Arbeitszeitverkürzung aktueller denn je
- Donnerstag, 28. Oktober 2010 @ 09:42
Von Leo Furtlehner
Zwei Aussagen ließen bei der Tagung „Arbeit fair teilen“ der oö AK am 11. Oktober 2010 aufhorchen. Jörg Flecker (FORBA) erklärte mit Verweis auf die enorme Produktivität, dass es gilt, einen „neuen gesellschaftlichen Arbeitszeitstandard“ bei 30 Stunden pro Woche anzusetzen um tendenziell Teilzeitarbeit überflüssig zu machen.
Und Markus Marterbauer (Wifo) stellte fest, dass es ohne Arbeitszeitverkürzung nicht gelingen wird die krisenbedingt gestiegene hohe Sockelarbeitslosigkeit zu reduzieren. Aufschlussreiche Umfragen
Wichtige Aufschlüsse zum Thema lieferten eine ISW-Befragung von 650 Betriebsräten im Juni 2010 und die IFES-Arbeitsklimaindex-Auswertung von 11.000 Interviews von 2007 bis 2010.
Demnach werden in Industrie und Gewerbe in 75 Prozent der Betrieben regelmäßig Überstunden geleistet, in Dienstleistung und Handel sogar 80 und im Sozial- und Gesundheitswesen 55 Prozent. Überstunden sind eine männliche Domäne: nur zwölf Prozent der Frauen, aber 23 Prozent der Männer geben an häufig Überstunden zu leisten. Das ist freilich gegenläufig mit der Arbeitszufriedenheit, denn 47 Prozent der häufig Überstunden Leistenden geben an gar nicht zufrieden zu sein, nur 19 Prozent sind damit sehr zufrieden.
Der Wunsch nach kürzerer Arbeitszeit steigt mit dem Bildungsniveau: Beträgt der bei PflichtschulabsolventInnen nur 22 Prozent, so bei HochschulabsolventInnen 47 Prozent. Und 74 Prozent jener, für welche Überstunden kein wichtiger Teil des Einkommens sind plädieren für weniger Überstunden, hingegen 51 Prozent jener die auf solche beim Einkommen angewiesen sind. Über 80 Prozent der Betriebsräte unterstützen in unterschiedlicher Intensität eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohnausgleich. Und laut IFES-Auswertung plädieren 44 Prozent jener die ihren Arbeitsplatz als sehr sicher sehen, aber nur 30 Prozent jener die ihn als sehr unsicher sehen für kürzere Arbeitszeiten.
Im EU-Spitzenfeld
Österreich rangiert mit einer realen Wochenarbeitszeit von 40,6 Stunden (1. Quartal 2010) im Spitzenfeld der EU, der EU-Durchschnitt beträgt 39,7 Stunden, in Finnland sogar nur 37,6 Stunden. Die letzte Arbeitszeitverkürzung in Österreich fand von 1970 bis 1975 statt, als die Wochenarbeitszeit von 45 auf 40 Stunden verkürzt wurde.
Es ist ein positives Signal, dass AK und ÖGB dem Unternehmer-Credo der Flexibilisierung jetzt doch eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung entgegensetzen. Der ÖGB fordert seit der Ära Dallinger in den 80er Jahren zwar regelmäßig die 35-Stundenwoche, hat sich praktisch aber auf die Flexibilisierung eingelassen – mit dem Ergebnis einer der längsten realen Wochenarbeitszeiten der EU.
Neben einer Stärkung der Kaufkraft und damit der Inlandsnachfrage durch entsprechende Reallohnerhöhungen und einem öffentlichen Investitionsprogramm zur Stärkung der Infrastruktur ist eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung ein wichtiges beschäftigungspolitisches Instrument. 155 Millionen Überstunden im ersten Halbjahr 2010 – davon 21 Prozent unbezahlt – die rund 700.000 Beschäftigte leisten müssen zeigen das enorme Potential einer Arbeitszeitverkürzung.
Laut Flecker hat entgegen diversen politischen Zweckbehauptungen die in Frankreich vor einem Jahrzehnt durchgeführte Arbeitszeitverkürzung auf 35 Stunden trotz Verschlechterung durch die konservative Regierung und Ausnahmen für Kleinbetriebe deutliche positive Effekte gebracht.
Arbeitszeitverkürzung ist finanzierbar
Die seit den 70er Jahren laufend gesunkenen Lohnstückkosten – vor allem in der Industrie – und die gestiegene Produktivität sowie ein von 14.600 Euro (1970) auf 31.300 Euro (2010) mehr als verdoppeltes Bruttoinlandsprodukt pro Kopf zeigen die Finanzierbarkeit einer Arbeitszeitverkürzung ohne Lohn- oder Gehaltsverluste als Instrument einer gesellschaftlichen Umverteilung. Marterbauer meint auch, dass eine kürzere bezahlte Arbeit für Männer die Voraussetzung für kürzere unbezahlte und dafür längere bezahlte Arbeit von Frauen ist und es damit wiederum keine Ausreden für verstärkt durch Männer übernommene Betreuungspflichten gibt.
Die Notwendigkeit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, von Erwerbsarbeit mit Kinderbetreuung und Pflege, Sicherung der Gesundheit und lebensbegleitendem Lernen spricht für eine gewerkschaftliche Offensive für eine Arbeitszeitverkürzung wie sie der GLB unter dem Stichwort „Gute Arbeit – Gutes Leben“ vertritt.
