Die kämpferischen Seiten des ÖGB
- Montag, 28. April 2008 @ 11:28
Von Hubert Schmiedbauer
Die Gewerkschaften können heuer ein besonderes „8er-Jubiläum“ feiern: Im Mai 1948 wurde der erste ÖGB-Kongress abgehalten. Die Gründung des einheitlichen Gewerkschaftsbundes hatte im April 1945 mit Versammlungen im befreiten Wien begonnen – die Hitler-Wehrmacht hatte noch nicht kapituliert und ließ in den letzten Kriegswochen weitere zehntausende Österreicher und Deutsche den „Heldentod“ sterben – und das sowjetische Militärkommando bewilligte sofort die Gründungsurkunde mit den drei Unterschriften der führenden Gewerkschafter von SPÖ (Johann Böhm), ÖVP (Lois Weinberger) und KPÖ (Gottlieb Fiala). Drei Jahre später war es dann soweit, dass ein ordentlicher Kongress einberufen werden konnte. Druck der VP-SP-Koalition
In der von den kommunistischen und anderen linken GewerkschafterInnen herausgegebenen Monatszeitschrift „die arbeit“ (2. Jahrgang, Heft 5, Mai 1948) legen im Vorlauf des 1. ÖGB-Kongresses führende KollegInnen zur Entwicklung von Wirtschaft und Politik Bilanz. Ein Faden zieht sich durch die Beiträge: die Fraktionierung im ÖGB. Gottlieb Fiala stellt kritisch fest, dass die Koalition ÖVP-SPÖ bestrebt sei, „den ÖGB zu einem Werkzeug und Anhängsel der Regierungspolitik zu degradieren. SP und VP haben sich auch im Gewerkschaftsbund gegen links verbündet.“
Oscar Deubler schreibt über den Einfluss der VP-SP-Koalition auf die Tätigkeit des ÖGB: „Mögen die beiden Fraktionen im Bundesvorstand in manchen Fragen anderer Auffassung sein …, letzten Endes einigen sie sich doch auf der gemeinsamen Plattform der parlamentarischen Koalition.“
Mit der Kandidatur als „Gewerkschaftliche Einheit“ (später „Gewerkschaftlicher Linksblock – Kommunisten, linke Sozialisten, Parteilose“) demonstrierten die Linken ihren Willen zu einheitlichen, überparteilichen Gewerkschaften und Betriebsräten. So wurde auch an den Kongress ein Antrag gestellt, der die Fraktionierung verhindern sollte: „…Jeder Versuch, die Arbeiterschaft in den Betrieben und Gewerkschaften aufzuspalten, bedeutet eine Schwächung und Gefährdung der Einheit des Gewerkschaftsbundes“, daher möge der Kongress „die Aufstellung gewerkschaftlicher Einheitslisten bei den Betriebsratswahlen“ empfehlen. Den linken GewerkschafterInnen war bei den Betriebsratswahlen zuvor von rund einem Drittel der KollegInnen das Vertrauen ausgesprochen worden. Natürlich schmetterten die beiden Regierungsfraktionen einen solchen Antrag ab… (Später bildeten die sozialdemokratischen und die christlichen GewerkschaftsführerInnen eigene internationale Verbände außerhalb des Weltgewerkschaftsbundes.)
