Explosive Blase
- Samstag, 25. Oktober 2008 @ 15:51
Von Lutz Holzinger
Das Platzen der Immobilienblase in den USA hat nach und nach das globale Finanzsystem in eine Krise gestürzt. Langsam aber sicher zeigt die produktive Wirtschaft ebenfalls Wirkung. Leidtragende sind nicht die Spekulanten, die von der Aufblähung der Finanzmärkte profitiert haben. Langfristig kommen, wie im Kapitalismus nicht anders zu erwarten, die Werktätigen zum Handkuss.
Bezeichnend für die herrschende Krise erscheint, dass sie niemand lesen kann. Jedenfalls hat bisher kein etabliertes Medium die tieferen Ursachen für diese Entwicklung benannt oder einen der superschlauen Ökonomen um eine entsprechende Analyse gebeten. Tatsache ist, dass Regional- und Branchenkrisen seit der Liberalisierung des Finanzsystems (durch die Deregulierung der Kredit-, Devisen- und Aktienmärkte) zu periodisch wiederkehrenden Erscheinungen geworden sind. Und überdies gehört die Krise zum Kapitalismus wie die Henne zum Ei, sofern nicht ein Systemwettbewerb wie seinerzeit mit dem sozialistischen Lager zu straffem Krisenmanagement zwingt.
Die Zentren der kapitalistischen Entwicklung wurden seit der Liberalisierung der Finanzmärkte in den 70er Jahren lediglich vom Platzen der Dot-Com-Blase unmittelbar berührt. Die restlichen Katastrophen haben sich in der Peripherie ereignet – in Russland, Argentinien, Brasilien und Südostasien. Dem Umstand ist es vermutlich zuzuschreiben, dass alle guten Vorsätze zur Stabilisierung des Finanzsektors in den Wind geschlagen wurden, sobald die ärgsten Krisenfolgen (meist unter Schonung der für sie Verantwortlichen) überwunden waren.
Die Rallye konnte mit erhöhten Einsätzen weitergehen, wobei die Anlagebereiche immer mehr den Charakter von Spielkasinos angenommen haben. Nach dem neuerlichen Zusammenbruch, der mit seinen Auswirkungen nun die gesamte Welt erfasst hat, sind die Finanzjongleure ratlos. Vermutlich haben sie von vornherein nicht gewusst, was sie tun. Mit hundertprozentiger Sicherheit kann das von den Managern großer europäischer Banken gesagt werden, die ihren US-Kollegen haufenweise Pakete abgekauft haben, die aus Partikeln von faulen Krediten zusammengesetzt waren.
Woher stammen die Einsätze?
Woher kam das Spielgeld, das in immer größeren Quanten in den Finanzsektor gepumpt wurde? Es stammt aus der Akkumulation von Kapital, die eine lange Wachstumsperiode hindurch angehalten hat. Gespeist wurde die Anhäufung durch den normalen kapitalistischen Verwertungsprozess, in dem das Anlagekapital (im Zuge der Realisierung des Tauschwerts der jeweiligen Ware) fortlaufend in kleinen Portionen über die gesamte Periode der Nutzung von Bauten und Maschinerie zurückfließt. Um Erneuerungs- und Rationalisierungsinvestitionen nach dem Verschleißen der Produktionsanlagen vornehmen zu können, werden entsprechende Geldreserven gebildet. Diese Rücklagen steigen auf gewaltige Summen an, die sich zur zusätzlichen Verwertung anbieten.
Im Grund ist es gleichgültig, ob Finanzinstitute diese Verwertung auf den Finanzmärkten auf eigene oder die Rechnung der verschiedenen Unternehmen vornehmen. So oder so werden gewaltige Summen aus der Realwirtschaft, sofern in ihr keine zusätzlichen Anlagemöglichkeiten (etwa durch den Ausbau, die Erweiterung oder die Differenzierung der Produktion) bestehen, in diese Sphäre gepumpt in der Hoffnung größtmögliche Gewinne zu erzielen.
