Der Chef kam mit der Hundepeitsche
- Samstag, 4. Juli 2009 @ 21:00
Von Hubert Schmiedbauer
Dokumente zur Kraft und Moral der österreichischen Arbeiterbewegung
…in einer Situation, in der ständig wiederholte Botschaften wie „Effizienz“, „Leistungsgesellschaft“, „Marktwirtschaftlichkeit“, „Deregulierung“, „unternehmerisches Denken“, „Flexibilität“ usw. das Urteilsvermögen der Lohnabhängigen zermürben und kapitalismuskritisches Denken in Acht und Bann versetzen sollen… Hans Hautmann *) Krise – verursacht von der schrankenlosen kapitalistischen Profitwirtschaft – als Vorwand für Lohnsenkung, Sozialabbau, Arbeitsplatzvernichtung. Am liebsten würden die Herrschenden den Lohnabhängigen auch in Österreich frühkapitalistische Ausbeutungsverhältnisse verordnen, weil es einen „Wettbewerb“ mit Weltgegenden gibt, in denen solche Verhältnisse noch vorherrschen. Das ist Gegenwart.
Krieg – verursacht von den imperialistischen Mächten am Beginn des vorigen Jahrhunderts – als Vorwand dafür, Millionen ArbeiterInnen unter Bedingungen ähnlich der Leibeigenschaft zu halten, um aus der Kriegswirtschaft Höchstprofite zu pressen, Löhne zu drücken, die wenigen sozialen Sicherheiten zu beseitigen. Das ist österreichische Vergangenheit.
Ein wesentlicher Unterschied kennzeichnet diese Vergangenheit: Trotz aller Einschüchterungsversuche durch Maßregelung und Terror entwickelte sich ab 1916 der Widerstand, kam es 1917 zu einer wachsenden Streikwelle, wurde im Jänner 1918 zur größten Massenstreikbewegung in der Geschichte Österreichs und führte schließlich zum Sturz der militaristisch-aristokratischen Staatsmacht.
Noch ein Unterschied: Heute haben die Lohnabhängigen viel mehr zu verlieren – und die Kapitalseite war noch nie so reich und mächtig!
Vision Sozialismus
Gewerkschaften und Sozialdemokraten hatten ihren Platz in dieser Entwicklung. „Der Sündenfall des August 1914, das Einschwenken auf offene Unterstützung des imperialistischen Krieges ihrer eigenen Regierung, das Mitmachen beim Hurra-Patriotismus und Chauvinismus bedeutete nämlich nicht, dass man die eigene Anhängerschaft in den Industriebetrieben vollkommen im Stich ließ. Vom ersten Tag des Krieges an gab es Interventionen, gab es Proteste der Partei- und Gewerkschaftsführer gegen die Übergriffe der Unternehmer“, schreibt der Historiker Hans Hautmann und präzisiert einen weiteren Unterschied zur heutigen Sozialdemokratie:
„Die so gut wie unerschütterliche Bindung der österreichischen Arbeiterklasse an die alte austromarxistische Sozialdemokratie … wurzelte in der Realität ihres Eintretens für vitale ökonomische, soziale und politische Interessen der arbeitenden Menschen. Diese Fähigkeit war da, weil diese Partei noch ein sozialistisches Ziel im Auge hatte, weil sie … Reformen als Methode einer wirklichen Umgestaltung der Ausbeuterordnung, als Mittel, um den Sozialismus zu erreichen, betrachtete. Eine solche Partei gibt es heute nirgends mehr.“
Ein erster Höhepunkt in der Entwicklung des Widerstands war die Einberufung des „1. deutschösterreichischen Arbeitertages 1916“ durch die sozialdemokratischen Partei- und Gewerkschaftsführungen, zu dem für den 5.November 1000 Vertrauensleute und Mandatare sowie zehn leitende Beamte aus den Ministerien geladen waren. Die ursprüngliche Tagesordnung (1.Ernährungsfragen, 2.Rechtliche Stellung der Arbeiter) wurde umgedreht: Vertrauensleute und Funktionäre aus allen Branchen berichteten aus der Arbeitswelt über haarsträubende Verhältnisse.
