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Arbeitszeit und Wirtschaftskrise

  • Mittwoch, 10. Juni 2009 @ 21:09
Meinung Von Lutz Holzinger

Freiwilliger Lohnverzicht, Kurzarbeit und Kündigungen sind die Mittel, zu denen die Unternehmen in der Realwirtschaft greifen, um die von der Finanzindustrie ausgelöste Wirtschaftskrise zu bekämpfen. Tatsächlich handelt es sich dabei nicht um Heilmittel, sondern um Drogen, die wirtschaftlichen Schwierigkeiten weiter verschärfen. In der Debatte über die Ursachen der aktuellen Wirtschaftskrise verheddern die meisten Experten sich in der Frage, ob dieses Debakel vorherzusehen und zu verhindern gewesen wäre. Schuld an der Misere wird vor allem mangelnder Regulierung und Kontrolle der Akteure auf den Finanzmärkten gegeben, denen zum Teil überbordende Gier nachgesagt wird.

Langzeitoffensive des Kapitals

Bei vorurteilsloser Analyse stellt sich jedoch heraus, dass es sich bei dem von Spekulationen aller Art ausgelösten Zusammenbruch des Kreditsystems – zunächst in den USA und dann weltweit – um das Ergebnis überbordender Profitakkumulation gehandelt hat. Der seit dem Zusammenbruch des „realen Sozialismus“ gestartete Rückgang der Lohnquote verbesserte die Verwertungsbedingungen des Industriekapitals in einem Ausmaß, dass die Erträge mangels einer parallelen Entwicklung der Massenkaufkraft nicht in die Produktion investiert werden konnte.

Zwangsläufig sind die Geldrücklagen der Unternehmen nicht nur gewaltig angestiegen, sondern verlangten überdies nach profitabler Verwertung. In dieser Situation bot der Finanzsektor sich mit dem nicht realisierbaren Versprechen an, aus Geld mehr Geld machen zu können. Das verlangte den Banken schließlich immer gewagtere Eskapaden und Konstruktionen ab, mit denen sie schließlich beginnend im Sommer 2007 baden gingen.

Gleichzeitig hat sich seit Anfang der 90-er Jahre die Produktivität der lebendigen Arbeit in Industrie und Dienstleistungssektor vor allem durch den Siegeszug der EDV in Büro und Werkhalle enorm weiterentwickelt. Der gleichzeitig erfolgte Rückgang der Lohnquote zeigt, dass die Einkommen der Unselbständigen von dieser Entwicklung abgekoppelt wurden. Ausschlaggebend dafür waren zwei Strategien der Unternehmen im Rahmen der Langzeitoffensive des Kapitals, die Siegeszug des Neoliberalismus genannt wird.

* Erstens ist es der Unternehmerseite gelungen, die Fachgewerkschaften von der Forderung abzubringen, in den Lohnverhandlungen neben der Inflation auch die gestiegene Produktivität abzugelten.

* Zweitens hat es der Unternehmerseite zusätzlich geschafft, den die Gewerkschaftsbewegung in Österreich und ganz Europa dazu zu bewegen, einer Flexibilisierung der Arbeitszeit und der Beschäftigungsverhältnisse zuzustimmen.

Die Kombination dieser beiden Momente hat dazu geführt, dass die Reallöhne in Österreich (und mehr oder weniger in der gesamten Europäischen Union) seit Beginn der 90-er Jahre stagnieren. Gleichzeitig ist der gewerkschaftliche Kampf für eine weitere Arbeitszeitverkürzung, der nach dem Einstieg in die 35 Stunden Woche in der zweiten Hälfte der 1980-er Jahre aussichtsreich erschien, völlig eingeschlafen.

Working Poor statt Vollbeschäftigung

Trotz weiter steigenden ökonomischen Wachstums und volkswirtschaftlichen Reichtums blieb Vollbeschäftigung ein uneingelöstes Versprechen. Statt dessen wurde in der betrieblichen Praxis die Arbeitszeit massiv verkürzt, allerdings ohne die Normalarbeitszeit zu berühren. Statt dessen wucherten prekäre Beschäftigungsformen wie erzwungene Teilzeit, Leiharbeit, Scheinselbständigkeit, geringfügige Beschäftigung usw. Der Papierform nach stieg dadurch das Beschäftigungsniveau. Jedoch um den Preis, dass die Zahl der Lohnabhängigen wuchs, die mit ihrem Einkommen nicht auskommen können (Working Poor).

Nachdem die Überakkumulation von Kapital (und die massive Schmälerung der Massenkaufkraft, die übrigens wesentlich stärker als Profite das Wirtschaftswachstum ankurbelt) die herrschende Krise ausgelöst hat, kommen nun die Unternehmer und behaupten, Lohnverzicht, Kurzarbeit und Kündigungen seien geeignet, die aktuellen Probleme zu lösen. Wer die Losung „Wir zahlen nicht für eure Krise“ ernst nimmt, kann über dieses Ansinnen nur lachen.

Aus der Sicht kämpferischer Gewerkschafter ist der Zahltag gekommen: Auf die Tagesordnung gesetzt gehört Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich auf breiter Front. Nur so kann der über Jahre hinweg nicht abgegoltene Produktivitätszuwachs herausgeholt und die längst fällige Steigerung der Reallöhne realisiert werden.

Lutz Holzinger ist Journalist in Wien