Mythos Putsch
- Mittwoch, 27. Oktober 2010 @ 08:00
Von Manfred Mugrauer
Zum 60. Jahrestag des Oktoberstreiks fand im ÖGB-Haus eine gemeinsame Diskussionsveranstaltung der AK Wien, des Verbandes österreichischer gewerkschaftlicher Bildung (VÖGB) und der Alfred Klahr Gesellschaft statt.
Die große Streikbewegung vom September und Oktober 1950 wurde bis in die jüngere Vergangenheit herauf zum versuchten Staatsstreich, zum kommunistischen Putsch umgedeutet. Die Langlebigkeit dieser politischen Zwecklüge des Kalten Krieges hat gewiss nichts mit unzureichender historischer Forschung zu tun. Im Gegenteil: Ende der 1970er und in den 1980er Jahren sah es danach aus, als gehöre die „Putschthese“ in der zeitgeschichtlichen Forschung endgültig der Vergangenheit an.
Im Jubiläumsjahr 1990 gab kein/e Zeitgeschichtler/in von einiger Reputation dieser Behauptung Recht. Ende der 1990er Jahren kam es schließlich erneut in Mode, der KPÖ Machtergreifungspläne und Putschabsichten zu unterstellen. Das Putschmärchen ist heute vereinzelt wieder in der wissenschaftlichen Literatur anzutreffen. Nach wie vor nicht wegzudenken ist sie aus populärwissenschaftlichen Darstellungen. Als Minimalvariante ist die neue „Sprachregelung“ salonfähig geworden, dass die HistorikerInnen bei der Einschätzung des Oktoberstreiks zumindest geteilter Meinung seien und es kontroverse Interpretationen der Ereignisse gebe.
In der öffentlichen Meinung hatte sich – ungeachtet zeitgeschichtlicher Forschungen – ohnehin wenig an der Lang- und Zählebigkeit dieser Geschichtsmythen geändert, kümmern sich doch Politik und Medien kaum um wissenschaftliche Erkenntnisse: So ist in PolitikerInnenreden und schlecht recherchierten Zeitungsartikeln bis zum heutigen Tage immer wieder von angeblichen Putschplänen der KPÖ die Rede. Prominentes Beispiel dafür ist eine die Erklärung des damaligen Kanzlers Wolfgang Schüssel im März 2005 anlässlich des 50. Jahrestags des Staatsvertrags, dass die Putschpläne der KPÖ Realität gewesen seien.
Diesen Herbst ist es jedoch in der medialen Bezugnahme auf „60 Jahre Oktoberstreik“ deutlich ruhiger geworden um die Putschlüge: Schrieb Hans Werner Scheidl noch vor zehn Jahren in der Presse unter dem Titel „Putsch-Versuch der KPÖ“, dass „das Schicksal der jungen österreichischen Demokratie auf des Messers Schneide“ gestanden sei, so wagte er es in einer mehrteiligen Serie im September dieses Jahres nicht mehr, der KPÖ Putschabsichten zu unterstellen. Zutreffenderweise sprach Scheidl nunmehr von einem von der KPÖ unterstützten Streik. Auch die Heroisierung von Franz Olah und seiner Schlägertruppe zu „Rettern der Republik“ hielt sich dieses Mal in Grenzen.
Anhaltend zu kurz kamen in solchen Gedenkartikeln die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Rahmenbedingungen und die eigentliche Gründe für den Massenstreik. Nach wie vor wird die komplexe Vor- und Nachgeschichte der Streikbewegung auf die Frage reduziert, ob die KPÖ einen Putsch mit dem Ziel der Umwandlung Österreichs in eine Volksrepublik plante oder nicht. Dass die Gewerkschaftsführung die Lohn-Preis-Pakte der Regierung mit ihren Massenbelastungen unterstützte und die Agitation der KPÖ auf eine lohnpolitisch höchst sensibilisierte ArbeiterInnenschaft traf, rückt demgegenüber in den Hintergrund.
Ebenso wenig wird der Oktoberstreik als Höhepunkt einer langen Reihe von Klassenauseinandersetzungen der Jahre 1947 bis 1950 dargestellt: Bei den Lohnkämpfen, Massenkundgebungen und spontanen Streiks dieser Jahre spielten KommunistInnen eine entscheidende Rolle. Diese Kämpfe um bessere Entlohnung, Ernährung und Versorgung wurden jedoch keineswegs allein von der KPÖ getragen, in fast allen Fällen wirkten KommunistInnen, AnhängerInnen der SPÖ und empörte parteilose ArbeiterInnen zusammen.
