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Nanotechnologie: Ein „heißes Eisen“

  • Mittwoch, 7. Oktober 2009 @ 09:03
Salzburg Von Rosalia Krenn, BR Lebenshilfe Salzburg

Am 16. September 2009 hat die Arbeiterkammer Salzburg eine Fachtagung zum Thema Nanotechnologie veranstaltet. Christian Mokricky (selber Chemiker) von ''die umweltberatung'' Österreich moderierte die Tagung. Es waren sechs ExpertInnen, die sich schon lange mit Nanotechnologie beschäftigen eingeladen worden, ihren Erkenntnisstand zu kommunizieren: Dr. Gernot Zweytick, FH Wiener Neustadt, Campus Wieselburg, seine Unterlagen trugen die Aufschrift „Austrian Marketing University“; Dr. Susanne Stark, Chemikerin, Verein für Konsumenteninformation; Mag. Stefan Göweil AK Salzburg, Konsumentenberatung; Dr. Hans Peter Hutter, Facharzt, Institut für Umwelthygiene Wien; Dr. Werner Brüller, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Ages: Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit. Und Dr. Thomas Jakl von der Abteilung Chemiepolitik im „Lebensministerium“, wie das Umweltministerium jetzt heißt. Ich hab mich gefragt, ob mit dieser Definition wohl das nächste Leben gemeint sein könnte.

Ich versuche die Tagung zusammenzufassen, nicht das Thema oder die Technologie insgesamt zu beschreiben, im Rahmen der Zusammenfassung konnte ich dank der umfassend zur Verfügung gestellten Unterlagen eine hermeneutische Herangehensweise wählen.

Namensdefinition

Laut Zweytick wird Nanotechnologie als die Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts bezeichnet. Der Wortstamm nanos (griech.) bedeutet der Zwerg, Nanopartikel sind winziger als winzig.

Brüller formulierte: „Unter Nanotechnologie versteht man ganz allgemein die Visualisierung, Charakterisierung, Produktion und Manipulation von Partikeln, die kleiner als 100nm sind. Dazu zählen neben der Herstellung von so genannten Nanomaterialien auch die Nanomanipulation bei der mit Hilfe von speziellen Mikroskopen einzelne Nanopartikel gezielt verändert werden.“

Kompliziert daran ist, dass es auch natürliche Nanopartikel gibt, die auf uralten Steinablagerungen oder in den Farben von uralten Kirchenfenstern zu finden sind, diese natürlich vorkommenden Nanopartikel sind nicht gemeint, wenn es hier um die Beschreibung der Tagung zu Nanotechnologie geht, die Fachwelt, so die ExpertInnen, unterscheiden zwischen in der Natur vorkommenden Nanopartikeln und von Menschen hergestellten Nanopartikeln, hier ist ausschließlich von künstlich hergestellten Nanopartikeln die Rede.

Einsatzmöglichkeiten/erhoffter Nutzen

Die Einsatzmöglichkeiten der Nanotechnologie sind vielfältig, Zweytick zählte unter anderem folgende Anwendungsgebiete auf: Energiegewinnung und Energiespeicherung, Elektronik, Textilien, Farben, Lacke, Landwirtschaft: man braucht weniger Düngemittel, Kosmetik: diese verteilt sich schöner weil gleichmäßiger auf der Haut, etwa Sonnencreme, Medizin: Nanosilber wirkt antibakteriell, Lebensmittel: Verpackungen lassen sich stabiler produzieren, Beschichtungen verlängern die Haltbarkeit der Lebensmittel, Geschmacksverstärkung und Farbintensivierung, Bleichmittel bei Dressings, bei Salz wird eine bessere Rieselwirkung erreicht, generell Rieselhilfen für pulverförmige Lebensmittel, es wird von einer besseren Aufnahme aktiver Inhaltsstoffe in Zellen und Organen ausgegangen, Fertigsuppen, effizientere Zusatzstoffe, Nanopartikel wirken gegen Vergrauen von Schokolade, Küchengeräte können mit stärkerer Antihaftbeschichtung hergestellt werden.

