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„Kostenschieben“ – ein neues Gesellschaftsspiel

  • Dienstag, 8. Februar 2011 @ 08:02
OÖ Von Karin Antlanger

Am 13. und 14. Dezember des Vorjahres traten rund 190 MitarbeiterInnen von pro mente OÖ und EXIT-sozial in einen zweitägigen Warnstreik.

Anlass dafür war, dass die Sozialabteilung des Landes OÖ unter der Führung des sozialdemokratischen LH-Stellvertreters und SPÖ-“Erneuerers“ Josef Ackerl mitgeteilt hatte, dass für die Bereiche sozialpsychiatrische und psychosoziale Krisenintervention, Beratung und betreute Freizeitangebote das Budget für die Sozialvereine ab Jänner 2011 um 33 Prozent gekürzt werde. Begründung: Der Sozialabteilung des Landes OÖ fehlen die nötigen Gelder und so müsse dort gespart werden, wo es sich um Bereiche handle, die nicht in den sogenannte Pflichtleistungsbereich der Sozialabteilung fallen.

Abschieben ins Spital?

Krisenintervention z.B. sei doch eher dem Bereich Gesundheit zuzuordnen, weshalb hier eingespart werden müsse, ebenso bei Beratung und Psychotherapie, ganz abgesehen von Freizeiteinrichtungen für psychisch Kranke. Der Soziallandesrat schiebt also einen Teil der Kosten in das Gesundheitsressort – dort hatte man aber bisher mit diesen Kosten nichts zu tun, d.h., es ist dort auch kein Budget dafür vorgesehen. Die Gebietskrankenkasse ihrerseits fühlt sich auch nur (begrenzt) für Psychotherapie zuständig.

SP-Chef Ackerl stieß selbst in den eigenen Reihen auf Widerstand. So meinte er etwa, dass psychosoziale Hilfe verstärkt in den Spitälern angeboten werden könne. Dass aber die Kosten in Spitälern viermal (!) so hoch sind wie in sogenannten extramuralen Einrichtungen, scherte ihn dabei nicht – sind ja nicht die Kosten seines Ressorts.

Egal, wohin die Kosten verschoben werden, auf der Strecke bleiben die Beschäftigten und die zu Betreuenden. So waren in OÖ Ende November 113 MitarbeiterInnen von pro mente und EXIT-sozial beim AMS über das Frühwarnsystem zur Kündigung angemeldet, ein sprunghafter Anstieg der Wartelisten für psychosoziale Beratung in den einzelnen Beratungsstellen auf bis zu einem Jahr vorprogrammiert, die Schließung von einzelnen Freizeiteinrichtungen, Beratungsstellen und auch Krisenangeboten in Planung.

Totgeschwiegener Streik

Der vom Präsidium der GPA-djp und dem ÖGB-Vorstand freigegebene Streikbeschluss wurde zwar sowohl von den Betriebsräten der beiden Betriebe als auch von der GPA-djp OÖ an alle Medien ausgesendet – die in Oberösterreich maßgeblichen „OÖN“ und der ORF-OÖ, die sich ja beide zum sog. Qualitätsjournalismus zugehörig wähnen, weigerten sich bis zum Streikbeginn, auch nur irgendetwas darüber zu berichten.

Da waren die Gratisblätter und „Krone“ und „Österreich“ sowie diverse Privatsender ja noch richtiggehend informativ, als sie über die finanzielle Misere der Vereine und die Gefährdung der psychosozialen Versorgung bzw. über die Streikbeschlüsse berichteten.

Wessen Pressefreiheit?

Die Informationspflicht des ORF, mit der ja gerne die Gebührenpflicht der BürgerInnen argumentiert wird, geht offenbar nur so weit, als der Landeshauptmann oder die Politik dies zulässt. Wenn im oberösterreichischen Medienwald quasi über jede Fertigstellung einer Goldhaube oder die offizielle Eröffnung eines Randsteines in Pucking berichtet wird, so ist dann kaum mehr Platz für die Berichterstattung über einen zweitägigen lückenlosen Streik in den von Kürzungen betroffenen Einrichtungen der beiden Vereine.

In den österreichischen Massenmedien aber auch innerhalb der Linken wurde der Streik zwar zur Kenntnis genommen – vereinzelt trafen auch Unterstützungserklärungen und Solidaritätsbekundungen ein – allein die Entführung eines Pudelwelpen löst erfahrungsgemäß mehr mediale Empörung aus als die Kündigungsanmeldung von 113 MitarbeiterInnen in Sozialdiensten.