Vor diesem Hintergrund wird die politische Funktion der legendenhaften Interpretation der Ereignisse deutlich: Die Preistreiberpakte, gegen die sich die Streikbewegung richtete, stellten eine Vorform jener Art der Herrschaftsausübung dar, der sich SPÖ, ÖVP und auch die Spitzen der Verbände in den Folgejahren bedingungslos verschrieben haben: dem System der Sozialpartnerschaft mit seiner Unterordnung des ÖGB unter Kapitalinteressen. Mittels Putschlüge wurde jeder Versuch, sich die Gewerkschaftsorganisation als Instrument im Klassenkampf zu erhalten, diskreditiert. Proteste gegen Massenbelastungen wurden als unverantwortliches Werk kommunistischer Unruhestifter abgestempelt.
Jahrzehntelang wurde die Diffamierung der Streikbewegung als kommunistischer Putschversuch maßgeblich von der Spitze des ÖGB getragen. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund ist die Tatsache bemerkenswert, dass vom Institut für Gewerkschafts- und AK-Geschichte die Initiative ausging, gemeinsam mit der Alfred Klahr Gesellschaft eine Diskussionsveranstaltung mit dem Titel „Mythos Putsch – Der Oktoberstreik 1950“ durchzuführen.
Zunächst referierte bei dieser sehr gut besuchten Tagung am 20. Oktober Günther Chaloupek (AK Wien) über die Wirtschaftspolitik der Jahre 1945 bis 1955, hierauf Barbara Stelzl-Marx (Institut für Kriegsfolgenforschung, Graz) über die Sicht der sowjetischen Besatzungsmacht, sowie Hans Hautmann (Alfred Klahr Gesellschaft) über die ideologische Funktion der Putschlüge. Als Zeitzeuge trat der damalige ÖGB-Jugendfunktionär Alfred Ströer auf. Über Verlauf und Folgen der Streikbewegung in Steyr wurde ein Bericht von Gusti Zehetner verlesen, die ihre Teilnahme krankheitsbedingt kurzfristig absagen musste.
Eröffnet wurde die Veranstaltung im neuen ÖGB-Haus vom ÖGB-Präsidenten Erich Foglar, was ebenso den Schluss zulässt, dass die alte Frontstellung der Gewerkschaftsführung gegen die große Streikaktion der österreichischen ArbeiterInnenschaft der Vergangenheit angehören dürfte. Freilich nutzte Foglar seinen Auftritt nicht dafür, ein nunmehr offiziell revidiertes Geschichtsbild des ÖGB zu verkünden. Er charakterisierte die Streikbewegung im September/Oktober 1950 als „wichtigen Teil der Gewerkschaftsgeschichte“, unabhängig vom jeweiligen Blickwinkel und wiederholte die unverbindliche Formel vom „umstrittenen Kapitel“.
Zwar erinnerte der Präsident des Gewerkschaftsbundes auch an den letzten größeren Streik in Österreich im Jahr 2003, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der laufenden Budgetverhandlungen und der bevorstehenden Belastungen vermied er es jedoch, mit deutlicheren Worten auf die Aktualität dieses Kampfmittels der ArbeiterInnenbewegung hinzuweisen. So fehlte etwa auch eine Bezugnahme auf die derzeitigen großen Streikbewegungen in Griechenland und Frankreich.
Es ist jedoch die Brisanz der derzeitigen politischen Situation, die dem Oktoberstreiks als Kampftradition der arbeitenden Menschen seine aktuelle Bedeutung verleiht. Die damaligen „Lohn-Preis-Abkommen“ finden ihre heutige Entsprechung im „Sparpaket“ der Regierung. Für den ÖGB geht es darum, seine Rolle als Interessenvertretung der Arbeitenden wahrzunehmen und der Belastungspolitik der Regierung gewerkschaftliche Gegenwehr entgegenzusetzen.
Dies erfordert jedoch einen Bruch mit seinem über Jahrzehnte aufgebauten Selbstverständnis als Transmissionsriemen der Regierungspolitik und seiner nachgiebigen politischen Praxis. Nicht zu übergehen ist dabei eine wichtige historische Erfahrung, nicht zuletzt der großen Streikbewegung von 1950: Dem Klassenkampf von oben wird jener von unten entgegenzusetzen sein.
