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Gesundheit ist wichtiger als Geld

  • Dienstag, 29. Juni 2010 @ 11:34
OÖ Manfred Lüftners Motto ist eindeutig: „Meine Zeit ist mein Leben“. Als der Betriebsratsvorsitzende der damaligen Polyfelt, heute TenCate, von 1998 bis 2000 die Zukunftsakademie der oö Arbeiterkammer absolvierte und ein Thema für seine Projektarbeit suchte, wollte er Nägel mit Köpfen machen.

Nicht nur ihn, sondern auch andere Kollegen im Linzer Chemiebetrieb machte die damalige Schichtregelung Probleme. Das Radl zwei Tage Frühschicht, zwei Tage Tagschicht, zwei Tage Nachtschicht, zwei Tage frei war bei außergewöhnlichen Anlässen wie Arztbesuchen, Elternsprechtagen oder Kurzurlauben nicht optimal. Projekt „Schichtplanreform“

Lüftner konnte den damaligen Geschäftsführer für das Projekt „Schichtplanreform“ gewinnen. Eine Projektgruppe aus Betriebsrat, Geschäftsführung, Produktionsleitung, Schichtarbeitern und Arbeitsmedizinern führte eine Ist-Analyse durch. Dabei wurde deutlich, wie gesundheitsschädlich Schichtarbeit ist. So entsprechen acht Stunden Nachtarbeit 12,4 Stunden Tagarbeit. Bei Beschäftigten ab 40 sogar 18,6 Stunden Tagarbeit.

Laut einer Befragung der Chemiearbeitergewerkschaft gaben im Jahre 2000 von den befragten Schichtarbeitern 80 Prozent Lärm, 68 Prozent Hitze, 54 Prozent Bildschirmarbeit und 40 Prozent gefährliche Arbeitsstoffe als stärkste Belastung an, darüber hinaus 86 Prozent den permanenten Arbeitszeitwechsel und 77 Prozent die Belastung des Privat- und Gesellschaftslebens. 33 Prozent klagten über große gesundheitliche Belastungen als Folge des ständigen Kampfes gegen die „innere Uhr“.

Trotzdem konnten sich viele nicht vorstellen, dass etwas anderes möglich ist, auch in der Belegschaft gab es Widerstände. So wurde etwa von Betriebsräten der Papierindustrie Lüftners Projekt als unrealistisch angesehen.

Deutliche Verbesserungen

Doch am 1. März 2000 war es soweit und der partizipativ in Workshops erarbeitete und mit 90prozentiger Zustimmung legitimierte neue Schichtplan trat in Kraft. Die Arbeitszeit wurde von 39 auf 35 Stunden verkürzt, von vier auf fünf Schichten umgestellt, die Zahl der Nachtschichten von acht auf sechs pro Monat herabgesetzt. Fünf Schichttage wechseln seither mit drei freien Tagen, jede vierte Woche sind sogar vier Tage frei. Und es gab auch warme Mahlzeiten während der Nachtschicht und alle 27 Monate eine Wellnesswoche für die Mitarbeiter.

Bereits im ersten Jahr der Einführung wurden drei neue Arbeitsplätze geschaffen, es gab Zeit für Weiterbildung während der Arbeitszeit, es wurde weniger Ausfall produziert und tausend Tonnen mehr produziert. Das Unternehmen ersparte sich durch die Reduzierung der Nachtschichten 1,5 Millionen Schilling. Der finanzielle Verlust durch acht Prozent weniger Nachtschichten wurde zwischen Unternehmen und Beschäftigten halbiert und durch Aussetzen bei zwei KV-Erhöhungen ausgeglichen.

Aber nicht nur der BRV sondern auch die Beschäftigten sahen ihre Arbeit nicht nur unter dem finanziellen Aspekt, sondern immer deutlicher unter dem Gesichtspunkt von Gesundheit und Lebensqualität. Lüftner hält nichts von einer Strategie der Frühpensionierungen: „Wichtiger ist es auf die Gesundheit zu schauen, sonst hat man auch nichts von der Pension.“

Spitzenwert 1,7 für Arbeitsklima

Bestätigt wurde das Konzept durch eine Evaluierung als deren Ergebnis die Arbeitszeitzufriedenheit nach dem Europäischen Index mit einem Spitzenwert von 1,7 auf der Schulnotenskala eingestuft wurde. Die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, Lebensqualität, Sinnfindung und Zufriedenheit konnte deutlich erhöht werden. Das Polyfelt-Projekt wurde mit dem Gesundheitsvorsorge-Preis ausgezeichnet.

In der Folge wurde das Polyfelt-Projekt auch von anderen Unternehmen wie etwa AMI übernommen. Später griff auch die voestalpine das Konzept auf. Da jedoch ein begleitender Prozess fehlte, wirkte die Einführung aufgesetzt und war damit wohl auch eine Ursache für den Konflikt, der zur Absetzung des bisherigen Betriebsratsvorsitzenden führte.

Lüftner hingegen kann sich mit seinem Projekt voll bestätigt sehen und freut sich über das Interesse daran im In- und Ausland, wie die zahlreichen Einladungen zu Veranstaltungen beweisen.