Den ÖGB neu erfinden
- Montag, 23. März 2009 @ 09:20
Von Lutz Holzinger zum Bundeskongress des österreichischen Gewerkschaftsbundes
Die österreichische Gewerkschaftsbewegung zeichnete sich in der Zweiten Republik lange Zeit durch personelle Kontinuität aus. Seit jedoch sie mit der BAWAG-Affäre – als Spitze des Eisbergs von Missständen – ins Trudeln geraten ist, hat die Präsidentenfunktion den Charakter eines Wanderpokals erhalten.
Rudolf Hundstorfer, der Fritz Verzetnitsch kurzfristig abgelöst hatte, wurde am 16. ÖGB-Kongress im Jänner 2007 in seinem Amt formell bestätigt. In dieser Funktion hat er es nicht einmal eine volle Amtsperiode ausgehalten. Am vorverlegten 17. Bundeskongress vom 30. Juni bis 2. Juli dieses Jahres soll nun Erich Foglar als sein Nachfolger vom höchsten Gewerkschaftsorgan bestätigt werden.
Ob der Kongress zu mehr als für diese formale Weichenstellung taugt, ist von vornherein äußerst fraglich, nachdem die nach der Affäre um die ÖGB-eigene Bank von der Gewerkschaftsbasis erwartete Demokratisierung der Organisation gänzlich ausgeblieben ist. Beschlüsse aller Art fallen weiter hinter verschlossenen Türen im kleinsten Kreis der Spitzenfunktionäre. Für die Bewertung der Arbeit des ÖGB existiert jedoch ein eindeutiges Kriterium: Die Entwicklung der Lohnquote. Sie ist seit gut 20 Jahren rückläufig und stellt der ÖGB-Spitze ein ausgesprochenes Armutszeugnis aus.
Dieser Kurs wurde unter dem Vorwand entwickelt, sozialpartnerschaftliches Einvernehmen über alle anderen Interessen zu stellen, weil dies aus der Sicht der Werktätigen durchaus segensreich sei. Tatsächlich unterstreicht die negative Entwicklung der Lohnquote, dass der Anteil der Werktätigen an dem von ihnen erarbeiteten gesellschaftlichen Reichtum stark rückläufig ist: Hundstorfer, Foglar und Co. bzw. die Spitzen in den Fachgewerkschaften haben sich von der Unternehmerseite, der sie offenkundig in ihrer ganzen Lebensweise näher stehen als einfachen Gewerkschaftsmitgliedern, in den Lohnverhandlungen regelmäßig über den Tisch ziehen lassen. An dieser Tatsache ändern die hilflosen Versuche nicht das Geringste, der Öffentlichkeit durch die Simulation „harter Lohnverhandlungen“ ein entschlossenes Auftreten weiß zu machen.
Doppelter Schaden
Die Bereitschaft der Gewerkschaftsführung, den Werktätigen lohnmäßig das Weiße aus den Augen zu nehmen, hat nicht nur den Abschwung der Lohnquote ausgelöst, sondern zählt auch zu den Ursachen der aktuellen Weltwirtschaftskrise. Sie beruht im Wesentlichen auf einer Überakkumulation von Kapital, das in der Produktion bereits längere Zeit nicht mehr gewinnbringend angelegt werden konnte. Daraus resultierten die Kunststücke der Finanzmarktjongleure und das seit den Alchimisten des Mittelalters falsifizierte Versprechen aus Gold (= Geld) mehr Gold machen zu können. Die Zeche der Misere haben erst recht wieder die Lohnabhängigen zu bezahlen, wie die dramatisch steigenden Zahlen in puncto Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit zeigen.
Wie weit weg die ÖGB-Spitze von der Rolle ist, unterstreicht der Konflikt um die Verlängerung der Anwesenheitspflicht der Lehrerinnen und Lehrer um zwei Wohnstunden. Unterrichtsministerin Claudia Schmied bezeichnete diese Maßnahme als Krisenopfer der Lehrkräfte und betrachtet sie als unerlässlich, um die Qualität von Unterricht und Schule ohne zusätzliche Belastung des Bundesbudgets zu steigern. Trotz der Erwartung, dass die aktuelle Weltwirtschaftskrise nicht durchgetaucht werden kann, sondern lang anhalten wird, hat die ÖGB-Spitze auf die Zumutung der SPÖ-Ministerin seltsam zahnlos reagiert. Nur die unmittelbar betroffenen Gewerkschaftssektionen haben unter dem Druck der Mitglieder das Schmied-Modell vehement abgelehnt. Was wenig bringt, wenn die unheilige Regierungsallianz von SPÖ und ÖVP eine Entscheidung gegen den Willen der Lehrer trifft.
