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Frei und willig, vor allem billig

  • Montag, 31. Januar 2011 @ 13:07
Meinung Von Bärbel Mende-Danneberg

Das „Ehrenamt“ soll durch das EU-„Jahr der Freiwilligentätigkeit 2011“ zu neuen Ehren kommen. Wieso gerade jetzt? Besteht etwa ein Zusammenhang von ehrenamtlicher Tätigkeit, Budgetsanierung, Geschlechterverhältnissen und Arbeitslosigkeit? In Österreich liegt der Durchschnitt der deklarierten Freiwilligen mit über 43 Prozent deutlich über dem in der EU: Über drei Millionen Menschen unseres Landes (europaweit: 20 Prozent) arbeiten freiwillig und unbezahlt in allen denkbaren Lebensbereichen - von der Betreuung alter Menschen, dem Engagement in Flüchtlings-, Sozial- oder Fraueneinrichtungen bis hin zum „Ehrenamt“ in Traditions- und Sportvereinen oder in politischen Parteien.

Das war schon immer so, ich denke nur an die vielen unbezahlten Arbeitsstunden in den neuen sozialen oder ökologischen Bewegungen, in der Kinderladenbewegung oder in der Frauen- und Friedensarbeit. Neu ist, dass „in diesem Jahr die Tätigkeit von Freiwilligen gewürdigt, die damit verbundenen Probleme angepackt und die Öffentlichkeit zum Mitmachen angeregt werden“ soll, wie es in einer Aussendung der EU-Kommission heißt. Denn „Freiwilligentätigkeit kommt der Allgemeinheit zugute und führt Gemeinschaften zusammen“.

Es scheint, die Allgemeinheit ist zwingend und in steigendem Maß angewiesen auf die Freiwilligentätigkeit. Das Werkel Staat könnte ohne sie nicht funktionieren und angesichts des budgetären Kahlschlags selbst zum „Sozialfall“ verkommen. Dementsprechend heißt es auch in einer EU-Pressemitteilung: „Im Rahmen der ausgeübten Tätigkeiten können neue Fähigkeiten und Kompetenzen erworben und damit sogar die Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt verbessert werden. Dies ist angesichts der derzeitigen Wirtschaftskrise besonders wichtig.“

So also läuft der Hase: „Für die soziale und wirtschaftliche Entwicklung Europas bietet die Freiwilligentätigkeit viele aber noch in weiten Teilen ungenutzte Möglichkeiten. Die Kommission erwartet vom Europäischen Jahr der Freiwilligentätigkeit, dass mehr Menschen sich ehrenamtlich engagieren und dass das Bewusstsein für den Mehrwert dieses Engagements gesteigert wird.“ (EU-Aussendung).

Wenn vom „Ehrenamt“ gesprochen und verstärktes freiwilliges Engagement eingefordert wird, geht mein Verdacht, wer denn da angerufen wird, zu allererst zum weiblichen Bevölkerungsteil. Und in der Tat, 80 Prozent der häuslichen Pflege von Angehörigen wird privat, zum Großteil von Frauen, geleistet. Bei einer Straßenumfrage zum diskutierten „freiwilligen“ Sozialdienst im Zuge der Bundesheerdiskussion konnten sich auch nur wenige Burschen vorstellen, im Pflegebereich tätig zu sein, vielmehr schwebte ihnen Engagement in Sport- oder zivilgesellschaftlichen Einrichtungen vor. Es wird wahrscheinlich auch bei der freiwilligen Arbeit zu geschlechtsspezifisch geteilten Arbeitsfeldern kommen.

Die EU-Forderung nach Aufwertung und Bezahlung der Freiwilligenarbeit ist in gewisser Weise eine Vorwegnahme der zu radikalisierenden Diskussion für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Dass die Betroffenen nicht mit einem Bettel abgespeist werden, ist eine politische Kampffrage. Die EU-Kommission hat die Bereitstellung von lächerlichen acht Millionen Euro für das Europäische Jahr selbst und von zwei Millionen Euro für vorbereitende Maßnahmen veranschlagt. Durch das „Ehrenamt“ erspart sich der österreichische Staat eine Menge Geld, Freiwillige erfüllen dabei das Pensum von 400.000 Vollzeitbeschäftigten. Müsste dafür bezahlt werden, fielen Lohnkosten von 16 Milliarden Euro an. Soviel zum Wert der (Freiwilligen-)Arbeit.

Im Grunde wird unsere Gesellschaft nicht drum herum kommen, auf die veränderten Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen in den neoliberal ausgeplünderten EU-Staaten zu reagieren. „Viele der Arbeitslosen, Rentner und Wenig-Verdienenden waren – wie wir heute wissen – Pioniere einer ‚new work‘-Bewegung. Sie hatten nur eine ‚Halbtagsstelle‘, um ‚nebenbei‘ Zeit für ihr Eigentliches, ihre Kunst oder ihr ehrenamtliches Engagement etwa in einer Galerie, zu haben“ (Elisabeth Meyer-Renschhausen).

Oder wie es Frigga Haug in ihrer „Vier-in-einem-Perspektive“ im Zusammenhang mit einer Politik von Frauen für eine neue Linke skizziert: „Die Fragen, die die Frauenbewegung aufgeworfen hat, sind nicht lösbar, ohne alte Arbeitsteilungen grundsätzlich umzuwerfen. Alles andere ist Flickwerk, nicht haltbar.“

Bärbel Mende-Danneberg ist Journalistin und lebt in Wien