Leo Furtlehner ist verantwortlicher Redakteur der „Arbeit“
Zwei Aussagen ließen bei der Tagung „Arbeit fair teilen“ der oö AK am 11. Oktober 2010 aufhorchen. Jörg Flecker (FORBA) erklärte mit Verweis auf die enorme Produktivität, dass es gilt, einen „neuen gesellschaftlichen Arbeitszeitstandard“ bei 30 Stunden pro Woche anzusetzen um tendenziell Teilzeitarbeit überflüssig zu machen.
Und Markus Marterbauer (Wifo) stellte fest, dass es ohne Arbeitszeitverkürzung nicht gelingen wird die krisenbedingt gestiegene hohe Sockelarbeitslosigkeit zu reduzieren. Aufschlussreiche Umfragen
Wichtige Aufschlüsse zum Thema lieferten eine ISW-Befragung von 650 Betriebsräten im Juni 2010 und die IFES-Arbeitsklimaindex-Auswertung von 11.000 Interviews von 2007 bis 2010.
Demnach werden in Industrie und Gewerbe in 75 Prozent der Betrieben regelmäßig Überstunden geleistet, in Dienstleistung und Handel sogar 80 und im Sozial- und Gesundheitswesen 55 Prozent. Überstunden sind eine männliche Domäne: nur zwölf Prozent der Frauen, aber 23 Prozent der Männer geben an häufig Überstunden zu leisten. Das ist freilich gegenläufig mit der Arbeitszufriedenheit, denn 47 Prozent der häufig Überstunden Leistenden geben an gar nicht zufrieden zu sein, nur 19 Prozent sind damit sehr zufrieden.
Der Wunsch nach kürzerer Arbeitszeit steigt mit dem Bildungsniveau: Beträgt der bei PflichtschulabsolventInnen nur 22 Prozent, so bei HochschulabsolventInnen 47 Prozent. Und 74 Prozent jener, für welche Überstunden kein wichtiger Teil des Einkommens sind plädieren für weniger Überstunden, hingegen 51 Prozent jener die auf solche beim Einkommen angewiesen sind. Über 80 Prozent der Betriebsräte unterstützen in unterschiedlicher Intensität eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohnausgleich. Und laut IFES-Auswertung plädieren 44 Prozent jener die ihren Arbeitsplatz als sehr sicher sehen, aber nur 30 Prozent jener die ihn als sehr unsicher sehen für kürzere Arbeitszeiten.
Im EU-Spitzenfeld
Österreich rangiert mit einer realen Wochenarbeitszeit von 40,6 Stunden (1. Quartal 2010) im Spitzenfeld der EU, der EU-Durchschnitt beträgt 39,7 Stunden, in Finnland sogar nur 37,6 Stunden. Die letzte Arbeitszeitverkürzung in Österreich fand von 1970 bis 1975 statt, als die Wochenarbeitszeit von 45 auf 40 Stunden verkürzt wurde.
Es ist ein positives Signal, dass AK und ÖGB dem Unternehmer-Credo der Flexibilisierung jetzt doch eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung entgegensetzen. Der ÖGB fordert seit der Ära Dallinger in den 80er Jahren zwar regelmäßig die 35-Stundenwoche, hat sich praktisch aber auf die Flexibilisierung eingelassen – mit dem Ergebnis einer der längsten realen Wochenarbeitszeiten der EU.
Neben einer Stärkung der Kaufkraft und damit der Inlandsnachfrage durch entsprechende Reallohnerhöhungen und einem öffentlichen Investitionsprogramm zur Stärkung der Infrastruktur ist eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung ein wichtiges beschäftigungspolitisches Instrument. 155 Millionen Überstunden im ersten Halbjahr 2010 – davon 21 Prozent unbezahlt – die rund 700.000 Beschäftigte leisten müssen zeigen das enorme Potential einer Arbeitszeitverkürzung.
Laut Flecker hat entgegen diversen politischen Zweckbehauptungen die in Frankreich vor einem Jahrzehnt durchgeführte Arbeitszeitverkürzung auf 35 Stunden trotz Verschlechterung durch die konservative Regierung und Ausnahmen für Kleinbetriebe deutliche positive Effekte gebracht.
Arbeitszeitverkürzung ist finanzierbar
Die seit den 70er Jahren laufend gesunkenen Lohnstückkosten – vor allem in der Industrie – und die gestiegene Produktivität sowie ein von 14.600 Euro (1970) auf 31.300 Euro (2010) mehr als verdoppeltes Bruttoinlandsprodukt pro Kopf zeigen die Finanzierbarkeit einer Arbeitszeitverkürzung ohne Lohn- oder Gehaltsverluste als Instrument einer gesellschaftlichen Umverteilung. Marterbauer meint auch, dass eine kürzere bezahlte Arbeit für Männer die Voraussetzung für kürzere unbezahlte und dafür längere bezahlte Arbeit von Frauen ist und es damit wiederum keine Ausreden für verstärkt durch Männer übernommene Betreuungspflichten gibt.
Die Notwendigkeit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, von Erwerbsarbeit mit Kinderbetreuung und Pflege, Sicherung der Gesundheit und lebensbegleitendem Lernen spricht für eine gewerkschaftliche Offensive für eine Arbeitszeitverkürzung wie sie der GLB unter dem Stichwort „Gute Arbeit – Gutes Leben“ vertritt.
Leo Furtlehner ist verantwortlicher Redakteur der „Arbeit“