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Krise? Der Kapitalismus holt Atem – für noch größere Profitschöpfung

  • Donnerstag, 5. Februar 2009 @ 20:05
Meinung Von Hubert Schmiedbauer

Marx und Engels sind auf einmal Bestseller. Kapitalismus – dieses Wort ist wieder salonfähig geworden. Verstaatlichung – „mehr Privat statt Staat“? Händeringend wird um öffentliche Gelder gebettelt, selbst wenn damit die Herrschenden über Konzerne und Banken vorübergehend Machtverlust erleiden sollten. Stärkung der Massenkaufkraft – was jahrelang ignoriert und verhindert worden war, steht plötzlich in politischen Programmen. Aber Vorsicht: Arbeitslosigkeit und Unsicherheit in der Arbeitswelt werden für zusätzlichen Druck auf das Sozialsystem genutzt. In Österreich ist erstmals wieder die Arbeitslosigkeit stark gestiegen. Ende Jänner waren mehr als 300.000 Menschen ohne Job, zehntausende hatten bereits Kurzarbeit und das ist erst der Anfang. Die Unternehmervertretungen machen massiv Druck auf Ausweitung der Kurzarbeit bei sozialer Schlechterstellung. Sonst müsste man Personal abbauen, sagen sie und verlangen im selben Atemzug Öffnung bisheriger Schranken für Massenkündigungen im Anschluss an Kurzarbeit.

Kurzarbeit bringt durch Intensivierung meist dieselbe Arbeitsleistung, das Unternehmen spart Löhne und andere Kosten, nur ist z.B. damit der fehlentwickelten Auto- bzw. Zulieferindustrie nicht zu helfen. Die kapitalistische Wirtschaft produziert drauf los, solange der Profit stimmt, und sperrt zu, wenn der Markt schrumpft.

Schon im Jänner galten 230.000 ÖsterreicherInnen als „arm“, während 63.000 MitbürgerInnen jährlich Einkommen von 72.000 Euro und mehr zu versteuern hatten. Das wären also nach der alten Schilling-Rechnung die wahren MillionärInnen, die angeblich mindestens zehnmal mehr wert sind als hunderttausende fleißige Leute in unserem Land…

Solche privilegierte Einkommen führen zu Vermögen, die wiederum nahezu steuerfreie Zusatzgewinne bringen. So verschiebt sich das Volkseinkommen von Jahr zu Jahr: Die Lohnquote sinkt bereits unter die 60-Prozent-Marke, während die Einkommen aus unternehmerischer Tätigkeit, Besitz und Vermögen von einst rund 25 Prozent auf mehr als ein Drittel gewachsen sind. Anders die Steueraufkommen: die Massensteuern – Lohnsteuer und Mehrwertsteuer – erbrachten 2007 40,5 Milliarden Euro, 2008 bereits 43,2 Mrd bei einem Gesamtsteueraufkommen von 64,7 bzw. 68,5 Mrd. Die Einkommensteuer stieg gerade einmal von 2,6 auf 2,7 Mrd.

Moralische Appelle nutzlos

Mit der weltweiten Verflechtung von Wirtschaft, Profitmaximierung und Spekulation tritt auch die kapitalistische Krise als globale Erscheinung auf und nur mühsam gelingt es den Herrschenden, von den grundsätzlichen Unmenschlichkeiten dieses Gesellschaftssystems durch Fehl- und Falschinformation abzulenken. Nicht zuletzt durch Anwendung oder Provokation nackter Gewalt. Zur Zeit geht es um noch dichtere Konzentration der Wirtschaft, um die Herausbildung noch stärkerer Macht auf den Märkten und in der Politik – und um die Fähigkeit, ganze Staatshaushalte zu destabilisieren, die Politik von Regierungen untere Druck zu setzen, innenpolitische Spannungen zu finanzieren, Bürgerkriege anzustacheln. Krieg gilt noch immer als ein Ausweg aus kapitalistischen Krisen. Die USA drohen mit Interventionen in Syrien und im Iran. Die EU formiert eine Interventionsarmee zur „Sicherung des freien Handels“ – gegen irgendwelche Piraten vor Afrika oder Sumatra? Gegen europäische Straßenblockaden oder Handelsboykotts? Gegen Versuche, Freiheiten für das Kapital und die Monopolisierung der Märkte zu beschränken?