Manfred Mugrauer ist wissenschaftlicher Sekretär der Alfred Klahr Gesellschaft (Wien)
Zum 60. Jahrestag des Oktoberstreiks fand im ÖGB-Haus eine gemeinsame Diskussionsveranstaltung der AK Wien, des Verbandes österreichischer gewerkschaftlicher Bildung (VÖGB) und der Alfred Klahr Gesellschaft statt.
Die große Streikbewegung vom September und Oktober 1950 wurde bis in die jüngere Vergangenheit herauf zum versuchten Staatsstreich, zum kommunistischen Putsch umgedeutet. Die Langlebigkeit dieser politischen Zwecklüge des Kalten Krieges hat gewiss nichts mit unzureichender historischer Forschung zu tun. Im Gegenteil: Ende der 1970er und in den 1980er Jahren sah es danach aus, als gehöre die „Putschthese“ in der zeitgeschichtlichen Forschung endgültig der Vergangenheit an.
Im Jubiläumsjahr 1990 gab kein/e Zeitgeschichtler/in von einiger Reputation dieser Behauptung Recht. Ende der 1990er Jahren kam es schließlich erneut in Mode, der KPÖ Machtergreifungspläne und Putschabsichten zu unterstellen. Das Putschmärchen ist heute vereinzelt wieder in der wissenschaftlichen Literatur anzutreffen. Nach wie vor nicht wegzudenken ist sie aus populärwissenschaftlichen Darstellungen. Als Minimalvariante ist die neue „Sprachregelung“ salonfähig geworden, dass die HistorikerInnen bei der Einschätzung des Oktoberstreiks zumindest geteilter Meinung seien und es kontroverse Interpretationen der Ereignisse gebe.
In der öffentlichen Meinung hatte sich – ungeachtet zeitgeschichtlicher Forschungen – ohnehin wenig an der Lang- und Zählebigkeit dieser Geschichtsmythen geändert, kümmern sich doch Politik und Medien kaum um wissenschaftliche Erkenntnisse: So ist in PolitikerInnenreden und schlecht recherchierten Zeitungsartikeln bis zum heutigen Tage immer wieder von angeblichen Putschplänen der KPÖ die Rede. Prominentes Beispiel dafür ist eine die Erklärung des damaligen Kanzlers Wolfgang Schüssel im März 2005 anlässlich des 50. Jahrestags des Staatsvertrags, dass die Putschpläne der KPÖ Realität gewesen seien.
Diesen Herbst ist es jedoch in der medialen Bezugnahme auf „60 Jahre Oktoberstreik“ deutlich ruhiger geworden um die Putschlüge: Schrieb Hans Werner Scheidl noch vor zehn Jahren in der Presse unter dem Titel „Putsch-Versuch der KPÖ“, dass „das Schicksal der jungen österreichischen Demokratie auf des Messers Schneide“ gestanden sei, so wagte er es in einer mehrteiligen Serie im September dieses Jahres nicht mehr, der KPÖ Putschabsichten zu unterstellen. Zutreffenderweise sprach Scheidl nunmehr von einem von der KPÖ unterstützten Streik. Auch die Heroisierung von Franz Olah und seiner Schlägertruppe zu „Rettern der Republik“ hielt sich dieses Mal in Grenzen.
Anhaltend zu kurz kamen in solchen Gedenkartikeln die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Rahmenbedingungen und die eigentliche Gründe für den Massenstreik. Nach wie vor wird die komplexe Vor- und Nachgeschichte der Streikbewegung auf die Frage reduziert, ob die KPÖ einen Putsch mit dem Ziel der Umwandlung Österreichs in eine Volksrepublik plante oder nicht. Dass die Gewerkschaftsführung die Lohn-Preis-Pakte der Regierung mit ihren Massenbelastungen unterstützte und die Agitation der KPÖ auf eine lohnpolitisch höchst sensibilisierte ArbeiterInnenschaft traf, rückt demgegenüber in den Hintergrund.
Ebenso wenig wird der Oktoberstreik als Höhepunkt einer langen Reihe von Klassenauseinandersetzungen der Jahre 1947 bis 1950 dargestellt: Bei den Lohnkämpfen, Massenkundgebungen und spontanen Streiks dieser Jahre spielten KommunistInnen eine entscheidende Rolle. Diese Kämpfe um bessere Entlohnung, Ernährung und Versorgung wurden jedoch keineswegs allein von der KPÖ getragen, in fast allen Fällen wirkten KommunistInnen, AnhängerInnen der SPÖ und empörte parteilose ArbeiterInnen zusammen.