Die Leitmedien des Landes wurden offenkundig auf die Linie eingeschworen, die Lehrerinnen und Lehrer samt Interessenvertretung lächerlich zu machen. Dennoch hält der geschäftsführende ÖGB-Präsident Erich Foglar an der Sozialpartnerschaft fest. Auf die „Standard“-Frage „Die SPÖ-Regierungsmannschaft geht offenbar davon aus, dass in Krisenzeiten auch Beschlüsse gegen die Gewerkschaft nötig sind. Muss die Gewerkschaft in Zeiten wie diesen leisertreten?“ sagte der ÖGB-Chef. „Überhaupt nicht. Die Gewerkschaft hat in erster Linie die Beschäftigten zu vertreten. Es ist ziemlich egal, ob es eine Krise gibt oder nicht. Ich plädiere sehr dafür, dass man in sozialpartnerschaftlicher Weise versucht, gemeinsam eine Lösung zu finden.“ Das kann man vorauseilende Kompromiss- bzw. Konsensbereitschaft nennen, bevor ein Konflikt überhaupt ausgetragen wurde.
35 Stunden-Woche verbummelt
Für jeden halbwegs nüchternen Beobachter liegt auf der Hand, dass in dieser Situation, wo ein nachhaltiger Abbau von Arbeitsplätzen bevorsteht und die Ostwanderung von Produktionsstätten u.a. in der Autoindustrie forciert fortgesetzt wird, eine radikaler Schritt zur Arbeitszeitverkürzung erforderlich ist. Haben die Fachgewerkschaften die Weiterentwicklung zur 35 Stunden-Woche verbummelt, um ihrer jeweiligen Kernklientel Überstunden in Hülle und Fülle zukommen zu lassen, so wäre jetzt längst der Aufbruch zur 30 Stunden-Woche fällig. Unter dieser Voraussetzung könnten Arbeitsplätze ohne die Krücke von Kündigungen und Kurzarbeit wirkungsvoll gesichert werden.
Die sozialpartnerschaftliche Orientierung erfordert eine autoritäre Durchsetzung der Entscheidungen, die in Spitzengremien oder hinter den Kulissen ausgehandelt werden. Aufgrund der dadurch erzeugten Distanz fehlt es der ÖGB-Führung an realistischer Tuchfühlung zur Betriebs- und Mitgliederbasis. Klaus Kotschnig hat als Betriebsratsvorsitzender in einem Kärntner Unternehmen für Arbeitskräfteüberlassung gezeigt, dass die im ÖGB-Statut vorgesehene Bildung von Bundesbranchenausschüssen geeignet ist diese Schwachstelle zu überwinden, sofern eine entsprechende Zielstellung vorhanden ist. Diese Gremien haben an sich die Funktion, die Fachgewerkschaften bei der Formulierung der Lohnpolitik und anderer Forderungen im Interesse der Beschäftigten zu unterstützen.
Die mit Betriebsräten bzw. Betriebratsvorsitzenden des jeweiligen Wirtschaftszweiges besetzten Bundesbranchenausschüssse haben das Recht, absolut autonom und überfraktionell zu agieren. Sie können als Sprachrohr der Beschäftigten in den Betrieben zur Entwicklung und Durchsetzung von Forderungen in sämtlichen Lohn- und Sozialfragen genützt werden. Branchenausschüsse existieren der Papierform nach in allen Fachgewerkschaften und haben die Aufgabe, die Belegschaftsvertreter eines Wirtschaftszweigs auf einer überfraktionellen Basis für die Beratung der Fachgewerkschaften in Lohn- und anderen für die Beschäftigten eines Wirtschaftszweigs relevanten Fragen heranzuziehen.
Zweiter Schritt erforderlich
Im Fall des Bundesausschusses für die Branche der Arbeitskräfteüberlassung hat die Aktivierung sich bezahlt gemacht. Auf Initiative von Kotschnig haben die beteiligten Betriebsräte die Frequenz ihrer Treffen erhöht und ein „Ruf“-Seminar der Arbeiterkammer für intensive Schulungen, Beratungen und Diskussionen genutzt. Als besonders belebend habe sich der Erfahrungsaustausch zwischen den Vertretern verschiedener Betriebe erwiesen. In der Kombination von KV-Steigerungen und innerbetrieblichen Forderungen ist es dem Betriebsratsvorsitzenden gelungen, in seinem Unternehmen überproportional hohe Lohnabschlüsse durchzusetzen.
