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Immer wieder Österreich?

  • Samstag, 21. Juni 2008 @ 20:12
Meinung Von Renate Vodnek

Österreich fußballerisch in einem Ausnahmezustand – Anlass für eine Bilanz: Trotz aller Hysterie im Vorfeld kam es zu keinen gröberen Vorfällen mit gewaltbereiten Fans – bei 750.000 Fans kam es nur zu 320 Festnahmen. (1) Bewahrheitet hat sich damit die Aussage vom Leiter der Sicherheits- und Verkehrspolizeilichen Abteilung der Wiener Polizei Peter Goldgruber: „Wir ziehen ja nicht in den Krieg, wir haben nur eine Europameisterschaft“. (2) Wie gut, dass die diversen Gesetzesänderungen wie Hooligan-Datei, Gefährderansprachen oder Ausweitung der Videoüberwachung auch später noch verwendbar sind. Damit kann Österreich z.B. in Zukunft vor „RisikodemonstrantInnen“ beschützt werden – erste Gehversuche gibt es mit den aufgrund des Anti-Mafia-Paragrafen § 278 willkürlich verhafteten TierrechtsaktivistInnen bereits. (3)

Das Neue bei diesen Maßnahmen ist die Abkehr vom Prinzip des Tatverdachts hin zum Risiko einer Tatbegehung. Mehr als fraglich ist auch ob die neu aufgestellten Kameras, wie es das Gesetz vorsieht, danach wieder abgebaut werden - wie das Zitat von Goldgruber zeigt: „Wenn wir feste Kameras installieren, dann bleiben diese aber dort und wir können sie bei Bedarf wieder in Betrieb nehmen“. (4)

Die EM wurde zu einem Übungsfeld für über 30.000 Polizisten, Bundesheersoldaten und privaten Sicherheitsleuten, erstmals getestet werden duften auch die Eurofighter sowie das Zusammenspiel unterschiedliche EU-Sicherheitskräfte. Verschärfungen im Bereich Sicherheit sind ein wichtiger Bestandteil in den EU Verträgen und Österreich versucht hier Vorzugsschüler zu sein: schon 2007 verlautbarte die Regierung in einem gemeinsamen Vortragspapier: „Gerade in diesem Gebiet kann Österreich durch die 'Online-Durchsuchung' Vorbild für die anderen europäischen Staaten sein." (5) Und das ist Österreich auch: die Datenschutzvereinigung Privacy International stufte Österreich 2007 (noch vor der SPG-Novelle) um zwei Stufen in der siebenteiligen Werteskala zurück. (6)

Ein weiteres Novum ist die Beschneidung der Freiheit im öffentlichen Raum durch die blickdicht eingezäunten Fanzonen mit Zutritts- und Sicherheitskontrollen. Ebenfalls offiziell mit der EM begründet wurde die mit Jahresbeginn 2008 in Kraft getretene Privatisierung des öffentlichen (Plakatflächen)raums in Wien: Plakatieren abseits der kostenpflichtigen Plakatflächen der zur Gewista gehörenden “KULTUR:PLAKAT GmbH” ist nun strikt verboten, was eine Einschränkung der Meinungsfreiheit sowie Marginalisierung kleinerer Vereine und NGOs bringt. (7)

Für den Handel fällt die wirtschaftliche Zwischenbilanz verhalten aus - die sonntäglichen Massenanstürme auf die mit EM-Sonder-KVs ausgestatteten Geschäfte sind ausgeblieben. Erwartet wurde laut Wirtschaftskammer ein 0,15-prozentiges BIP Wachstum. (8) Im Gegensatz dazu behaupten alle unabhängig durchgeführten Studien, dass Sportveranstaltungen nur eine „vernachlässigbar geringe Wirkung auf die Gesamtwirtschaft haben“. (9) Für die Supermarktketten Billa und Spar war das zu erwarten: „Wir haben nie mit einem sonntäglichen Run gerechnet.“ (10) Auch Massenunterkünfte um 38 Euro bzw. Getränkepreis von 3,50 Euro aufwärts waren nicht der große Renner.

Das lässt vermuten, dass der eigentliche Grund die weitere Aushöhlung des Arbeitsrechts war und damit ein weiterer Schritt in Richtung allgemeiner Sonntagsarbeit gemacht wurde. Gleichzeitig wurden in Österreich bzw. der EU auch einige Gesetze bzw. Gesetzesentwürfe beschlossen: ob allgemeine Studien-Hürden bzw. Festlegung der Studiengebühren für HörerInnen aus Nicht-EU Staaten durch die Unis (Universitätsgesetz), Arbeitszeit bis zu 65 Stunden/Woche, Bereitschaftsdienst nicht mehr vollständige Arbeitszeit (EU Arbeitszeitrichtlinie), Ausweitung der Schubhaft auf bis zu 18 Monate (EU Asylpolitik) oder auch die sich seit über einem Monat in U-Haft befindlichen TierrechtsaktivistInnen - all dies geht in der Fußballeuphorie relativ unter.

Was kaum thematisiert wird ist der Ausschluss von Frauen im und um den Fußball – schon der Titel EURO 08 ignoriert, dass es auch eine EM der Frauen gibt. Die Erfahrungen der WM 06 zeigen einen Anstieg der häuslichen Gewalt um 30 Prozent. In diesem Zusammenhang erstaunt der Vorschlag des ehemaligen deutschen Nationaltrainers Berti Vogts: „Hass gehört nicht ins Stadion. Die Leute sollen ihre Emotionen zu Hause in den Wohnzimmern mit ihren Frauen ausleben.” (11)

Trotz der allgemeinen EM-Werbemaschinerie existieren auch alternative Projekte – wie z.B. die LISA-Liga für Integration, Sport und Antirassismusarbeit in Innsbruck oder das alternative Camp Ladyzzz' Mile unter dem Motto „Reclaim the Urban Space“. (11) Die Zeit hätte allerdings auch für die Gewerkschaften genutzt werden können – wäre nicht ein Warnstreik während der Euro eine gute Möglichkeit gewesen, die Verhandlungen mit dem Management etwas zu beschleunigen und im Sinne der Belegschaft zu beeinflussen?

Renate Vodnek ist Aktivistin der Plattform für kämpferische und demokratische Gewerkschaften

Quellen:
(1) Kurier, 14.5.08, S. 13
(2) Die Presse, 12.4.08, S. 5
(3) nähere Infos siehe http://antirep2008.lnxnt.org
(4) Die Presse, 19.4.08, S. 18
(5) http://futurezone.orf.at/it/stories/229407/; 23.10.2007
(6) Aussendung der Arge Daten, 28.01.2008
(7) In den Worten der Gewista: „wir (müssen) gemeinsam das Problem der hässlichen Wildplakate in den Griff kriegen“, damit sich Wien „von seiner schönsten Seite“ zeigt. (the gap 083, Februar 08, S. 14; http://www.gewista.at/relaunch /www/index.php?id=590&sprache=1; 22.02.08)
(8) Die Presse, Arena, Dez. 2007, S. 29
(9) Ballesterer 30, S. 33-34
(10) Spar Sprecherin Berkmann, Österreich, 15.06.08, S. 32
(11) http://entdinglichung.wordpress.com/2008/05/23/scheiss-em-2008/
(12) www.lisa-innsbruck.at; http://www.fibrig.net/?page_id=42