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Sich vor der Krise ducken, heißt viel verlieren

  • Montag, 10. November 2008 @ 12:44
Meinung Von Hubert Schmiedbauer

Das Kapital will mit der Krise eine Umverteilung erreichen – auf Kosten der Arbeitenden. Das Getöse um die Finanz- und Investitionskrise ist begleitet von einem Großangriff auf die Lebenssituation der Arbeitenden – es ist der immer wiederkehrende Klassenkampf von oben. Ein paar Stichworte zur gegenwärtigen Krise des sogenannten neoliberalen Kapitalismus, die weder von irgendwelchen Wahlen oder von Starmania-Hysterie zu beeinflussen ist: Massenvernichtung von Arbeitsplätzen, Lohnsenkung durch Arbeitszeitverlängerung oder Betriebsverlagerung – der österreichische Kapitalist Mirko Kovats hat es kürzlich in Worte gefasst*): Es müsse mehr gearbeitet werden, ohne dafür mehr bezahlt zu bekommen oder gar einen sicheren Arbeitsplatz zu haben.

Dazu gibt es die Angriffe auf Pensionen, das Sinken der Renditen für Vorsorgefonds, die Versuche zur Verwässerung der Lohnsteuerreform, nicht zuletzt die EU-Bemühungen für empfindliche Rückschritte bei den Arbeitszeitrichtlinien. Das Kapital geht international oder gar global vor! Nicht zu vergessen die globale wie auch die hausgemachte Preistreiberei, aus der die Konzerne und Banken zusätzliche Profite schöpfen und der mit mindestens einem Jahr Verspätung vielleicht Inflationsabgeltungen folgen.

Aber die Wirtschaft wächst

Freilich ist es ein Unterschied, ob das Bruttosozialprodukt eines Jahres, also die Gesamtheit der Wirtschaftsleistung, um 3 Prozent oder nur um 1 Prozent zunimmt. Die Faustregel lautet, dass mindestens 2 Prozent Zuwachs notwendig sind, um Arbeitslosigkeit zu verhindern oder gar abzubauen. Steigende Arbeitsproduktivität, Rationalisierung und andere Massnahmen werden zum Teil dazu genutzt, Arbeitskraft einzusparen.

Da sind wir beim sogenannten Wettbewerb, auf den sich das Kapital und seine Verwalter stets ausreden. So wie sie es verstehen, heißt Wettbewerb nichts anderes als billigere Arbeitskraft, weniger Umweltschutz, Steuern, Sozialabgaben usw. Also weg mit der traditionellen Betriebsstätte, Abbau der Leiharbeitskräfte, dann der Stammbelegschaft, hinein in die große Welt der ungehinderten Ausbeutung von „Humanressourcen“ und Rohstoffen…

Fazit: In Österreich sind zur Zeit solche Betriebe betroffen wie die Kunstfaserproduktion von Glanzstoff St.Pölten, der Siemens-Konzern mit dem größten Software-Entwickler Österreichs (2400 Beschäftigte), der Magna-Steyr-Konzern (ehemals Steyr-Daimler-Puch) des Frank Stronach bzw. seiner ErbInnen und damit die gesamte aufgeblähte Kfz-Zuliefer- und Montageindustrie, der Tiroler Luxusglaskonzern Swarovski, die Post- und Telekom-Fragmente, die ÖBB, aber auch andere Bereiche der Industrie und der Dienstleistungen. Betriebsanlagen, Geld, Arbeitskräfte, technische und kommerzielle Intelligenz – all das ist nicht verschwunden. Woran scheitert die Konjunktur? Ist die Wirtschaft eine unabhängige, selbständige, unbeeinflussbare Sache, die „von außen“ nicht zu steuern ist? Derlei wird den Menschen eingeredet. Aber es gibt Möglichkeiten der Steuerung. Dazu haben kritische Leute einiges an Gehirnschmalz beigesteuert und in konkreten Forderungen auf den Tisch gelegt:

Wissenschaftlich untermauerte Forderungen

Was wären nun mögliche Sofortmassnahmen gegen Krisenfolgen auf Kosten der Lohnabhängigen und PensionistInnen? Seit dem Sommer gehen die führenden GewerkschafterInnen fast täglich auf die wichtigsten Themen ein, die von der Regierung zu bewältigen wären – nicht ganz zufällig in der Wahlkampfzeit – und formulieren wichtige Forderungen. Die Gewerkschaftsjugend hat Anliegen, von denen schon ihre Väter geträumt haben, z.B. die Übernahme der Fahrt- und Internatskosten für den Berufsschulbesuch durch die Unternehmer, aber auch solche Themen wie das Recht auf fachliche Ausbildung – und nicht auf Ausbildung zu Reinigungspersonal, Supermarkteinkäufern, Autowäschern oder gar BabysitterInnen. Heftige Proteste hat die beabsichtigte Schließung der Fernmeldeschule in Graz zur Folge.

Die ÖGB-Spitzen machen sich stark für ein EU-Konjunkturpaket, denn nationale Konzepte reichen nicht, auch für ein Gesamtpaket zur Entlastung der Arbeitnehmer, für die Stärkung der Massenkaufkraft und der Kaufkraft vor allem der KleinstverdienerInnen. Alles klar, sozusagen. Aber außer der Protestaktion der Siemensbeschäftigten in Floridsdorf am 6. November gab es keine nennenswerte öffentliche Aktion, die durch Mobilisierung von Gewerkschaften Aufsehen und Nachdenken erregt hätte.