Dazu kommen Geldreserven, die von Managern in der Real- und Finanzwirtschaft (aufgrund ihrer massenhaften Überzahlung) einerseits und unselbständig Erwerbstätigen (aufgrund ihres materiellen Sicherheitsbedürfnisses bzw. ihrer Altersvorsorge) andererseits gebildet werden. Diese Mittel werden ebenfalls zu möglichst günstigen Konditionen angelegt. Dabei ergibt sich die Groteske, dass Pensionsfonds etwa von Arbeitern und Angestellten der USA Druck auf Konzerne ausüben, damit sie zur Ergebnissteigerung und Pflege der Aktienkurse Massenentlastungen vornehmen. In der Tendenz gehen diese Maßnahmen auf Kosten der Bevölkerungsgruppe, der die Versicherten angehören.
Aus Nix wird Nix!
Trotz anders lautender Werbesprüche ist es eine Binsenweisheit, dass Geld nicht arbeitet, sondern der gesellschaftliche Reichtum ausschließlich durch lebendige Arbeitskraft vermehrt wird. Im Finanzsektor wird kein Mehrwert produziert; er ist aber erforderlich, um ihn realisieren zu können. Die einzelnen Finanzmärkte tragen wesentlich dazu bei, die Reichweite des produktiven Kapitals auszudehnen: Durch Kredite zur Finanzierung von Anlage- und Umlaufkapital, durch Devisen für den internationalen Warenverkehr und durch die Platzierung von Aktien zur Stärkung der Eigenkapitalbasis von Unternehmen.
Die Banken und andere Finanzinstitute sammeln vorübergehend nicht benötigte Geldreserven von Firmen und Privaten, um es denjenigen per Kredit zur Verfügung zustellen, die es für die Produktion oder den Konsum benötigen. Darüber hinaus wechseln sie Geld bzw. tauschen sie verschiedene Währungen und vermitteln (als weitere Dienstleistung) ihren Kunden den Kontakt zur Börse bzw. den Aktien- und Wertpapierhandel. Diese diversen Hilfsdienste lassen sie sich über Gebühren bzw. die Differenz zwischen Haben- und Soll-Zinsen oder zwischen Ankauf- und Verkauf-Notierung bezahlen. Zusätzliche Werte entstehen dabei nicht. Vielmehr geben die Firmenkunden Anteile des von ihnen angeeigneten Mehrwerts an die Institute weiter. Bei den selbständig Erwerbstätigen handelt es sich Reproduktionskosten, die sie von ihren Löhnen oder Gehältern abzweigen müssen.
Diese technischen Details sind eine Voraussetzung, um die jetzige Krisensituation verstehen zu können. Sie wurde in letzter Konsequenz durch einen rund 15 bis 20 Jahre andauernden Umverteilungsprozess zugunsten des Kapitals mit verursacht. Der europaweite Rückgang der Lohnquote, die den Anteil der unselbständig Erwerbstätigen am Volkseinkommen .ausdrückt, in diesem Zeitraum spricht eine deutliche Sprache. Diese Umschichtung von Reichtum in die falsche Richtung hatte wesentlichen Anteil an der überbordenden Aufblähung des Finanzsektors, dessen Akteure vorgetäuscht haben, langfristig eine wundersame Geldvermehrung vornehmen zu können. Statt im (wohl verdienten) Konsum der Werktätigen landete das überschüssige Geld der G´stopften im internationalen Spekulationszirkus, der von Rating-Agenturen und Investmentbanken be- und angetrieben wurde.
Jux und Tollerei
Statt diesem Treiben, vor dem besonnene Ökonomen gewarnt haben, zeitgerecht einen Riegel vorzuschieben, wurden offensichtlich selbst öffentliche Instanzen wie Gemeinden, ÖBB usw. ermutigt, sich auf Luftgeschäfte einzulassen. Die Beschaffung von Spekulationskapital durch den Verkauf von Sachwerten einerseits und ihr Lease-Back (Zurückborgen) andererseits ist ein Musterbeispiel. Die Propagandisten des Neoliberalismus gingen sogar so weit, das über Jahrzehnte bewährte Umlageverfahren der Pensionsversicherungen in Frage zu stellen. Stattdessen wurde ein Kapitalanlageverfahren empfohlen, das in der jetzigen Krise über all dort, wo es tatsächlich durchgesetzt wurde, vor dem Ruin steht.
