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Soziale Krise und rechte Politik

  • Dienstag, 26. Januar 2010 @ 09:36
Meinung Von Claudia Krieglsteiner

Mit der Durchsetzung der neoliberalen Umwälzungen erleben wir einen gigantischen Prozess der Desozialisierung. Dieser Prozess der Privatisierung öffentlichen Eigentums und sozialer Dienstleistungen hat auch ideologische Auswirkungen, die die Mehrheit der Menschen in ihren Bann gezogen haben.
Der Auftrag an Jeden und Jede zur „Selbstführung“, zur eigenständigen und individuell verantworteten Lebensführung, die Vereinzelung und der gleichzeitig ständig verschärfte Konkurrenzdruck prägen unser Leben. Inzwischen nicht nur im Erwachsenenalter, sondern auch bereits die Sozialisierung von Kindern und Jugendlichen.

Als Ergebnis der großen gesellschaftlichen Veränderungen der vergangen 25 Jahre, misslingt soziale Integration zunehmend in einem fundamentalen Sinn. 20 bis 25 Prozent aller Kinder und Jugendlichen (Zahl für Deutschland) werden zumindest einmal bis zu ihrer Volljährigkeit psychiatrisch (!) auffällig. Eine aktuelle Studie aus England zeigt, dass jedes sechste Kind beim Schuleintritt nicht ausreichend sprechen kann, um sich verständlich zu machen. Integrationsstörungen nehmen rasant zu. Sich als eine ganze, einheitliche Person wahrzunehmen und dementsprechend handeln zu können, gelingt immer mehr Menschen nicht oder zumindest zeitweise nicht.

Jede Zeit hat ihre Krankheiten. Besonders psychische Erkrankungen spiegeln die Belastungen und Defizite der Lebensweise. Handlungsfähigkeit als Voraussetzung den Alltag selbständig bewältigen zu können, kommt vielen Menschen zunehmend abhanden. Das hat mit dem zu tun, wie die Menschen sich in die Welt denken und in der Welt sehen und heute eben auch mit den Defiziten der Sozialisierung, hat aber wohl ebenso mit der Beschaffenheit des Alltags zu tun.

Probleme, bei der Organisierung des Alltages nehmen zu. Das ist keineswegs selbstverständlich, spontan könnte man ja annehmen, dass Fortschritt und Entwicklung zur Erleichterung des Alltaglebens führen.

In der Erwerbsarbeitswelt sind wir mehr denn je Arbeitsdruck, Angst vor Arbeitslosigkeit, Minderbeschäftigung oder Überstundendruck, befristeten, prekären, unterbezahlte und nicht Existenz sichernden, unwürdige, gesundheitsschädliche Bedingungen ausgesetzt. Ständiger (auch medialer) Druck gegen Arbeits- und Dienstrechte, „Privilegien“-Diskussionen, Druck gegen pensionierte Menschen – das lässt sich als eine atemberaubende Bewegung des Zurückdrängens von einmal Erreichtem erleben das mit dem vielfältigen Rückgang des Einflusses der ArbeiterInnenbewegung bzw. der neoliberalen Neuorientierung von Sozialdemokratie und einem Gutteil der Gewerkschaften einhergeht.

Im Ergebnis entstanden einerseits neuerlich Massenarbeitslosigkeit andererseits Voraussetzungen, die das (Erwerbs-)Arbeiten anstrengender, auslaugender, unbefriedigender machen. Die neoliberalen Veränderungen bewirkten aber auch eine weitgehende Entpolitisierung der Arbeitsbeziehungen. Das was die ArbeiterInnenbewegung nämlich jedenfalls ausgezeichnet hatte, ist, die Verhältnisse unter denen Arbeitsbeziehungen eingegangen werden (müssen) als Gegenstand von Kämpfen von AkteurInnen mit entgegen gesetzten Interessen zu verstehen. Gewerkschaften, BetriebsrätInnen, linke Parteien waren zugleich Instrumente und Ergebnisse dieser Kämpfe. Sie waren auch die Felder in denen Demokratie im Alltag der Menschen erlernt und ausgeübt werden konnte.

Mit der Verankerung neoliberalen Denkens werden aber die Arbeitsbeziehungen als vollkommen unpolitische, rein sachlich-technisch akzeptiert. Gar nicht mehr wahrgenommen wird, dass diese Sachlichkeit vom Kapital und seinen Akteuren definiert wird. Der (scheinbar) selbsttätigen kapitalistischen Logik kann in einer entpolitisierten Arbeitswelt aber nichts mehr entgegen gesetzt werden.

Wie kann dennoch Gegenwehr entstehen? Wie die Idee von Gegenwehr und ihrer möglichen Wirksamkeit wieder entstehen? Hier müssen wir neu ansetzen, um Betriebsratsmandate, Personalvertretungen und Gewerkschaftsfunktionen – auch unter den gegebenen und unzureichenden Umständen - als eben diese Orte von Politik und Demokratie wahr und in Besitz zu nehmen. Das meint nicht, wieder in den alten Begriffen von Arbeit zu denken, sondern Erwerbsarbeit und Reproduktion von Gesellschaft und Leben in der Tat in einen Zusammenhang zu denken und dementsprechend zu handeln.

Auch im Alltag von Reproduktion und Konsum herrscht vor allem Prekarisierung. Die Versorgung mit öffentlichen Dienstleistungen wird knapper, teurer, exklusiver. Versorgung überhaupt zur überfordernden Aufgabe: Fernsehen, Internet und Telefon als ständige Herausforderung an das Organisationstalent sowohl bei den Geräten, als auch bei der Dienstleistung ist man ja schon gewöhnt; bei Strom und Gas zieren sich die meisten Menschen noch.