Vor diesem Hintergrund wird die politische Funktion der legendenhaften Interpretation der Ereignisse deutlich: Die Preistreiberpakte, gegen die sich die Streikbewegung richtete, stellten eine Vorform jener Art der Herrschaftsausübung dar, der sich SPÖ, ÖVP und auch die Spitzen der Verbände in den Folgejahren bedingungslos verschrieben haben: dem System der Sozialpartnerschaft mit seiner Unterordnung des ÖGB unter Kapitalinteressen. Mittels Putschlüge wurde jeder Versuch, sich die Gewerkschaftsorganisation als Instrument im Klassenkampf zu erhalten, diskreditiert. Proteste gegen Massenbelastungen wurden als unverantwortliches Werk kommunistischer Unruhestifter abgestempelt.
Jahrzehntelang wurde die Diffamierung der Streikbewegung als kommunistischer Putschversuch maßgeblich von der Spitze des ÖGB getragen. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund ist die Tatsache bemerkenswert, dass vom Institut für Gewerkschafts- und AK-Geschichte die Initiative ausging, gemeinsam mit der Alfred Klahr Gesellschaft eine Diskussionsveranstaltung mit dem Titel „Mythos Putsch – Der Oktoberstreik 1950“ durchzuführen.
Zunächst referierte bei dieser sehr gut besuchten Tagung am 20. Oktober Günther Chaloupek (AK Wien) über die Wirtschaftspolitik der Jahre 1945 bis 1955, hierauf Barbara Stelzl-Marx (Institut für Kriegsfolgenforschung, Graz) über die Sicht der sowjetischen Besatzungsmacht, sowie Hans Hautmann (Alfred Klahr Gesellschaft) über die ideologische Funktion der Putschlüge. Als Zeitzeuge trat der damalige ÖGB-Jugendfunktionär Alfred Ströer auf. Über Verlauf und Folgen der Streikbewegung in Steyr wurde ein Bericht von Gusti Zehetner verlesen, die ihre Teilnahme krankheitsbedingt kurzfristig absagen musste.
Eröffnet wurde die Veranstaltung im neuen ÖGB-Haus vom ÖGB-Präsidenten Erich Foglar, was ebenso den Schluss zulässt, dass die alte Frontstellung der Gewerkschaftsführung gegen die große Streikaktion der österreichischen ArbeiterInnenschaft der Vergangenheit angehören dürfte. Freilich nutzte Foglar seinen Auftritt nicht dafür, ein nunmehr offiziell revidiertes Geschichtsbild des ÖGB zu verkünden. Er charakterisierte die Streikbewegung im September/Oktober 1950 als „wichtigen Teil der Gewerkschaftsgeschichte“, unabhängig vom jeweiligen Blickwinkel und wiederholte die unverbindliche Formel vom „umstrittenen Kapitel“.
Zwar erinnerte der Präsident des Gewerkschaftsbundes auch an den letzten größeren Streik in Österreich im Jahr 2003, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der laufenden Budgetverhandlungen und der bevorstehenden Belastungen vermied er es jedoch, mit deutlicheren Worten auf die Aktualität dieses Kampfmittels der ArbeiterInnenbewegung hinzuweisen. So fehlte etwa auch eine Bezugnahme auf die derzeitigen großen Streikbewegungen in Griechenland und Frankreich.
Es ist jedoch die Brisanz der derzeitigen politischen Situation, die dem Oktoberstreiks als Kampftradition der arbeitenden Menschen seine aktuelle Bedeutung verleiht. Die damaligen „Lohn-Preis-Abkommen“ finden ihre heutige Entsprechung im „Sparpaket“ der Regierung. Für den ÖGB geht es darum, seine Rolle als Interessenvertretung der Arbeitenden wahrzunehmen und der Belastungspolitik der Regierung gewerkschaftliche Gegenwehr entgegenzusetzen.
Dies erfordert jedoch einen Bruch mit seinem über Jahrzehnte aufgebauten Selbstverständnis als Transmissionsriemen der Regierungspolitik und seiner nachgiebigen politischen Praxis. Nicht zu übergehen ist dabei eine wichtige historische Erfahrung, nicht zuletzt der großen Streikbewegung von 1950: Dem Klassenkampf von oben wird jener von unten entgegenzusetzen sein.
Manfred Mugrauer ist wissenschaftlicher Sekretär der Alfred Klahr Gesellschaft (Wien)