Karl Marx hat Krisen als reinigende Gewitter betrachtet, die zwar kräftige Erschütterungen mit sich bringen, aber dafür sorgen, dass der Verwertungsprozess - meist nach kräftigen Schüben der Konzentration und Zentralisation des Kapitals - in den gewohnten Bahnen weiter gehen kann. In der jetzigen Krise lassen die Regierungen das nicht zu. Sie stopfen hunderte Milliarden in die Finanzmärkte, um deren Zusammenbruch zu verhindern. Kein Schwein weiß, woher der Zaster stammt. Solange es sich bloß um Garantien handelt, die nicht schlagend werden, ist das nicht so schlimm. Früher oder später muss jedoch die Zeche bezahlt werden. Dann werden die Zentralbanken die Gelddruckmaschinen anwerfen und eine gewaltige Inflationsflut lostreten. Erfahrungsgemäß gehen derartige Prozesse auf Kosten der Werktätigen: Ein weiteres Mal müssen dann sie den Kopf hinhalten!
Jetzt, wo die Realwirtschaft von der Finanzkrise erfasst wird und eine Rezession vor der Tür steht, ist energisches Gegensteuern erforderlich. In dem Punkt ist die Gewerkschaftsbewegung gefragt. Nachdem sie in der Lohnfrage jahrelang vor der neoliberalen Schlange wie ein Karnickel zurückgewichen ist und unzureichende Lohnabschlüsse in Kauf genommen hat, ist eine Gegenbewegung überfällig. Einerseits um den Bedürfnissen der Werktätigen Rechnung zu tragen und andererseits um der Konjunktur einen Kaufkraftimpuls zu geben, sind in der aktuellen Lohnrunde saftige Steigerungen notwendig – unter Berücksichtigung sowohl der Inflation als auch der Produktivität. Alles, was schlechter ist als eine Achter vor dem Komma (wie von den deutschen Metallern gefordert), würde die Lohnquote weiter nach unter drücken und kaum zu einer Reallohnerhöhung führen.
Auf die Signale hören
Zur Frage der Lohnzurückhaltung schreibt Rudolf Hickel, Direktor des Instituts Arbeit und Wirtschaft der Uni Bremen: „Es wäre binnenwirtschaftlich absolut falsch, der Tarifpolitik zur Rettung aus dem Abwärtsstrudel der Finanzmärkte Opfer abzuverlangen. Vielmehr weist die Tarifforderung der IG Metall von acht Prozent in die richtige Richtung. Sie zielt darauf, überschüssige Gewinne, die spekulativ angelegt werden, zugunsten der Löhne zu reduzieren. Gerade in der Metall- und Elektroindustrie ist der Anteil der Profite, die nicht in die Finanzierung von Sachinvestitionen geflossen sind, besonders gestiegen. ... Damit es gelingt überschüssige Profite muss die überdurchschnittlich gute Branchenentwicklung stärker berücksichtigt werden. Dabei sollte sich die Lohnpolitik nicht an konjunkturellen Ausschlägen, sondern an der mittelfristigen Entwicklung ausrichten. Orientierungsgrößen sind die Produktivität, die in der Metallbranche auch künftig um über vier Prozent wachsen dürfte, sowie die Inflationsrate. Ein so bemessener Lohnzuschlag verbessert die Kaufkraft. Und er ist ein probates Mittel, um den Abschwung, der durch die Finanzkrise angetrieben wird, zu bremsen.“ Es wäre zu wünschen, dass die Fachgewerkschaften des ÖGB dieses eindeutige Signal hören.