Kapitalistische Krisen sind stets ein Atemholen bei der Suche nach dem Maximalprofit. Die Weltkonjunktur hat in den letzten Jahren starke Wachstumsraten gezeigt. Dadurch sind auch Berge an Profiten gewachsen, von denen ein großer Teil nicht als Investitionen in die Realwirtschaft zurückfließen konnte. Es gab zuwenig kaufkräftige Nachfrage – etwa in den asiatischen Billiglohnländern. Dafür hat sich das Finanzvermögen der etwas mehr als zehn Millionen Reichsten der Welt innerhalb von zehn Jahren auf über 40 Billionen Dollar (eine Billion = eine Million Millionen) verdoppelt. Anderthalb Promille der Menschheit besaßen 2007 40 Prozent des privaten Geldvermögens… Nach einer anderen Berechnung betrug das globale Geldvermögen der Privathaushalte im Jahr 2000 63,8 Billionen Dollar, 2005 waren es 88,3 Billionen, ein Wachstum um 38 Prozent. In Europa wuchs es aber um 56 Prozent von 18,7 auf 29,2 Billionen, in Japan nur um 4,4 Prozent auf 11,9 Billionen, in Afrika und Mittelost blieb es mit 2,8 Billionen Dollar gleich.

Millionäre und reiche Privathaushalte suchen zusammen mit den nicht investierten Profiten andere Verwertungsmöglichkeiten: Pensionsfonds, Versicherungen, Spekulationskapital, Währungsspekulation. Im weltweiten Devisenhandel werden täglich mehr als 3000 Milliarden Dollar umgesetzt – vor zwanzig Jahren waren es so um die 500 Milliarden. Der internationale Handel mit Derivaten – früher einmal Instrumente der Risiko-Absicherung bei Handelsgeschäften, heute nichts anderes als spekulatives Wettgeld auf wahrscheinliche Entwicklungen im Geldmarkt – wuchs von rund 200 Billionen Dollar im Jahr 2000 auf 1200 Billionen im Jahr 2007. Andererseits ziehen unzählige Anleger ihre Einlagen von Fonds ab, denen sie nun nicht mehr vertrauen. Da geht es um hunderte Milliarden Dollar oder Euro. Diese Kapitalströme bringen weitere Turbulenzen in den Geldmarkt.

Das Kapital entmachten

All diese Zahlen sind nur Einzelbeispiele dafür, über welche ungeheuren Profite aus der gesellschaftlichen Wertschöpfung, also der Ausbeutung von Arbeitskraft, eine Handvoll privater EigentümerInnen verfügt. Es ist zur Zeit nur nahezu unmöglich für das Kapital, Veranlagungen und Investitionen so unterzubringen, dass die Profiterwartungen erfüllt werden können. Da sollen nun die Staatshaushalte einspringen und das Profitsystem retten. Inzwischen bilden aber „die Reichen“ neue kapitalistische Organisationsformen zur Absicherung ihrer gegenwärtigen und zukünftigen Profite. Bisher waren es vor allem die Stiftungen und „Steueroasen“, wohin sich die Kapitalmengen steuerschonend und diskret verkrochen hatten, doch diese scheinen den Geldsäcken nicht mehr ganz sicher.

Österreichische Banken und Versicherungen haben 230 Milliarden Euro in den osteuropäischen Staaten angelegt, das entspricht mehr als zwei Dritteln des gesamten österreichischen Bruttoinlandsprodukts. Das Gerangel um die Vormachtstellung im mittelosteuropäischen Erdöl- und Erdgasgeschäft erreichte beinahe Dimensionen eines Handelskrieges. Ganze Banken- und Versicherungskonzerne, aber auch Industrie- und Handelsunternehmen wurden aufgekauft oder gegründet. Auf Österreich entfällt fast ein Fünftel aller Kredite dieser Länder, erst an zweiter Stelle folgt Deutschland mit rund 15 Prozent.