Angesichts der traurigen Figur, die viele Lenker der Marktwirtschaft derzeit abgeben, ist neuerdings wieder von der Regulierungsfunktion des Staates und der Vergesellschaftung von Unternehmen die Rede. Es wäre schon viel gewonnen, wenn in Österreich vor einem im Moment utopisch anmutenden Übergang zur Wirtschaftsdemokratie, die Gewerkschaftsdemokratie real wiederbelebt oder neu geschaffen würde.
Ist die Bildung der Einheitsgewerkschaft den negativen Erfahrungen mit Richtungsgewerkschaften in der 1. Republik geschuldet, so erscheint heute ein weiterer Schritt und zwar die Schaffung einer überfraktionellen Gewerkschaftsbewegung überfällig. Es geht dabei um die völlige Loslösung der gesamten Organisation von den politischen Parteien. Nur wenn die Interessen der Mitglieder tatsächlich der einzige Maßstab für die Entwicklung der ÖGB-Politik sind, kann gewährleistet werden, dass die Rücksicht ist auf Budget-, Konjunktur- und Unternehmeraspekte nicht zu bestimmenden Faktoren werden, wie das im Zeichen der Sozialpartnerschaft der Fall ist.
Die heutige ÖGB-Führung beruft sich hinsichtlich ihrer Politik gern auf Vorgänger wie den langjährigen ÖGB-Präsidenten Anton Benya. In seiner Zeit agierten die Fachgewerkschaften in Lohnverhandlungen allerdings auf der Grundlage der nach ihm benannten Benya-Formel. Sie besagte, dass Lohnabschlüsse nicht nur die Teuerungsabgeltung, sondern zusätzlich einen angemessenen Teil der Produktivitätssteigerung in der jeweiligen Branche umfassen mussten. Damals war eine stabile bis leicht steigende Lohnquote das Ergebnis der Sozialpartnerschaft; heute sinkt der Anteil der Werktätigen am von ihnen geschaffenen volkswirtschaftlichen Reichtum dramatisch. Wie heißt es im Volksmund? – „Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan; der Mohr kann gehen!“
Lutz Holzinger ist Journalist in Wien
Die österreichische Gewerkschaftsbewegung zeichnete sich in der Zweiten Republik lange Zeit durch personelle Kontinuität aus. Seit jedoch sie mit der BAWAG-Affäre – als Spitze des Eisbergs von Missständen – ins Trudeln geraten ist, hat die Präsidentenfunktion den Charakter eines Wanderpokals erhalten.
Rudolf Hundstorfer, der Fritz Verzetnitsch kurzfristig abgelöst hatte, wurde am 16. ÖGB-Kongress im Jänner 2007 in seinem Amt formell bestätigt. In dieser Funktion hat er es nicht einmal eine volle Amtsperiode ausgehalten. Am vorverlegten 17. Bundeskongress vom 30. Juni bis 2. Juli dieses Jahres soll nun Erich Foglar als sein Nachfolger vom höchsten Gewerkschaftsorgan bestätigt werden.
Ob der Kongress zu mehr als für diese formale Weichenstellung taugt, ist von vornherein äußerst fraglich, nachdem die nach der Affäre um die ÖGB-eigene Bank von der Gewerkschaftsbasis erwartete Demokratisierung der Organisation gänzlich ausgeblieben ist. Beschlüsse aller Art fallen weiter hinter verschlossenen Türen im kleinsten Kreis der Spitzenfunktionäre. Für die Bewertung der Arbeit des ÖGB existiert jedoch ein eindeutiges Kriterium: Die Entwicklung der Lohnquote. Sie ist seit gut 20 Jahren rückläufig und stellt der ÖGB-Spitze ein ausgesprochenes Armutszeugnis aus.
Dieser Kurs wurde unter dem Vorwand entwickelt, sozialpartnerschaftliches Einvernehmen über alle anderen Interessen zu stellen, weil dies aus der Sicht der Werktätigen durchaus segensreich sei. Tatsächlich unterstreicht die negative Entwicklung der Lohnquote, dass der Anteil der Werktätigen an dem von ihnen erarbeiteten gesellschaftlichen Reichtum stark rückläufig ist: Hundstorfer, Foglar und Co. bzw. die Spitzen in den Fachgewerkschaften haben sich von der Unternehmerseite, der sie offenkundig in ihrer ganzen Lebensweise näher stehen als einfachen Gewerkschaftsmitgliedern, in den Lohnverhandlungen regelmäßig über den Tisch ziehen lassen. An dieser Tatsache ändern die hilflosen Versuche nicht das Geringste, der Öffentlichkeit durch die Simulation „harter Lohnverhandlungen“ ein entschlossenes Auftreten weiß zu machen.