Lutz Holzinger ist Journalist in Wien
Das Platzen der Immobilienblase in den USA hat nach und nach das globale Finanzsystem in eine Krise gestürzt. Langsam aber sicher zeigt die produktive Wirtschaft ebenfalls Wirkung. Leidtragende sind nicht die Spekulanten, die von der Aufblähung der Finanzmärkte profitiert haben. Langfristig kommen, wie im Kapitalismus nicht anders zu erwarten, die Werktätigen zum Handkuss.
Bezeichnend für die herrschende Krise erscheint, dass sie niemand lesen kann. Jedenfalls hat bisher kein etabliertes Medium die tieferen Ursachen für diese Entwicklung benannt oder einen der superschlauen Ökonomen um eine entsprechende Analyse gebeten. Tatsache ist, dass Regional- und Branchenkrisen seit der Liberalisierung des Finanzsystems (durch die Deregulierung der Kredit-, Devisen- und Aktienmärkte) zu periodisch wiederkehrenden Erscheinungen geworden sind. Und überdies gehört die Krise zum Kapitalismus wie die Henne zum Ei, sofern nicht ein Systemwettbewerb wie seinerzeit mit dem sozialistischen Lager zu straffem Krisenmanagement zwingt.
Die Zentren der kapitalistischen Entwicklung wurden seit der Liberalisierung der Finanzmärkte in den 70er Jahren lediglich vom Platzen der Dot-Com-Blase unmittelbar berührt. Die restlichen Katastrophen haben sich in der Peripherie ereignet – in Russland, Argentinien, Brasilien und Südostasien. Dem Umstand ist es vermutlich zuzuschreiben, dass alle guten Vorsätze zur Stabilisierung des Finanzsektors in den Wind geschlagen wurden, sobald die ärgsten Krisenfolgen (meist unter Schonung der für sie Verantwortlichen) überwunden waren.
Die Rallye konnte mit erhöhten Einsätzen weitergehen, wobei die Anlagebereiche immer mehr den Charakter von Spielkasinos angenommen haben. Nach dem neuerlichen Zusammenbruch, der mit seinen Auswirkungen nun die gesamte Welt erfasst hat, sind die Finanzjongleure ratlos. Vermutlich haben sie von vornherein nicht gewusst, was sie tun. Mit hundertprozentiger Sicherheit kann das von den Managern großer europäischer Banken gesagt werden, die ihren US-Kollegen haufenweise Pakete abgekauft haben, die aus Partikeln von faulen Krediten zusammengesetzt waren.
Woher stammen die Einsätze?
Woher kam das Spielgeld, das in immer größeren Quanten in den Finanzsektor gepumpt wurde? Es stammt aus der Akkumulation von Kapital, die eine lange Wachstumsperiode hindurch angehalten hat. Gespeist wurde die Anhäufung durch den normalen kapitalistischen Verwertungsprozess, in dem das Anlagekapital (im Zuge der Realisierung des Tauschwerts der jeweiligen Ware) fortlaufend in kleinen Portionen über die gesamte Periode der Nutzung von Bauten und Maschinerie zurückfließt. Um Erneuerungs- und Rationalisierungsinvestitionen nach dem Verschleißen der Produktionsanlagen vornehmen zu können, werden entsprechende Geldreserven gebildet. Diese Rücklagen steigen auf gewaltige Summen an, die sich zur zusätzlichen Verwertung anbieten.
Im Grund ist es gleichgültig, ob Finanzinstitute diese Verwertung auf den Finanzmärkten auf eigene oder die Rechnung der verschiedenen Unternehmen vornehmen. So oder so werden gewaltige Summen aus der Realwirtschaft, sofern in ihr keine zusätzlichen Anlagemöglichkeiten (etwa durch den Ausbau, die Erweiterung oder die Differenzierung der Produktion) bestehen, in diese Sphäre gepumpt in der Hoffnung größtmögliche Gewinne zu erzielen.