Als im selben Monat die AUA-Angestellten einen Streikbeschluss fassten (und dann eh nicht streikten), war dies mehrere Meldungen im „Zeit im Bild“ des ORF wert. Wenn SozialarbeiterInnen, PsychologInnen, TherapeutInnen, PädagogInnen zwei Tage lang streiken, ist dies grad mal erwähnenswert. Kommt dies etwa daher, dass den Menschen vermittelt werden soll, dass dieses „linke Sozialarbeiterpack eh nur a bisserl redet und dafür teuer bezahlt werden will“. Der alte Sozialarbeiterwitz „Hauptsache, wir haben darüber geredet“ spricht Bände.

Politische Disziplinierungsmaßnahme?

Man kann ja nicht mal behaupten, dass die Kürzungen im Sozialbereich das große Geld bringen würden, jene Millionen, die das Land dann in umstrittene Projekte wie den Westring (80 Millionen von Land und Stadt Linz) oder die Schischaukel in Hinterstoder (60 Millionen) steckt, denn die drei oder vier Millionen, die durch die Kürzungen schlussendlich eingespart werden machen das Kraut auch nicht fett.

Es drängt sich hier viel mehr die Vermutung auf, dass unliebsame weil aufmüpfige Betriebe, deren Belegschaften und auch Geschäftsführungen nicht zu allem, was aus den Parteizentralen ob der Enns kommt, Ja und Amen sagen, in die Schranken gewiesen werden sollen.

Auch hat Pühringer kundgetan, dass bei den Sozialvereinen eine Flurbereinigung stattfinden solle. Da ist er sich mit seinem roten Stellvertreter offensichtlich einig – übrig bleiben sollen dann die großen schwarzen und roten Parteivorfeldorganisationen wie Hilfswerk, Volkshilfe, Caritas etc., die auf politischen Zuruf funktionieren.

Das war erst der Anfang!

Mehr, schneller und billiger – das Credo der Betriebswirte, die einen immer stärkeren Einfluss auf die Sozialplanung in den Bundesländern nehmen, treibt mittlerweile schräge Blüten: anstatt zu evaluieren, ob die Qualität der Betreuung stimmt und den Hilfesuchenden wirklich geholfen werden kann, zählt nur noch der sog. Output, also Pflege-und Betreuungsminuten. Jeder Beistrich ist zu dokumentieren, jede Minute Wegzeit extra festzuhalten.

Alles, was nicht in Form von Zahlen oder in Skalen erfasst werden kann, wie z.B. Empathie, Zeit nehmen und zuhören, Eingehen auf persönliche Eigenarten, ist rechnerisch nicht messbar und erfassbar und wird daher nicht bezahlt.

Vorreiter für Prekarisierung

Mitte Jänner, nachdem bei pro mente ein Sozialplan ausverhandelt war und EXIT-sozial ein Solidaritätsmodell beschlossen hatte, nach welchem sich die KollegInnen die Kürzungen praktisch „aufteilen“, indem freiwillig Stundenausmaße reduziert werden bzw. Bildungskarenzen und Sabbaticals verstärkt in Anspruch genommen werden, kommt der nächste Schlag: Der rote LHStv lässt schriftlich ausrichten, dass die BAGS-KV-Erhöhungen (zwei Prozent ab Februar) vom Land nicht bezahlt werden. Ebenso werden die Steigerungen beim Sachaufwand (Mieten, Betriebskosten, Reparaturen etc.) den Vereinen nicht abgegolten.

Das Gleiche in Salzburg: auch dort wird die Abgeltung der KV-Erhöhung bei den Löhnen und Gehältern verweigert. Und auch die OÖGKK hat bereits mitgeteilt, dass sie KV-Erhöhungen für TherapeutInnen nicht abgelten werde.

Kein angemessener Preis

Die Geschäftsführungen der Sozialvereine sind gesetzlich verpflichtet, die KV-Erhöhungen zu bezahlen – bekommen dieses Geld aber nicht von den Kostenträgern. Eines muss man den sogenannten Sozialabteilungen der Landesregierung lassen: sie haben bei der Wirtschaft gelernt, nämlich indem sie Waren bzw. Dienstleistungen kaufen wollen, aber dafür keinen angemessenen Preis zahlen wollen. So wie z.B. große Handelsketten den Bauern die Preise diktieren ohne Rücksicht auf die Steigerung der Gestehungskosten, so diktieren die öffentlichen Kostenträger die sog. Leistungspreise ohne Rücksicht auf Kostensteigerungen.

Aber auch PolitikerInnen und deren Angehörige werden eines Tages alt, pflegebedürftig und angewiesen auf Dienstleistungen, die sie heute am liebsten unbezahlt hätten. Und dann sollen sie schauen, ob sie die gewünschte Qualität für ein Butterbrot bekommen.

Karin Antlanger ist Betriebsratsvorsitzende von EXIT-sozial Linz und Stv. GLB-Bundesvorsitzende