Gottlieb Fiala hebt die Schwerpunktaufgaben hervor, die vor der Gewerkschaftsbewegung stehen: „Die kommunistischen Mitglieder des Bundesvorstandes haben … Anträge gestellt, die auf die Hebung der materiellen und sozialen Lage der Arbeiter und Angestellten gerichtet sind und darüber hinaus Maßnahmen für Verstaatlichung, Planung und Bewirtschaftung vorsehen. Von entscheidender Bedeutung für die weitere Entwicklung ist die volle Herstellung der österreichischen Souveränität… Der Bundeskongress muss beschließen, dass der ÖGB mehr als bisher seinen Einfluss auf den baldigen Abschluss des Staatsvertrages geltend macht, um den Abzug der Besatzungstruppen zu beschleunigen, da die Gründe, die seinerzeit zur militärischen Besetzung führten, zum größten Teil von den Besatzungsmächten selbst beseitigt wurden und ihre weitere Anwesenheit für die Entwicklung der wirtschaftlichen und politischen Lage nicht förderlich ist.“
Kollektivverträge als Vorhut
Unter den Anträgen, die von den kommunistischen Mitgliedern des Bundesvorstandes eingebracht worden waren, finden sich etliche noch heute aktuelle Forderungen: Die Angleichung der Löhne an die Inflation – freilich hatten sich damals die Lebenshaltungskosten innerhalb eines halben Jahres um rund 25 Prozent erhöht. Viele arbeitsrechtliche Fortschritte waren noch nicht auf Gesetzesebene durchgesetzt, z.B. bei der Arbeitszeit, der Überstundenentlohnung, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, Kündigungsfristen, Abfertigungen, also wurde der Antrag gestellt, bei Kollektivvertragsverhandlungen solche Bestimmungen einzubauen. Einer der Anträge betraf die Schaffung einer modernen Kranken-, Alters-, Invaliditäts- und Unfallversicherung. Gefordert wurde die Durchsetzung des Grundsatzes „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ in allen Verträgen.
Die politische Hauptrichtung der SPÖ-ÖVP-Koalition zielte auf die Wiederherstellung der kapitalistischen Ordnung. Noch im Dezember 1945 verlangte der ÖGB in einer durch eine Betriebsrätekonferenz bestätigten Resolution die Zusammenfassung aller wirtschaftlichen Agenden in einem Wirtschaftsministerium unter der Führung eines Gewerkschafters. Im selben Monat fand die nach der November-Wahl fällige Regierungsbildung statt – und die Forderung wurde fallengelassen. „Im Zuge dieser Entwicklung wurde der Einfluss der Arbeiter und Angestellten immer weiter zurückgedrängt“, schreibt Otto Horn in der „arbeit“ (1948/5). „Heute muss die Arbeiterschaft bereits in schwersten gewerkschaftlichen Aktionen um die Erhaltung bereits errungener Positionen kämpfen und die weitere Entwicklung lässt erkennen, dass diese Kämpfe um die primitivsten Lebensinteressen und Rechte an Heftigkeit noch zunehmen werden.“
Die Vorstellung eines großen Teils der sozialistischen KollegInnen von einer sozialen, ja nichtkapitalistischen Entwicklung blieb über viele Jahre lebendig. Auf dem 1.Kongress wurde nicht zufällig Bundespräsident Karl Renner eingeladen, ein Referat zu halten. Titel: „Vom liberalen zum sozialen Staat.“ (Nach dem Kongress befasst sich die „arbeit“ ausführlich mit dessen Inhalten und Weichenstellungen.)
Gegenoffensive des Kapitals
Obwohl die linken Kräfte in den folgenden Jahren stark zurückgedrängt wurden – oft genug mit unsaubersten Mitteln oder gar im Zusammenwirken der Koalitionsfraktionen mit Managern und Unternehmern – blieb ihre kämpferische Herangehensweise an die Arbeit in Betrieben und Gewerkschaften für tausende Vertrauensleute und Betriebsräte der anderen Fraktionen bewußtseinsprägend.
Seither haben nahezu drei Generationen in unzähligen kleinen und größeren Kämpfen viel erreicht. Die rasant steigende Arbeitsproduktivität und die Systemgrenze in Europa konnte zu wirtschaftlichen und sozialen Fortschritten genutzt werden. Aber der während 60 Jahren wieder aufgepäppelte und politisch abgesicherte Kapitalismus hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten große Stücke einschließlich einer fast unbegrenzten aggressiven Weltherrschaft zurückgeholt und bedroht in seinem globalen Raubzug Milliarden Menschen.
Der Traum von einem Sozialstaat mündete in einen ungeheuren Sozialabbau unter den Schlagworten „Neoliberalismus“ und „Wettbewerb“. Doch in den Gewerkschaftsbewegungen aller Kontinente wachsen die Kräfte des Widerstands und die Bestrebungen nach einheitlichem Handeln, oft unter Bedingungen, die weit schlimmer sind als jene in Österreich 1948. Aber die Erfahrungen werden uns allen nutzen – wenn wir selbst aus unserer Geschichte die richtigen Lehren ziehen.