Dazu kommen Geldreserven, die von Managern in der Real- und Finanzwirtschaft (aufgrund ihrer massenhaften Überzahlung) einerseits und unselbständig Erwerbstätigen (aufgrund ihres materiellen Sicherheitsbedürfnisses bzw. ihrer Altersvorsorge) andererseits gebildet werden. Diese Mittel werden ebenfalls zu möglichst günstigen Konditionen angelegt. Dabei ergibt sich die Groteske, dass Pensionsfonds etwa von Arbeitern und Angestellten der USA Druck auf Konzerne ausüben, damit sie zur Ergebnissteigerung und Pflege der Aktienkurse Massenentlastungen vornehmen. In der Tendenz gehen diese Maßnahmen auf Kosten der Bevölkerungsgruppe, der die Versicherten angehören.
Aus Nix wird Nix!
Trotz anders lautender Werbesprüche ist es eine Binsenweisheit, dass Geld nicht arbeitet, sondern der gesellschaftliche Reichtum ausschließlich durch lebendige Arbeitskraft vermehrt wird. Im Finanzsektor wird kein Mehrwert produziert; er ist aber erforderlich, um ihn realisieren zu können. Die einzelnen Finanzmärkte tragen wesentlich dazu bei, die Reichweite des produktiven Kapitals auszudehnen: Durch Kredite zur Finanzierung von Anlage- und Umlaufkapital, durch Devisen für den internationalen Warenverkehr und durch die Platzierung von Aktien zur Stärkung der Eigenkapitalbasis von Unternehmen.
Die Banken und andere Finanzinstitute sammeln vorübergehend nicht benötigte Geldreserven von Firmen und Privaten, um es denjenigen per Kredit zur Verfügung zustellen, die es für die Produktion oder den Konsum benötigen. Darüber hinaus wechseln sie Geld bzw. tauschen sie verschiedene Währungen und vermitteln (als weitere Dienstleistung) ihren Kunden den Kontakt zur Börse bzw. den Aktien- und Wertpapierhandel. Diese diversen Hilfsdienste lassen sie sich über Gebühren bzw. die Differenz zwischen Haben- und Soll-Zinsen oder zwischen Ankauf- und Verkauf-Notierung bezahlen. Zusätzliche Werte entstehen dabei nicht. Vielmehr geben die Firmenkunden Anteile des von ihnen angeeigneten Mehrwerts an die Institute weiter. Bei den selbständig Erwerbstätigen handelt es sich Reproduktionskosten, die sie von ihren Löhnen oder Gehältern abzweigen müssen.
Diese technischen Details sind eine Voraussetzung, um die jetzige Krisensituation verstehen zu können. Sie wurde in letzter Konsequenz durch einen rund 15 bis 20 Jahre andauernden Umverteilungsprozess zugunsten des Kapitals mit verursacht. Der europaweite Rückgang der Lohnquote, die den Anteil der unselbständig Erwerbstätigen am Volkseinkommen .ausdrückt, in diesem Zeitraum spricht eine deutliche Sprache. Diese Umschichtung von Reichtum in die falsche Richtung hatte wesentlichen Anteil an der überbordenden Aufblähung des Finanzsektors, dessen Akteure vorgetäuscht haben, langfristig eine wundersame Geldvermehrung vornehmen zu können. Statt im (wohl verdienten) Konsum der Werktätigen landete das überschüssige Geld der G´stopften im internationalen Spekulationszirkus, der von Rating-Agenturen und Investmentbanken be- und angetrieben wurde.
Jux und Tollerei
Statt diesem Treiben, vor dem besonnene Ökonomen gewarnt haben, zeitgerecht einen Riegel vorzuschieben, wurden offensichtlich selbst öffentliche Instanzen wie Gemeinden, ÖBB usw. ermutigt, sich auf Luftgeschäfte einzulassen. Die Beschaffung von Spekulationskapital durch den Verkauf von Sachwerten einerseits und ihr Lease-Back (Zurückborgen) andererseits ist ein Musterbeispiel. Die Propagandisten des Neoliberalismus gingen sogar so weit, das über Jahrzehnte bewährte Umlageverfahren der Pensionsversicherungen in Frage zu stellen. Stattdessen wurde ein Kapitalanlageverfahren empfohlen, das in der jetzigen Krise über all dort, wo es tatsächlich durchgesetzt wurde, vor dem Ruin steht.