Jahrelang wurde in den Bilanzen von Banken, Versicherungen und Industriekonzernen hervorgehoben, welch großer Anteil am Geschäftserfolg aus diesen Erwerbungen oder Beteiligungen stammt. Jetzt drohen durch die kapitalistische Finanzkrise Verluste und die heimischen Heuschrecken stellen sich beim Finanzminister um Subventionen oder wenigstens Ausfallhaftungen an. Da tritt nun ein weiterer kapitalistischer Wucher in Erscheinung: Der Geldmarkt mit seinen Institutionen belastet „das Risiko“ mit höheren Zinsen und Gebühren, das den österreichischen Staat bzw. seine Geldwirtschaft Milliarden kosten könnte, denn die Stützungsmilliarden müssen ja erst einmal hoch verzinst vom Geldmarkt geholt werden – also von Banken…

Außer den Regierungen und Parlamenten, deren Denken und Handeln den herrschenden gesellschaftlichen Verhältnissen untergeordnet ist, hat sich auch eine Reihe von Institutionen entwickelt, die weltweit dieses System kontrollieren und nicht einmal an Spielregeln der bürgerlichen Demokratie gebunden sind: die Weltbank und die kontinentalen Zentralbanken, der Internationale Währungsfonds, die Welthandelsorganisation. Sie alle erfüllen Aufgaben zur Erhaltung der bestehenden Wirtschaftsmechanismen – und wehe den Staaten oder PolitikerInnen, die versuchen, andere Modelle zu entwickeln!

Gewerkschaften: Starke Worte

Eine neue Weltfinanzordnung sei nötig, wurde am Schluss des Weltwirtschaftsforums in Davos Ende Jänner verkündet. Dort waren an die 2500 Leute aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik versammelt, darunter 40 Regierungschefs, um der Welt zu zeigen, wie es weitergehen soll. Der Generaldirektor dieses Forums, André Schneider, war im ORF zu Gast und berichtete über einige Konzepte dieser Versammlung kapitalistischer Systemträger. Der geschäftsführende ÖGB-Präsident Erich Foglar reagierte auf die Aussagen Schneiders – und damit wohl auch auf das ganze Weltforum – enttäuscht:

„Wir brauchen rasch ganz klare Regeln für die Finanzwirtschaft“, verlangte Foglar und forderte nicht nur Regeln, sondern auch die Instrumente, solche Regeln zu sanktionieren. Er forderte auch einen „generellen Systemwechsel in der Finanzwirtschaft“ und erinnerte an die Forderung des ÖGB nach Einführung einer Finanztransaktionssteuer und einer Spekulationssteuer. „Es braucht einen generellen Wandel, und zwar rasch.“ Aus diesen starken Worten ist noch nicht zu entnehmen, dass die Führung der stärksten organisierten Kraft zu systemkritischen oder auch systemüberwindenden Aktionen bereit ist.

Die Besitzenden sind durch die Krise in ihrer Existenz nicht bedroht. Wohl aber all jene, die nur ihre Arbeitskraft besitzen (oder besessen haben). Darum bleibt ihnen auch nur der Ausweg, ihre Arbeitskraft so teuer wie möglich zu verkaufen: Keine Preisgabe sozialer Substanz. Keine Lohnverluste hinnehmen. Und dann geht es um Wege, das ganze System auszuhebeln, vielleicht mit ersten Schritten der Enteignung von Banken und Großkonzernen. Wenn solche Erkenntnisse jetzt auch von führenden GewerkschafterInnen zu hören sind, wenn es zu Massenprotesten kommt – die letzten Monate haben weltweit schon einiges gezeigt! -, wenn sich internationale Solidarität gegen das globale Profitsystem formiert, dann erfüllt die gegenwärtige Krise ihre Funktion des Atemholens nicht nur für höhere Profite, sondern für neue Menschlichkeit.

Hubert Schmiedbauer ist Journalist und lebt in Graz