des Warenkorbs durch.

Tatsächlich, nimmt man die letzten fünf Jahre, weist der Pensionistenindex jedes Jahr eine deutlich stärkere Teuerung aus als der VPI: Von 2006 bis 2010 stieg der VPI in Summe um 9,5 Prozent, der Pensionistenindex hingegen um 11,2 Prozent.

Das ist ein starkes Indiz dafür, dass die Teuerung für alle Haushalte mit niederen Einkommen und nicht nur die der PensionistInnenhaushalte größer ist als die offiziell mit dem VPI gemessene. Die von vielen Menschen „gefühlte“ Teuerung, die der offiziell gemessenen meist davon eilt, ist also die eher richtige.

Denn die Preise der Güter und Dienstleistungen des täglichen Bedarfs entwickeln sich in der Regel rascher nach oben als andere, z.B. langlebige Konsumgüter und industrielle Haushaltswaren , die man/frau sich vielleicht nur einmal im Leben anschafft oder eine weite Urlaubsreise, die man/frau sich vielleicht alle zehn Jahre einmal leistet. Übrigens: Ein Drittel aller ÖsterreicherInnen kann sich überhaupt keinen Urlaub leisten.

Insgesamt betragen die Ausgaben, bzw. das Gewicht der Güter und Dienstleistungen des täglichen Bedarfs im Warenkorb des gegenwärtigen Verbraucherpreisindex VPI10 etwa 40 Prozent. Darunter Nahrungsmittel mit zwölf Prozent und Wohnen, Energie und Wasser knapp 19 Prozent. Das ist bei einem Haushalt mit einem mittleren monatlichen Nettoeinkommen von 1462 Euro schon Illusion. 50 Prozent aller arbeitenden Menschen in Österreich verdienen aber weniger, von PensionistInnen ganz zu schweigen. Bei diesen machen die Ausgaben des täglichen Bedarfs 80 Prozent und darüber aus. Viele Familien müssen allein für Wohnen 30 Prozent und mehr ihres Einkommens aufwenden.

2008 betrug der Preisindex für Nahrungsmittel 112,8 (2005=100) und für Wohnen 112,1 während der gesamte Preisindex nur 107,0 auswies. Die Teuerung für Nahrungsmittel und Wohnen war also fast doppelt so stark als „im Durschnitt“ der Teuerung ausgewiesen. Inzwischen (Feber 2011) beträgt der Index für Nahrungsmittel 117,6 und der für Wohnen, Wasser und Energie 119,3 während der offizielle VPI05 111,3 ausweist.

Deshalb brachte der GLB-Arbeiterkammerrat Robert Hobek bei der letzten Vollversammlung der Wiener Arbeiterkammer einen Antrag ein, der eine Neuberechnung des Verbraucherpreisindex auf der Basis der tatsächlichen Ausgaben der großen Mehrheit der arbeitenden Menschen und PensionistInnen fordert. Dabei sind allerdings sozialpartnerschaftliche Hürden zu überwinden. Denn die Zusammensetzung des Warenkorbs und die für die Konsumerhebungen herangezogenen Haushalte sind letztlich keine rein statistische Angelegenheit. Sie spiegelt auch die Interessen der Auftraggeber wider.

Michael Graber ist Volkswirt und Wirtschaftssprecher der KPÖ