Doppelter Schaden
Die Bereitschaft der Gewerkschaftsführung, den Werktätigen lohnmäßig das Weiße aus den Augen zu nehmen, hat nicht nur den Abschwung der Lohnquote ausgelöst, sondern zählt auch zu den Ursachen der aktuellen Weltwirtschaftskrise. Sie beruht im Wesentlichen auf einer Überakkumulation von Kapital, das in der Produktion bereits längere Zeit nicht mehr gewinnbringend angelegt werden konnte. Daraus resultierten die Kunststücke der Finanzmarktjongleure und das seit den Alchimisten des Mittelalters falsifizierte Versprechen aus Gold (= Geld) mehr Gold machen zu können. Die Zeche der Misere haben erst recht wieder die Lohnabhängigen zu bezahlen, wie die dramatisch steigenden Zahlen in puncto Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit zeigen.
Wie weit weg die ÖGB-Spitze von der Rolle ist, unterstreicht der Konflikt um die Verlängerung der Anwesenheitspflicht der Lehrerinnen und Lehrer um zwei Wohnstunden. Unterrichtsministerin Claudia Schmied bezeichnete diese Maßnahme als Krisenopfer der Lehrkräfte und betrachtet sie als unerlässlich, um die Qualität von Unterricht und Schule ohne zusätzliche Belastung des Bundesbudgets zu steigern. Trotz der Erwartung, dass die aktuelle Weltwirtschaftskrise nicht durchgetaucht werden kann, sondern lang anhalten wird, hat die ÖGB-Spitze auf die Zumutung der SPÖ-Ministerin seltsam zahnlos reagiert. Nur die unmittelbar betroffenen Gewerkschaftssektionen haben unter dem Druck der Mitglieder das Schmied-Modell vehement abgelehnt. Was wenig bringt, wenn die unheilige Regierungsallianz von SPÖ und ÖVP eine Entscheidung gegen den Willen der Lehrer trifft.
Die Leitmedien des Landes wurden offenkundig auf die Linie eingeschworen, die Lehrerinnen und Lehrer samt Interessenvertretung lächerlich zu machen. Dennoch hält der geschäftsführende ÖGB-Präsident Erich Foglar an der Sozialpartnerschaft fest. Auf die „Standard“-Frage „Die SPÖ-Regierungsmannschaft geht offenbar davon aus, dass in Krisenzeiten auch Beschlüsse gegen die Gewerkschaft nötig sind. Muss die Gewerkschaft in Zeiten wie diesen leisertreten?“ sagte der ÖGB-Chef. „Überhaupt nicht. Die Gewerkschaft hat in erster Linie die Beschäftigten zu vertreten. Es ist ziemlich egal, ob es eine Krise gibt oder nicht. Ich plädiere sehr dafür, dass man in sozialpartnerschaftlicher Weise versucht, gemeinsam eine Lösung zu finden.“ Das kann man vorauseilende Kompromiss- bzw. Konsensbereitschaft nennen, bevor ein Konflikt überhaupt ausgetragen wurde.
35 Stunden-Woche verbummelt
Für jeden halbwegs nüchternen Beobachter liegt auf der Hand, dass in dieser Situation, wo ein nachhaltiger Abbau von Arbeitsplätzen bevorsteht und die Ostwanderung von Produktionsstätten u.a. in der Autoindustrie forciert fortgesetzt wird, eine radikaler Schritt zur Arbeitszeitverkürzung erforderlich ist. Haben die Fachgewerkschaften die Weiterentwicklung zur 35 Stunden-Woche verbummelt, um ihrer jeweiligen Kernklientel Überstunden in Hülle und Fülle zukommen zu lassen, so wäre jetzt längst der Aufbruch zur 30 Stunden-Woche fällig. Unter dieser Voraussetzung könnten Arbeitsplätze ohne die Krücke von Kündigungen und Kurzarbeit wirkungsvoll gesichert werden.