Der ÖGB und die Einzelgewerkschaften brauchen sich nicht zu verstecken, wenn auch der neoliberale Medienwind auf sie geblasen wird. Nicht alle Wirtschafts- und SozialwissenschafterInnen sind Anbeter der neoliberalen Doktrinen. In letzter Zeit haben sich in Österreich außer Stefan Schulmeister auch WIFO-Chef Aiginger für eine Hebung der Massenkaufkraft ausgesprochen, selbst gegen das EU-Diktat der Maastricht-Kriterien, um über die Lockerung der willkürlich vorgeschriebenen Grenzen von Staats“defizit“ und Staats“schulden“ Impulse zur Konjunkturbelebung zu geben.

Schulmeister verlangt rasches Handeln der Politik, möglichst im europäischen Gleichschritt müsse der Staat „entsparen“, die Notenbanken die Zinsen senken, den Gemeinden und Ländern Mittel zur Verfügung stellen (Infrastruktur-Investitionen), die Sozialtransfers für die Schwächsten anheben, rasch die bedarfsorientierte Grundsicherung einführen, Kündigungen erschweren, dafür alle Möglichkeiten für die Verkürzung der Arbeitszeiten nutzen.

Der amerikanische Nobelpreisträger Joseph E. Stiglitz warf sich in Gesprächen mit heimischen Wissenschaftern und Politikern ebenso in die Bresche. Mit seinen Argumenten kann der Kampf gegen neoliberale Crashwirtschaft und Sicherung der Beschäftigung von Millionen Menschen geführt werden.

Es kam ja nicht überraschend

Worüber hat „die arbeit“ jahrelang geschrieben? Wovor haben kritische Persönlichkeiten aus dem Inneren der Kapitalherrschaft längst gewarnt? Dass genau das eintreten werde, womit wir es gegenwärtig zu tun haben – und noch ärger: nicht nur eine Finanzkrise, sondern die Gefährdung des gesamten Systems bewiesen manche in dicken Büchern schon vor mehr als zehn Jahren (z.B. der Guru der Fondsverwalter George Soros, der nun wieder Bücher über die Gefahren des Heuschreckenkapitalismus geschrieben hat).

Aber das Kapital ist taub gegen kritische Warnungen, solange es auf Profite und Superprofite und noch mehr hoffen kann.

Die österreichischen WirtschaftsforscherInnen waren mit wenigen Ausnahmen genau so systemverpflichtet. Jahrelang korrigierten WIFO und IHS brav alle drei Monate die Prognosen, stellten Widersprüche fest, notierten auch einen Mangel an Massenkaufkraft – aber sie konnten sich (dazu noch als Beratungsorgane der jeweiligen Regierung) nicht aufraffen, deutliche Hebung des Massenkonsums zu verlangen, im Gegenteil – manche Forderung zielte auf Abbau sozialer Sicherheiten und wichtiger Stützungen (Wohnbauförderung, Pensionssystem, öffentlichen Verkehr usw.).

Jahrelang wurde jede nachhaltige Entwicklung der Massenkaufkraft verhindert, womöglich sogar mit den Schlagworten „Arbeitsplatzsicherung“ und „Wettbewerbsvorteil“, Produktionsverlagerungen wurden ebenso gottgegeben hingenommen wie die damit verbundene verschärfte Ausbeutung und die Verhinderung kaufkraftwirksamer Entwicklungen in den Zielländern. So kann es nicht überraschend sein, wenn nun das Ergebnis einer solchen Wirtschaftspolitik mehr gefährdet, als die ungehinderte Entfaltung des Neoliberalismus jemals an Vorteilen hervorbringen konnte.

Ein erneuerter Kapitalismus?

Von einem „neuen Kapitalismus“, einer „besseren EU“, einer „Sozialunion“ phantasieren jetzt Leute wie Frankreichs Sarkozy, Deutschlands Angela Merkel und andere reformfreudige NationalspielerInnen rechts und links der Mittellinie. Manche entdecken marxistisch-wissenschaftliche Denkmethoden, nähern sich linken Kräften mit der Perspektive kämpferischer Mobilisierung und müssen in der Halbherzigkeit ihrer Versuche feststellen, dass die politischen Machthaber sich eher mit rechtsbürgerlichen Kräften oder gar Rechtspopulisten verbünden als gemeinsame Aktion zur Entfaltung von Massenbewegungen zu suchen. Beispiele aus der internationalen Gewerkschaftsbewegung oder den sozialdemokratischen Parteien gibt es genug.

In Österreich sind die Gewerkschaften und Arbeiterkammern gefordert, ihre ursprüngliche Aufgabe als Kampfinstrumente der Lohnabhängigen zu erfüllen. Das muss bei den laufenden Lohnverhandlungen beginnen. Vor ein paar Jahren haben die Gewerkschaften bewiesen, dass sie organisieren, mobilisieren und Erfolge erzielen können – die Millionen Menschen gegen die Millionenjongleure, Millionenspekulanten, Millionenverschieber, die nur durch eine demokratische Massenbewegung entmachtet werden können.

Hubert Schmiedbauer ist Journalist und lebt in Graz

*) Im November lief der österreichische Film „Lets make money“ an, dessen Darstellung der kapitalistischen Realität, gewürzt mit Interviews von Managern und Politikern, schon zu wütenden Beschimpfungen geführt hat. Ein informationsgeladener Filmgenuss für GewerkschafterInnen!