Karl Marx hat Krisen als reinigende Gewitter betrachtet, die zwar kräftige Erschütterungen mit sich bringen, aber dafür sorgen, dass der Verwertungsprozess - meist nach kräftigen Schüben der Konzentration und Zentralisation des Kapitals - in den gewohnten Bahnen weiter gehen kann. In der jetzigen Krise lassen die Regierungen das nicht zu. Sie stopfen hunderte Milliarden in die Finanzmärkte, um deren Zusammenbruch zu verhindern. Kein Schwein weiß, woher der Zaster stammt. Solange es sich bloß um Garantien handelt, die nicht schlagend werden, ist das nicht so schlimm. Früher oder später muss jedoch die Zeche bezahlt werden. Dann werden die Zentralbanken die Gelddruckmaschinen anwerfen und eine gewaltige Inflationsflut lostreten. Erfahrungsgemäß gehen derartige Prozesse auf Kosten der Werktätigen: Ein weiteres Mal müssen dann sie den Kopf hinhalten!
Jetzt, wo die Realwirtschaft von der Finanzkrise erfasst wird und eine Rezession vor der Tür steht, ist energisches Gegensteuern erforderlich. In dem Punkt ist die Gewerkschaftsbewegung gefragt. Nachdem sie in der Lohnfrage jahrelang vor der neoliberalen Schlange wie ein Karnickel zurückgewichen ist und unzureichende Lohnabschlüsse in Kauf genommen hat, ist eine Gegenbewegung überfällig. Einerseits um den Bedürfnissen der Werktätigen Rechnung zu tragen und andererseits um der Konjunktur einen Kaufkraftimpuls zu geben, sind in der aktuellen Lohnrunde saftige Steigerungen notwendig – unter Berücksichtigung sowohl der Inflation als auch der Produktivität. Alles, was schlechter ist als eine Achter vor dem Komma (wie von den deutschen Metallern gefordert), würde die Lohnquote weiter nach unter drücken und kaum zu einer Reallohnerhöhung führen.
Auf die Signale hören
Zur Frage der Lohnzurückhaltung schreibt Rudolf Hickel, Direktor des Instituts Arbeit und Wirtschaft der Uni Bremen: „Es wäre binnenwirtschaftlich absolut falsch, der Tarifpolitik zur Rettung aus dem Abwärtsstrudel der Finanzmärkte Opfer abzuverlangen. Vielmehr weist die Tarifforderung der IG Metall von acht Prozent in die richtige Richtung. Sie zielt darauf, überschüssige Gewinne, die spekulativ angelegt werden, zugunsten der Löhne zu reduzieren. Gerade in der Metall- und Elektroindustrie ist der Anteil der Profite, die nicht in die Finanzierung von Sachinvestitionen geflossen sind, besonders gestiegen. ... Damit es gelingt überschüssige Profite muss die überdurchschnittlich gute Branchenentwicklung stärker berücksichtigt werden. Dabei sollte sich die Lohnpolitik nicht an konjunkturellen Ausschlägen, sondern an der mittelfristigen Entwicklung ausrichten. Orientierungsgrößen sind die Produktivität, die in der Metallbranche auch künftig um über vier Prozent wachsen dürfte, sowie die Inflationsrate. Ein so bemessener Lohnzuschlag verbessert die Kaufkraft. Und er ist ein probates Mittel, um den Abschwung, der durch die Finanzkrise angetrieben wird, zu bremsen.“ Es wäre zu wünschen, dass die Fachgewerkschaften des ÖGB dieses eindeutige Signal hören.
Lutz Holzinger ist Journalist in Wien