Susanne Stark ergänzte: Gummibereich, Baubereich, Autoindustrie, Metallindustrie, Computerindustrie, im Hygienebereich um Babywindeln und Shampoos. Zweytick erläuterte am Beispiel Salz, dass hier Nanopartikel beigesetzt werden, um das Verklumpen zu verhindern, Salzpackungen, die damit werben, rieselfreudiges Salz zu verkaufen, können Nanopartikel beinhalten. Hutter empfiehlt die Verwendung von grobem Meersalz. Stark betonte, dass es Studien und Gegenstudien gibt, der Nutzen von Nanotechnologie nicht abschätzbar ist. Im Bereich der Wasseraufbereitung könnte Meersalz entsalzt werden, im Bereich erneuerbarer Energie könnten die Speicherkapazitäten erhöht werden.

Konzerne/Profite

Nachdem es keine Verpflichtung gibt, einen Nachweis zu erbringen, beruhen die Daten, die Zweytick präsentierte auf Schätzungen, es könnten demnach bislang etwa 150 bis 600 Lebensmittelprodukte und etwa 400 bis 500 Lebensmittelverpackungen zum Verkauf angeboten werden. Stark führte aus, dass 2006 insgesamt bereits etwa 2000 mit Nanopartikeln versehene Produkte erfasst worden sind. Die üblichen Verdächtigen, Pepsi & Co, Nestle, Bayer, Shemen; für die Lebensmittelverpackungsindustrie Evonik Industries, im Bereich der Lebensmittelzusatzstoffe BASF, bei den Nahrungsergänzungmitteln fairvital, Campbell Soup, Mars Inc., Northern Foods, United Foods forschen nach Zweytick im Bereich der Nanotechnologie und wenden diese an.

Laut Stark lag der Umsatz von Nanoprodukten weltweit 2008 bei etwa 700 Milliarden Euro, für 2014 werden Profite in der Größenordnung von 750 bis 2000 Milliarden Euro geschätzt. Nanotechnologie wird laut Stark als bedeutsamer Wirtschaftsfaktor eingeschätzt. Forschung in Bezug auf Anwendungsmöglichkeiten wird intensiv betrieben. Hohe Umsätze gibt es etwa bei Carbon Black in der Gummiindustrie, bei Farben und Lacken in der Autoindustrie oder im Baubereich, in ihren Unterlagen findet sich dazu die Quellenangabe Helmut Schmith: Commercial Success with Nanomaterials, Nano Magazine, Juni 2009.

Risiken

Die ExpertInnen sind sich darin einig, dass die Risiken insgesamt noch nicht einschätzbar und wenig untersucht sind, die Forschung in Bezug auf Auswirkungen der Entwicklung und Anwendung der Nanotechnologie hinterherhinkt, ein hohes Risiko besteht beim Eindringen von Nanopartikeln in die Lunge, gelangen Nanopartikel auf geschädigte Haut (Sonnenbrand) können diese in den Körper eindringen.

Es gibt Sonnencremes, die mit Nanopartikel versetzt sind. Hutter verschriftlichte in seinen Unterlagen: „Wie sich die aufgenommenen Partikel … im Organismus genau verhalten … ist weitgehend ungeklärt. Gesundheitsrisiken können derzeit weitgehend nur aus Analogieschlüssen abgeschätzt werden… Aus ärztlicher Sicht ist … eindringlich ein vorsichtigerer Umgang mit der Nanotechnologie … zu fordern.“

Nanopartikel können Entzündungen auslösen, zu Lungenerkrankungen führen, sie könnten Zellen zur Wucherung anregen, Krebserkrankungen sind die Folge. Brüller formulierte, dass die Auswirkungen der Nanotechnologie im Lebensmittelbereich am wenigsten erforscht sind und dass es Nanostrukturen gibt, die ähnlich wirken wie Asbest.