Abgesehen von der schikanösen Behandlung und Entwürdigung der ArbeiterInnen und Arbeiter konnten sie als Verschärfung zu Soldaten erklärt und dem Militärstrafgesetz unterworfen werden. Die Kategorie dieser „Landsturmarbeiter“ wurde nicht nach geltenden Löhnen bezahlt, sondern nur nach den Regeln des militärischen Besoldungssystems. Entsprechend multiplizierten sich die Unternehmensgewinne. Der Abgeordnete Viktor Adler wird zitiert: „Ein Wort ist hier immer wiederholt worden: Der Betrieb ist unter Schutz gestellt. Das bedeutet: Der Unternehmer ist unter Schutz gestellt.“ Er schilderte die noch schamlosere Ausbeutung der weiblichen Arbeitskräfte. Unter besonderen Schutz gestellt war ausländisches Kapital, wie am Beispiel eines in englischem (!) Besitz befindlichen Unternehmens bewiesen wird, das monatelang nicht bereit ist, die weit und breit schlechtesten Arbeitsbedingungen zu bessern.
Gewalt für Profit
Eines der Beispiele betraf ein Unternehmen, in dem der Chef stets mit einer ledernen Hundepeitsche auftauchte und oftmals Arbeiter tatsächlich damit traktierte. Als er einen Vertrauensmann bedrohte, sagte der: „Wir sind keine Hunde!“ – und so der von Hautmann gewählte Titel für seine Arbeit. Doch was legitimierte die Unternehmer zu solchem Vorgehen gegen die Arbeiter?
Soviel zur Mär vom glücklichen Kaiserreich in der guaten alten Zeit: Bereits am 26.Dezember 1912 (!) war das „Kriegsleistungsgesetz“ verlautbart worden, abgekürzt „KLG“ (häufig auch „Kriegsdienstleistungsgesetz“). Hautmann: „Es handelte sich hier um den einschneidendsten legislativen Akt in Richtung einer diktatorischen Herrschaft der Militärkaste über die arbeitenden Menschen im Hinterland“ und der „im Kriegsfall die ganze Bevölkerung und die gesamte Wirtschaft militärischen Bedürfnissen unterwarf. Der Kernpunkt des Gesetzes bestand im Prinzip der Arbeitspflicht für alle männlichen Zivilpersonen bis zum 50.Lebensjahr, ihrer zwangsweisen Heranziehung zu persönlichen Dienstleistungen für Kriegszwecke.“ Bergbau, Hüttenindustrie, Metallverarbeitung, Maschinenbau, Chemie- und Elektrobranche usw. sind militärischer Verwaltung unterstellt.
Die Belegschaften mussten im Dienstverhältnis bleiben. Am 1.2.1915 waren 995 Betriebe unter KLG gestellt, im November 1916 4471 mit 1,3 Millionen Arbeitern, davon 363.000 Frauen und 37.000 Kriegsgefangene. Durch Aufhebung der Freizügigkeit waren die ArbeiterInnen massivstem Lohndruck ausgesetzt. Militärische Leiter (hauptsächlich Offiziere) hatten die Oberaufsicht und das Recht, Arreststrafen zu verhängen oder „einrückend zu machen“, wovon natürlich Vertrauensleute und Gewerkschafter besonders betroffen waren. Freilich hatten auch die Lohnabhängigen Rechte, es gab Beschwerdemöglichkeiten und sie bekamen oft genug formal Recht – trotzdem aber Arreststrafen und hatten dafür noch Kosten zu zahlen.
Gestern und heute
Aus dem Protokoll des Arbeitertages, das aktuell nur durch die Zensur verstümmelt erscheinen konnte, ist freilich auf die Doppelzüngigkeit der sozialdemokratischen Führer zu schließen, die z.B. angesichts der Streiks und Hungerdemonstrationen Anfang 1917 ihre Vertrauensleute beauftragten, „Ruhe zu bewahren und zu arbeiten“. Die Streiks 1917 waren alle spontan ohne Aufrufe der Gewerkschafts- und Parteiführung ausgebrochen.
Es war die wachsende Kampfbereitschaft der Arbeiter, die über Teilerfolge schließlich zu den siegreichen Massenaktionen führte. Auch innerhalb des Kapitals vertieften sich die Widersprüche. Tausende Unternehmen und Gewerbebetriebe standen unter existenzbedrohendem Druck der großen Konzerne wie des sogenannten Eisenkartells. Sie versuchten gegenüber der Arbeiterschaft eine „flexiblere“ Taktik durchzusetzen.
Die wachsende Solidarität und Kampfkraft der ArbeiterInnen erreichte Zugeständnisse und stärkte andererseits die „flexiblen“ Kapitalgruppen.