Hubert Schmiedbauer ist Journalist in Wien
Die Gewerkschaften können heuer ein besonderes „8er-Jubiläum“ feiern: Im Mai 1948 wurde der erste ÖGB-Kongress abgehalten. Die Gründung des einheitlichen Gewerkschaftsbundes hatte im April 1945 mit Versammlungen im befreiten Wien begonnen – die Hitler-Wehrmacht hatte noch nicht kapituliert und ließ in den letzten Kriegswochen weitere zehntausende Österreicher und Deutsche den „Heldentod“ sterben – und das sowjetische Militärkommando bewilligte sofort die Gründungsurkunde mit den drei Unterschriften der führenden Gewerkschafter von SPÖ (Johann Böhm), ÖVP (Lois Weinberger) und KPÖ (Gottlieb Fiala). Drei Jahre später war es dann soweit, dass ein ordentlicher Kongress einberufen werden konnte. Druck der VP-SP-Koalition
In der von den kommunistischen und anderen linken GewerkschafterInnen herausgegebenen Monatszeitschrift „die arbeit“ (2. Jahrgang, Heft 5, Mai 1948) legen im Vorlauf des 1. ÖGB-Kongresses führende KollegInnen zur Entwicklung von Wirtschaft und Politik Bilanz. Ein Faden zieht sich durch die Beiträge: die Fraktionierung im ÖGB. Gottlieb Fiala stellt kritisch fest, dass die Koalition ÖVP-SPÖ bestrebt sei, „den ÖGB zu einem Werkzeug und Anhängsel der Regierungspolitik zu degradieren. SP und VP haben sich auch im Gewerkschaftsbund gegen links verbündet.“
Oscar Deubler schreibt über den Einfluss der VP-SP-Koalition auf die Tätigkeit des ÖGB: „Mögen die beiden Fraktionen im Bundesvorstand in manchen Fragen anderer Auffassung sein …, letzten Endes einigen sie sich doch auf der gemeinsamen Plattform der parlamentarischen Koalition.“
Mit der Kandidatur als „Gewerkschaftliche Einheit“ (später „Gewerkschaftlicher Linksblock – Kommunisten, linke Sozialisten, Parteilose“) demonstrierten die Linken ihren Willen zu einheitlichen, überparteilichen Gewerkschaften und Betriebsräten. So wurde auch an den Kongress ein Antrag gestellt, der die Fraktionierung verhindern sollte: „…Jeder Versuch, die Arbeiterschaft in den Betrieben und Gewerkschaften aufzuspalten, bedeutet eine Schwächung und Gefährdung der Einheit des Gewerkschaftsbundes“, daher möge der Kongress „die Aufstellung gewerkschaftlicher Einheitslisten bei den Betriebsratswahlen“ empfehlen. Den linken GewerkschafterInnen war bei den Betriebsratswahlen zuvor von rund einem Drittel der KollegInnen das Vertrauen ausgesprochen worden. Natürlich schmetterten die beiden Regierungsfraktionen einen solchen Antrag ab… (Später bildeten die sozialdemokratischen und die christlichen GewerkschaftsführerInnen eigene internationale Verbände außerhalb des Weltgewerkschaftsbundes.)