Die sozialpartnerschaftliche Orientierung erfordert eine autoritäre Durchsetzung der Entscheidungen, die in Spitzengremien oder hinter den Kulissen ausgehandelt werden. Aufgrund der dadurch erzeugten Distanz fehlt es der ÖGB-Führung an realistischer Tuchfühlung zur Betriebs- und Mitgliederbasis. Klaus Kotschnig hat als Betriebsratsvorsitzender in einem Kärntner Unternehmen für Arbeitskräfteüberlassung gezeigt, dass die im ÖGB-Statut vorgesehene Bildung von Bundesbranchenausschüssen geeignet ist diese Schwachstelle zu überwinden, sofern eine entsprechende Zielstellung vorhanden ist. Diese Gremien haben an sich die Funktion, die Fachgewerkschaften bei der Formulierung der Lohnpolitik und anderer Forderungen im Interesse der Beschäftigten zu unterstützen.
Die mit Betriebsräten bzw. Betriebratsvorsitzenden des jeweiligen Wirtschaftszweiges besetzten Bundesbranchenausschüssse haben das Recht, absolut autonom und überfraktionell zu agieren. Sie können als Sprachrohr der Beschäftigten in den Betrieben zur Entwicklung und Durchsetzung von Forderungen in sämtlichen Lohn- und Sozialfragen genützt werden. Branchenausschüsse existieren der Papierform nach in allen Fachgewerkschaften und haben die Aufgabe, die Belegschaftsvertreter eines Wirtschaftszweigs auf einer überfraktionellen Basis für die Beratung der Fachgewerkschaften in Lohn- und anderen für die Beschäftigten eines Wirtschaftszweigs relevanten Fragen heranzuziehen.
Zweiter Schritt erforderlich
Im Fall des Bundesausschusses für die Branche der Arbeitskräfteüberlassung hat die Aktivierung sich bezahlt gemacht. Auf Initiative von Kotschnig haben die beteiligten Betriebsräte die Frequenz ihrer Treffen erhöht und ein „Ruf“-Seminar der Arbeiterkammer für intensive Schulungen, Beratungen und Diskussionen genutzt. Als besonders belebend habe sich der Erfahrungsaustausch zwischen den Vertretern verschiedener Betriebe erwiesen. In der Kombination von KV-Steigerungen und innerbetrieblichen Forderungen ist es dem Betriebsratsvorsitzenden gelungen, in seinem Unternehmen überproportional hohe Lohnabschlüsse durchzusetzen.
Angesichts der traurigen Figur, die viele Lenker der Marktwirtschaft derzeit abgeben, ist neuerdings wieder von der Regulierungsfunktion des Staates und der Vergesellschaftung von Unternehmen die Rede. Es wäre schon viel gewonnen, wenn in Österreich vor einem im Moment utopisch anmutenden Übergang zur Wirtschaftsdemokratie, die Gewerkschaftsdemokratie real wiederbelebt oder neu geschaffen würde.
Ist die Bildung der Einheitsgewerkschaft den negativen Erfahrungen mit Richtungsgewerkschaften in der 1. Republik geschuldet, so erscheint heute ein weiterer Schritt und zwar die Schaffung einer überfraktionellen Gewerkschaftsbewegung überfällig. Es geht dabei um die völlige Loslösung der gesamten Organisation von den politischen Parteien. Nur wenn die Interessen der Mitglieder tatsächlich der einzige Maßstab für die Entwicklung der ÖGB-Politik sind, kann gewährleistet werden, dass die Rücksicht ist auf Budget-, Konjunktur- und Unternehmeraspekte nicht zu bestimmenden Faktoren werden, wie das im Zeichen der Sozialpartnerschaft der Fall ist.
Die heutige ÖGB-Führung beruft sich hinsichtlich ihrer Politik gern auf Vorgänger wie den langjährigen ÖGB-Präsidenten Anton Benya. In seiner Zeit agierten die Fachgewerkschaften in Lohnverhandlungen allerdings auf der Grundlage der nach ihm benannten Benya-Formel. Sie besagte, dass Lohnabschlüsse nicht nur die Teuerungsabgeltung, sondern zusätzlich einen angemessenen Teil der Produktivitätssteigerung in der jeweiligen Branche umfassen mussten. Damals war eine stabile bis leicht steigende Lohnquote das Ergebnis der Sozialpartnerschaft; heute sinkt der Anteil der Werktätigen am von ihnen geschaffenen volkswirtschaftlichen Reichtum dramatisch. Wie heißt es im Volksmund? – „Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan; der Mohr kann gehen!“
Lutz Holzinger ist Journalist in Wien