Hans Hautmann bringt schließlich noch den Bericht über die Reaktionen des Eisenkartells. Das Protokoll seiner Sitzung im Oktober 1917 wurde vermutlich von den „Flexiblen“ der AZ zugespielt und konnte dort am 4.4.1918 unzensiert erscheinen. (Das liest sich so, wie etwa die Multis heute in irgendeinem Land, das die Handels(profit)freiheit stört, einen faschistischen Putsch vorbereiten würden. Beispiel gefällig? Chile…) Vorsitz hatte der Kriegsminister, die Generaldirektoren der Schlüsselindustriekonzerne forderten Schluss der Lohnerhöhungen, keine Festlegung von Mindestlöhnen, Versammlungsverbot, Zensur der AZ, stärkere Militarisierung der Betriebe, gegen Arbeiter Exempel statuieren bis zum Standrecht (!). Die Wunschträume der Scharfmacher platzten, die Arbeiterklasse war schon in Bewegung, die Angst vor einer Revolution trieb die „flexiblen“ Kapitalisten in Richtung der Sozialdemokraten. Wir wissen heute, dass deren Träume von einem reformistischen Weg zum Sozialismus nach nicht einmal zwanzig Jahren ebenfalls geplatzt waren…
Nicht als gedenkwürdig in den Vordergrund gestellt habe die staatsoffizielle und die mediale Seite anlässlich der Gedenken an das Ende des Ersten Weltkrieges, an den Zusammenbruch des Habsburgerreiches, an die Gründung der Republik vor 90 Jahren „die Tatsache, dass es die massenhaft mobilisierte, radikalisierte und politisierte österreichische Arbeiterschaft war, die die historische Entwicklung in unserem Land damals vorantrieb“, schreibt Hans Hautmann im Vorwort. Ihm ist es zu verdanken, dass wir heute etwas mehr wissen können darüber, welche Kraft, welche Moral und welches Durchsetzungsvermögen die ArbeiterInnenklasse unter schwierigsten Bedingungen entwickelte und in fast allen Ländern Europas die Chance hatte, das Kapital und seine politischen Apparate völlig von ihrer Macht abzulösen. Heute hat mit Hilfe des politischen Apparats der EU das globalisierte Kapital die absolute Macht. Und wo stehen die europäischen (vereinigten) Gewerkschaften?
*) „Wir sind keine Hunde.“ Das Protokoll des Arbeitertages 1916 in Wien. Anhang: „Zur Naturgeschichte des Eisenkartells.“ Herausgeber und Einleitung: ao. Univ.Prof. i.R. Hans Hautmann. Alfred Klahr Gesellschaft. Wien 2009. Preis 8 Euro
Hubert Schmiedbauer ist Journalist in Graz
Dokumente zur Kraft und Moral der österreichischen Arbeiterbewegung
…in einer Situation, in der ständig wiederholte Botschaften wie „Effizienz“, „Leistungsgesellschaft“, „Marktwirtschaftlichkeit“, „Deregulierung“, „unternehmerisches Denken“, „Flexibilität“ usw. das Urteilsvermögen der Lohnabhängigen zermürben und kapitalismuskritisches Denken in Acht und Bann versetzen sollen… Hans Hautmann *) Krise – verursacht von der schrankenlosen kapitalistischen Profitwirtschaft – als Vorwand für Lohnsenkung, Sozialabbau, Arbeitsplatzvernichtung. Am liebsten würden die Herrschenden den Lohnabhängigen auch in Österreich frühkapitalistische Ausbeutungsverhältnisse verordnen, weil es einen „Wettbewerb“ mit Weltgegenden gibt, in denen solche Verhältnisse noch vorherrschen. Das ist Gegenwart.
Krieg – verursacht von den imperialistischen Mächten am Beginn des vorigen Jahrhunderts – als Vorwand dafür, Millionen ArbeiterInnen unter Bedingungen ähnlich der Leibeigenschaft zu halten, um aus der Kriegswirtschaft Höchstprofite zu pressen, Löhne zu drücken, die wenigen sozialen Sicherheiten zu beseitigen. Das ist österreichische Vergangenheit.
Ein wesentlicher Unterschied kennzeichnet diese Vergangenheit: Trotz aller Einschüchterungsversuche durch Maßregelung und Terror entwickelte sich ab 1916 der Widerstand, kam es 1917 zu einer wachsenden Streikwelle, wurde im Jänner 1918 zur größten Massenstreikbewegung in der Geschichte Österreichs und führte schließlich zum Sturz der militaristisch-aristokratischen Staatsmacht.
Noch ein Unterschied: Heute haben die Lohnabhängigen viel mehr zu verlieren – und die Kapitalseite war noch nie so reich und mächtig!