Der Forderung nach gesunder und ökologisch vertretbarer Ernährung kann man nachhaltig nur mittels Haushälterin nachkommen. Über die selbst organisierte und selbst bezahlte lebenslange Bildung bestimmt man den eigenen Marktwert mit. Nicht zuletzt sehen andere dem eigenen Körper an, welchen Einsatz man bereit ist zu leisten.

Wurden in den 70er Jahren noch beträchtliche Teile der Jugend über Kritik am Konsumterror und in der Rebellion gegen bürgerliche Anpassung politisiert, herrscht heute unter jungen Leuten der Druck, auch noch zur antirassistischen Demo keinesfalls in der falschen Markenkleidung zu gehen. Nicht, dass nicht immer schon Dresscodes eine starke jugendkulturelle Bedeutung gehabt hätten, aber sie waren in linken Milieus nicht mit einem teuer bezahlten Markenfetischismus verbunden.

Begleiterscheinung der gesellschaftlichen Veränderungen: Rechtsextremismus und Autoritarismus

In Österreich gibt es für den Rechtsextremismus historische Wurzeln, die generationenübergreifend wirksam sind. Sie haben nicht mit dem Nationalsozialismus begonnen, aber ihre heute wirksamen Stereotype, Funktionsweisen und personellen Cliquen lassen sich direkt mit ihm in Verbindung bringen. Antisemitismus, Antislawismus und Antikommunismus der verschiedenen Spielarten sind unabdingbare Elemente. Darin besteht auch ein gravierendes Hindernis für die Entstehung einer breiten Linken, weil sie zwischen der (extremen) Rechten und der – vor allem sozialdemokratischen – Linken wie ein Scharnier eingelassen sind.

Die Tendenz alles einem Marktgeschehen und damit dem konkurrierenden Treiben von „freien Kräften“ zu unterwerfen, die den Neoliberalismus kennzeichnet, erfordert zugleich die autoritäre Setzung von Rahmenbedingungen (die international durchaus auch mittels Krieg erzwungen werden) und die permanente Überwachung ihrer Einhaltung.

Gemeinsam mit den als Verunsicherung und Mangel erlebten Identitäts-Defiziten und dem Fehlen „Innerer Modelle“ werden diese beiden Tendenzen zu einer Grundströmung im Land, die Rechtsextremismus und Neofaschismus gefährlich machen.

Mit den oben beschriebenen Lebensumständen der Menschen beschäftigt sich nämlich eine Politik, die entweder überhaupt völlig losgelöst von den Alltagserfahrungen der Menschen angesiedelt ist und damit auch aus ihrem Alltag ausscheidet - immer öfter auch an Wahlsonntagen. Oder eine Politik, die mit eben diesem Autoritarismus die Menschen in ihrer eingeschränkten Handlungsfähigkeit fixiert. Entweder in der – kaum noch praktizierten – paternalistisch sozialdemokratischen Weise oder aber als Rechtsextremismus.

Rechte Meinungsführer geben die Abwertung und Ausgrenzung ganzer Bevölkerungsgruppen mit immer radikaleren Parolen vor, Gesetzgebung und Politik befestigen rassistische Vorurteile durch ihre sachlich- faktische Bestätigung. Neben anderen Funktionen, die der Rassismus in der Gesellschaft hat, stabilisiert er vordergründig auch angeknackste Identitäten.

Rassismus ist heute oft das einzige Feld, auf dem überhaupt noch Politik versprochen wird – und zwar von der extremen Rechten. Es scheint nämlich nicht nur eine Politikverdrossenheit der WählerInnen zu geben, schlimmer ist die der PolitikerInnen, die nicht entweder sowieso auf den Wellen des Rechtsextremismus surfen oder aber bereits in der Populismusfalle sitzen. Man könne da nichts machen, die Entscheidungen seien gar keine der Politik, sondern der Wirtschaft, die Verantwortung liege bei der EU/ in den USA/ bei der Globalisierung u.ä. sind häufige Antworten von österreichischen PolitikerInnen.

Was tun?

Zunächst sollten wir uns eingestehen, dass alle die oben beschriebenen Schwierigkeiten von Prekarisierung auch die Linke erreicht haben: Prekäre Leben also mit wenig Geld und noch weniger Zeit, oder umgekehrt, wenig Zeit und noch weniger Geld auskommen zu müssen, das brüchiger Werden sozialer Bindungen und Fähigkeiten, Isolations- und Individualisierungsprozesse erschweren Kooperationen in jeder Hinsicht.

Sinnvoll scheint, auf Aktivitäten und politische Forderungen zu setzen, die darauf abzielen, Handlungsfähigkeit zu ermöglichen oder zu erweitern. Das meint auch, dazu beizutragen, dass Menschen zusammen kommen, zu ermöglichen, über sich und seine/ihre Lage zu sprechen, zu reflektieren. Es heißt, sich den Orten, an denen Menschen auf Grund der gesellschaftlichen Gegebenheiten organisiert zusammenwirken wieder zuzuwenden, mit dem Ziel diese Orte gemeinsam wieder zu politischen Orten, also solchen der Auseinandersetzung zu machen: Dienststellen, Schulen und Universitäten, Betriebe und Kommunen. Und es heißt Forderungen zu stellen, die dazu beitragen den Menschen im Alltag Handlungsspielraum zu geben. Dazu drei konkrete Vorschläge:
* Verdoppelung der Bezugszeit und Erhöhung des Arbeitslosengeldes
* Verdoppelung der Familienbeihilfe nicht nur im Monat September, sondern im ganzen Jahr
* Eine Energiegrundsicherung für alle

Claudia Krieglsteiner ist Sozialarbeiterin in Wien