Forderungen der ExpertInnen und der AK

Die ExpertInnen schwankten zwischen der Forderung nach Kennzeichnungspflicht und der ethischen Haltung, Produkte grundsätzlich erst dann zuzulassen, wenn diese für Mensch und Umwelt keine Gefahr darstellen.

Es gibt derzeit keine rechtliche Klärung, bis 2012 will die EU-Kommission laut Jakl Richtlinien für die Zulassung von Nano-Produkten erarbeitet haben, angewendet werden sie aber bereits heute. In wessen Sinne und Interesse bleibt der Phantasie des aufmerksamen Publikums überlassen. In Österreich gibt es ein Dossier über die bislang festgestellten Produkte, die mit Nanotechnologie arbeiten, es ist aber leider der Öffentlichkeit nicht zugänglich.

Die ExpertInnen mutmaßten, dass die Militärs in der Entwicklung der Nanotechnologie weiter fortgeschritten sein müssten, Vorteile werden primär im Bereich der Panzerung (dichte Schutzbeschichtung) angenommen, die Spionage dürfte im Bereich der Miniaturisierung ihr Interesse bekunden.

Interessensgleichklang

Jakl vom Lebensministerium vertrat den Standpunkt, dass ohnehin alle Produkte einem aufwendigen Kontrollprozess unterzogen würden, dieser einen ausreichenden Schutz darstellen würde, um sich darauf selbst insofern zu widersprechen, als er eine EU- weite Regelung für 2012 in Aussicht stellte. Er vermutete, dass wir die Auswirkungen vielleicht in so 30 Jahren wissen könnten. Fortschritt, Innovation, die „freie Marktwirtschaft“ wollte er verteidigt wissen. Vom Vertreter der Arbeiterkammer wollte er wissen, ob es wirklich im Interesse der AK sein könnte, Nanoprodukte als solche zu kennzeichnen, weil: dann würde sie ja niemand mehr kaufen. !!!

Resümee

Nach meiner erstmaligen Beschäftigung mit diesem Thema und einer eintägigen Fachtagung kann ich nicht beurteilen, wie bedrohlich diese Technologie für die Menschheit und Umwelt ist, ich habe aber ExpertInnen gehört, die sich auf Studien berufen, wonach gesundheitliche Risiken bzw. ernsthafte Erkrankungen vor allem im Bereich der Atemwege bereits festgestellt worden sind. Weitestgehend sind die Reaktionsweisen von Nanopartikeln im menschlichen Organismus und die Wechselwirkungen in der Umwelt unbekannt, die Datenlage zu den Risiken ist äußerst mangelhaft.

Ich möchte kein menschliches Experimentierfeld für die Profitgier der Industrie und der Militärs sein. Die Forderung der Arbeiterkammer nach verpflichtender Kennzeichnung kann ich nur vollinhaltlich unterstreichen, der Handlungsrahmen, den die Arbeiterkammer Salzburg gewählt hat, scheint mir allerdings zu kurz gegriffen, ich vermisse eine breit angelegte Kampagne zur Durchsetzung der Kennzeichnungsverpflichtung.

Die Debatte weist Ähnlichkeiten mit der Debatte um die Entwicklung der Atomenergie auf, so quasi: jetzt bauen wir die Atomkraftwerke zunächst einmal, dann werden wir schon sehen, welche Effekte sie haben, die Argumente der BefürworterInnen sind immer die gleichen: es geht um Innovation, Fortschritt, wer will denn schon in Höhlen leben, ihre bereitwilligen Handlanger in der Politik findet die Industrie allemal und bei den kalkulierten Profitraten zahlt sich Lobbying schon aus. Rüstungsindustrie, Militärs und Spionage setzen auf Nanotechnologie. Um es mit den Worten der GründerInnen von Greenpeace zu sagen: „Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werdet ihr feststellen, dass man Geld nicht essen kann.“