Vision Sozialismus
Gewerkschaften und Sozialdemokraten hatten ihren Platz in dieser Entwicklung. „Der Sündenfall des August 1914, das Einschwenken auf offene Unterstützung des imperialistischen Krieges ihrer eigenen Regierung, das Mitmachen beim Hurra-Patriotismus und Chauvinismus bedeutete nämlich nicht, dass man die eigene Anhängerschaft in den Industriebetrieben vollkommen im Stich ließ. Vom ersten Tag des Krieges an gab es Interventionen, gab es Proteste der Partei- und Gewerkschaftsführer gegen die Übergriffe der Unternehmer“, schreibt der Historiker Hans Hautmann und präzisiert einen weiteren Unterschied zur heutigen Sozialdemokratie:
„Die so gut wie unerschütterliche Bindung der österreichischen Arbeiterklasse an die alte austromarxistische Sozialdemokratie … wurzelte in der Realität ihres Eintretens für vitale ökonomische, soziale und politische Interessen der arbeitenden Menschen. Diese Fähigkeit war da, weil diese Partei noch ein sozialistisches Ziel im Auge hatte, weil sie … Reformen als Methode einer wirklichen Umgestaltung der Ausbeuterordnung, als Mittel, um den Sozialismus zu erreichen, betrachtete. Eine solche Partei gibt es heute nirgends mehr.“
Ein erster Höhepunkt in der Entwicklung des Widerstands war die Einberufung des „1. deutschösterreichischen Arbeitertages 1916“ durch die sozialdemokratischen Partei- und Gewerkschaftsführungen, zu dem für den 5.November 1000 Vertrauensleute und Mandatare sowie zehn leitende Beamte aus den Ministerien geladen waren. Die ursprüngliche Tagesordnung (1.Ernährungsfragen, 2.Rechtliche Stellung der Arbeiter) wurde umgedreht: Vertrauensleute und Funktionäre aus allen Branchen berichteten aus der Arbeitswelt über haarsträubende Verhältnisse.
Abgesehen von der schikanösen Behandlung und Entwürdigung der ArbeiterInnen und Arbeiter konnten sie als Verschärfung zu Soldaten erklärt und dem Militärstrafgesetz unterworfen werden. Die Kategorie dieser „Landsturmarbeiter“ wurde nicht nach geltenden Löhnen bezahlt, sondern nur nach den Regeln des militärischen Besoldungssystems. Entsprechend multiplizierten sich die Unternehmensgewinne. Der Abgeordnete Viktor Adler wird zitiert: „Ein Wort ist hier immer wiederholt worden: Der Betrieb ist unter Schutz gestellt. Das bedeutet: Der Unternehmer ist unter Schutz gestellt.“ Er schilderte die noch schamlosere Ausbeutung der weiblichen Arbeitskräfte. Unter besonderen Schutz gestellt war ausländisches Kapital, wie am Beispiel eines in englischem (!) Besitz befindlichen Unternehmens bewiesen wird, das monatelang nicht bereit ist, die weit und breit schlechtesten Arbeitsbedingungen zu bessern.
Gewalt für Profit
Eines der Beispiele betraf ein Unternehmen, in dem der Chef stets mit einer ledernen Hundepeitsche auftauchte und oftmals Arbeiter tatsächlich damit traktierte. Als er einen Vertrauensmann bedrohte, sagte der: „Wir sind keine Hunde!“ – und so der von Hautmann gewählte Titel für seine Arbeit. Doch was legitimierte die Unternehmer zu solchem Vorgehen gegen die Arbeiter?
Soviel zur Mär vom glücklichen Kaiserreich in der guaten alten Zeit: Bereits am 26.Dezember 1912 (!) war das „Kriegsleistungsgesetz“ verlautbart worden, abgekürzt „KLG“ (häufig auch „Kriegsdienstleistungsgesetz“). Hautmann: „Es handelte sich hier um den einschneidendsten legislativen Akt in Richtung einer diktatorischen Herrschaft der Militärkaste über die arbeitenden Menschen im Hinterland“ und der „im Kriegsfall die ganze Bevölkerung und die gesamte Wirtschaft militärischen Bedürfnissen unterwarf. Der Kernpunkt des Gesetzes bestand im Prinzip der Arbeitspflicht für alle männlichen Zivilpersonen bis zum 50.Lebensjahr, ihrer zwangsweisen Heranziehung zu persönlichen Dienstleistungen für Kriegszwecke.“ Bergbau, Hüttenindustrie, Metallverarbeitung, Maschinenbau, Chemie- und Elektrobranche usw. sind militärischer Verwaltung unterstellt.