Gottlieb Fiala hebt die Schwerpunktaufgaben hervor, die vor der Gewerkschaftsbewegung stehen: „Die kommunistischen Mitglieder des Bundesvorstandes haben … Anträge gestellt, die auf die Hebung der materiellen und sozialen Lage der Arbeiter und Angestellten gerichtet sind und darüber hinaus Maßnahmen für Verstaatlichung, Planung und Bewirtschaftung vorsehen. Von entscheidender Bedeutung für die weitere Entwicklung ist die volle Herstellung der österreichischen Souveränität… Der Bundeskongress muss beschließen, dass der ÖGB mehr als bisher seinen Einfluss auf den baldigen Abschluss des Staatsvertrages geltend macht, um den Abzug der Besatzungstruppen zu beschleunigen, da die Gründe, die seinerzeit zur militärischen Besetzung führten, zum größten Teil von den Besatzungsmächten selbst beseitigt wurden und ihre weitere Anwesenheit für die Entwicklung der wirtschaftlichen und politischen Lage nicht förderlich ist.“
Kollektivverträge als Vorhut
Unter den Anträgen, die von den kommunistischen Mitgliedern des Bundesvorstandes eingebracht worden waren, finden sich etliche noch heute aktuelle Forderungen: Die Angleichung der Löhne an die Inflation – freilich hatten sich damals die Lebenshaltungskosten innerhalb eines halben Jahres um rund 25 Prozent erhöht. Viele arbeitsrechtliche Fortschritte waren noch nicht auf Gesetzesebene durchgesetzt, z.B. bei der Arbeitszeit, der Überstundenentlohnung, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, Kündigungsfristen, Abfertigungen, also wurde der Antrag gestellt, bei Kollektivvertragsverhandlungen solche Bestimmungen einzubauen. Einer der Anträge betraf die Schaffung einer modernen Kranken-, Alters-, Invaliditäts- und Unfallversicherung. Gefordert wurde die Durchsetzung des Grundsatzes „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ in allen Verträgen.
Die politische Hauptrichtung der SPÖ-ÖVP-Koalition zielte auf die Wiederherstellung der kapitalistischen Ordnung. Noch im Dezember 1945 verlangte der ÖGB in einer durch eine Betriebsrätekonferenz bestätigten Resolution die Zusammenfassung aller wirtschaftlichen Agenden in einem Wirtschaftsministerium unter der Führung eines Gewerkschafters. Im selben Monat fand die nach der November-Wahl fällige Regierungsbildung statt – und die Forderung wurde fallengelassen. „Im Zuge dieser Entwicklung wurde der Einfluss der Arbeiter und Angestellten immer weiter zurückgedrängt“, schreibt Otto Horn in der „arbeit“ (1948/5). „Heute muss die Arbeiterschaft bereits in schwersten gewerkschaftlichen Aktionen um die Erhaltung bereits errungener Positionen kämpfen und die weitere Entwicklung lässt erkennen, dass diese Kämpfe um die primitivsten Lebensinteressen und Rechte an Heftigkeit noch zunehmen werden.“
Die Vorstellung eines großen Teils der sozialistischen KollegInnen von einer sozialen, ja nichtkapitalistischen Entwicklung blieb über viele Jahre lebendig. Auf dem 1.Kongress wurde nicht zufällig Bundespräsident Karl Renner eingeladen, ein Referat zu halten. Titel: „Vom liberalen zum sozialen Staat.“ (Nach dem Kongress befasst sich die „arbeit“ ausführlich mit dessen Inhalten und Weichenstellungen.)
Gegenoffensive des Kapitals
Obwohl die linken Kräfte in den folgenden Jahren stark zurückgedrängt wurden – oft genug mit unsaubersten Mitteln oder gar im Zusammenwirken der Koalitionsfraktionen mit Managern und Unternehmern – blieb ihre kämpferische Herangehensweise an die Arbeit in Betrieben und Gewerkschaften für tausende Vertrauensleute und Betriebsräte der anderen Fraktionen bewußtseinsprägend.
Seither haben nahezu drei Generationen in unzähligen kleinen und größeren Kämpfen viel erreicht. Die rasant steigende Arbeitsproduktivität und die Systemgrenze in Europa konnte zu wirtschaftlichen und sozialen Fortschritten genutzt werden. Aber der während 60 Jahren wieder aufgepäppelte und politisch abgesicherte Kapitalismus hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten große Stücke einschließlich einer fast unbegrenzten aggressiven Weltherrschaft zurückgeholt und bedroht in seinem globalen Raubzug Milliarden Menschen.
Der Traum von einem Sozialstaat mündete in einen ungeheuren Sozialabbau unter den Schlagworten „Neoliberalismus“ und „Wettbewerb“. Doch in den Gewerkschaftsbewegungen aller Kontinente wachsen die Kräfte des Widerstands und die Bestrebungen nach einheitlichem Handeln, oft unter Bedingungen, die weit schlimmer sind als jene in Österreich 1948. Aber die Erfahrungen werden uns allen nutzen – wenn wir selbst aus unserer Geschichte die richtigen Lehren ziehen.
Hubert Schmiedbauer ist Journalist in Wien