Die Belegschaften mussten im Dienstverhältnis bleiben. Am 1.2.1915 waren 995 Betriebe unter KLG gestellt, im November 1916 4471 mit 1,3 Millionen Arbeitern, davon 363.000 Frauen und 37.000 Kriegsgefangene. Durch Aufhebung der Freizügigkeit waren die ArbeiterInnen massivstem Lohndruck ausgesetzt. Militärische Leiter (hauptsächlich Offiziere) hatten die Oberaufsicht und das Recht, Arreststrafen zu verhängen oder „einrückend zu machen“, wovon natürlich Vertrauensleute und Gewerkschafter besonders betroffen waren. Freilich hatten auch die Lohnabhängigen Rechte, es gab Beschwerdemöglichkeiten und sie bekamen oft genug formal Recht – trotzdem aber Arreststrafen und hatten dafür noch Kosten zu zahlen.
Gestern und heute
Aus dem Protokoll des Arbeitertages, das aktuell nur durch die Zensur verstümmelt erscheinen konnte, ist freilich auf die Doppelzüngigkeit der sozialdemokratischen Führer zu schließen, die z.B. angesichts der Streiks und Hungerdemonstrationen Anfang 1917 ihre Vertrauensleute beauftragten, „Ruhe zu bewahren und zu arbeiten“. Die Streiks 1917 waren alle spontan ohne Aufrufe der Gewerkschafts- und Parteiführung ausgebrochen.
Es war die wachsende Kampfbereitschaft der Arbeiter, die über Teilerfolge schließlich zu den siegreichen Massenaktionen führte. Auch innerhalb des Kapitals vertieften sich die Widersprüche. Tausende Unternehmen und Gewerbebetriebe standen unter existenzbedrohendem Druck der großen Konzerne wie des sogenannten Eisenkartells. Sie versuchten gegenüber der Arbeiterschaft eine „flexiblere“ Taktik durchzusetzen.
Die wachsende Solidarität und Kampfkraft der ArbeiterInnen erreichte Zugeständnisse und stärkte andererseits die „flexiblen“ Kapitalgruppen.
Hans Hautmann bringt schließlich noch den Bericht über die Reaktionen des Eisenkartells. Das Protokoll seiner Sitzung im Oktober 1917 wurde vermutlich von den „Flexiblen“ der AZ zugespielt und konnte dort am 4.4.1918 unzensiert erscheinen. (Das liest sich so, wie etwa die Multis heute in irgendeinem Land, das die Handels(profit)freiheit stört, einen faschistischen Putsch vorbereiten würden. Beispiel gefällig? Chile…) Vorsitz hatte der Kriegsminister, die Generaldirektoren der Schlüsselindustriekonzerne forderten Schluss der Lohnerhöhungen, keine Festlegung von Mindestlöhnen, Versammlungsverbot, Zensur der AZ, stärkere Militarisierung der Betriebe, gegen Arbeiter Exempel statuieren bis zum Standrecht (!). Die Wunschträume der Scharfmacher platzten, die Arbeiterklasse war schon in Bewegung, die Angst vor einer Revolution trieb die „flexiblen“ Kapitalisten in Richtung der Sozialdemokraten. Wir wissen heute, dass deren Träume von einem reformistischen Weg zum Sozialismus nach nicht einmal zwanzig Jahren ebenfalls geplatzt waren…
Nicht als gedenkwürdig in den Vordergrund gestellt habe die staatsoffizielle und die mediale Seite anlässlich der Gedenken an das Ende des Ersten Weltkrieges, an den Zusammenbruch des Habsburgerreiches, an die Gründung der Republik vor 90 Jahren „die Tatsache, dass es die massenhaft mobilisierte, radikalisierte und politisierte österreichische Arbeiterschaft war, die die historische Entwicklung in unserem Land damals vorantrieb“, schreibt Hans Hautmann im Vorwort. Ihm ist es zu verdanken, dass wir heute etwas mehr wissen können darüber, welche Kraft, welche Moral und welches Durchsetzungsvermögen die ArbeiterInnenklasse unter schwierigsten Bedingungen entwickelte und in fast allen Ländern Europas die Chance hatte, das Kapital und seine politischen Apparate völlig von ihrer Macht abzulösen. Heute hat mit Hilfe des politischen Apparats der EU das globalisierte Kapital die absolute Macht. Und wo stehen die europäischen (vereinigten) Gewerkschaften?
*) „Wir sind keine Hunde.“ Das Protokoll des Arbeitertages 1916 in Wien. Anhang: „Zur Naturgeschichte des Eisenkartells.“ Herausgeber und Einleitung: ao. Univ.Prof. i.R. Hans Hautmann. Alfred Klahr Gesellschaft. Wien 2009. Preis 8 Euro
Hubert Schmiedbauer ist Journalist in Graz