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70 Jahre Widerstand

  • Mittwoch, 13. Februar 2008 @ 08:43
Meinung Irma Schwager, österreichische Widerstandskämpferin im Nationalsozialismus und im Jetzt.

Sie ist im 88. Lebensjahr: Irma Schwager, Mitfrau der kommunistischen Partei und Engagierte in der Frauenbewegung. Wenn sie spricht, wird man mitgerissen von ihrer Überzeugung, dass wir dann leben, wenn wir politisch Handelnde sind, dass wir uns einmischen müssen, weil wir alle Verantwortung dafür tragen, wie es um die Zivilgesellschaft steht. Irma Schwager: „Ich bin in Wien geboren und komme aus einer jüdischen Familie. Meine Eltern hatten ein Lebensmittelgeschäft, damals nannte man das eine Greisslerei. Ich bin zur Hauptschule gegangen und habe danach im Geschäft meiner Eltern mitgeholfen, so wie meine drei Brüder auch. 1938, beim Einmarsch der Deutschen hier, ist alles anders geworden. Es war furchtbar. Meine Mutter hat trotzdem bleiben wollen, sie hat sich einfach nicht vorstellen können, woanders noch einmal von vorne anzufangen. Dafür waren außerdem beträchtliche finanzielle Mittel notwendig. So wie heute die Grenzen für Flüchtlinge geschlossen sind, war das auch damals. Man konnte nicht einfach irgendwo einreisen. Für England z. B. musste einem jemand eine sogenannte „permit“ schicken, sonst durfte man nicht dorthin.

In der ersten Nacht nach dem Einmarsch sind schon Gruppen von SAlern durch die Straßen marschiert und haben gegrölt - „Deutschland erwache, Juda verrecke, ein Volk, ein Reich, ein Führer“. Während die Massen jubelten, hat man die Juden zum Straßenwaschen geholt, Andersdenkende verfolgt und verhaftet Man war wie vogelfrei, konnte sich an niemanden um Schutz oder Hilfe wenden.

Meine Eltern waren – wie soll ich sagen – sie waren unpolitische Menschen, sie sind weiter ihrem Tagewerk nachgegangen, und sie haben geglaubt, wenn man brav ist und sich ruhig verhält, nicht auffällt, dass man dann durchkommt. Sie hatten Angst, ich war empört, ich habe das nicht ausgehalten, das alles war so demütigend, unsagbar. Die Eltern waren froh, dass ich mich dann um eine Stelle als Haushaltshilfe in England beworben habe und so zu einem Visum gekommen bin und aus Österreich weg konnte. Allerdings musste ich unterschreiben, nicht mehr zurückzukommen. Meine Eltern sind ebenso wie meine zwei Brüder im Holocaust umgekommen.

Im Mai bin ich mit dem großen Flüchtlingsstrom nach Südfrankreich gelangt, dort bin ich dann interniert worden. Im Lager hatte ich erstmals Kontakt zu organisierten Kommunistinnen und Kommunisten, zuerst, weil mir ihre Solidarität so gefallen hat und die Menschen so freundschaftlich waren. Langsam habe ich über diesen Kontakt erkannt, dass es eine Möglichkeit gibt, sich zu wehren. So bekam ich Anschluss an den organisierten Widerstand.

Die Widerstandsbewegung in Frankreich war sehr breit, Bürgerliche, Katholiken, Kommunisten, Gaullisten - eine große Bewegung. Ein katholischer Pfarrer, der für die Résistance Francaise aktiv war, hat uns geholfen, aus dem Lager herauszukommen, und gemeinsam mit meinem Mann Zalel bin ich illegal über die Grenze in den besetzten Teil Frankreichs gegangen, um etwas gegen die faschistische Besetzung und den Krieg tun zu können - so kamen wir nach Paris. Für uns ÖsterreicherInnen gab es in der Résistance eine spezielle Arbeit - es ging um die Herstellung eines Kontakts zu deutschen Besatzungssoldaten - die sogenannte „travail allemande“.

Es ging um Aufklärung, um Überzeugung. Diese jungen Soldaten waren indoktriniert von der Nazipropaganda, es gab ja keine demokratischen Zeitungen, ausländisches Radio zu hören war streng verboten. Damals gab es den „Völkischen Beobachter“ und andere gleich geschaltete Blätter, es hieß, die Parlamente seien Quatschbuden, es braucht eine neue Ordnung in Europa. Die Nazipropaganda mobilisierte mit einer maßlosen Hetzkampagne gegen die „bolschewistische Gefahr“ und die „jüdische....“. Das glaubten ja auch viele.

Wir haben Flugblätter und eine kleine illegale Zeitung herausgegeben, den „Soldaten im Westen“. Sie ist überall verteilt worden, in Kinos, an Bäumen angeheftet. Wir Mädchen hatten die Aufgabe, einen persönlichen Kontakt zu den Soldaten herzustellen, man nannte das die „Mädelarbeit“.

Organisiert wurde das über Funktionäre der kommunistischen Partei. Man hat mich eingeschult, genau instruiert. Nicht beim ersten Treffen schon Flugblätter herzugeben, geduldig zuhören, nicht die eigene politische Überzeugung kundtun. Zuerst dachte ich, das sei übertrieben, aber es hat sich herausgestellt, dass das notwendig war, man muss erst lernen, auf provokative Reden nicht zu reagieren, nicht zu widersprechen. Wenn es gelungen ist, eine Vertrauensebene herzustellen, konnte man in diesen Gesprächen viel erfahren, privates, aktuelles über die Situation der Soldaten in den Kasernen. Wir mussten einzeln arbeiten, kein Soldat hätte irgendetwas im Beisein anderer erzählt, alle hatten furchtbare Angst vor Denunziation.

Die Gespräche haben, wenn man geduldig genug war, letztendlich viel Nachdenklichkeit unter den Soldaten ausgelöst. So konnten dann die Flugblätter verteilt und Überzeugungsarbeit geleistet werden. Anfangs war es noch schwieriger, zu stark war damals der Mythos der Unbesiegbarkeit der deutschen Armee, aber nach Stalingrad war er weitgehend zerstört, und unter den Soldaten hat sich eine Friedenssehnsucht entwickelt. In einem bestimmten Stadium der Bekanntschaft war es dann auch möglich, über die verheerenden Folgen des Krieges und die Existenz der Konzentrationslager zu sprechen.

Die „travail allemand“, diese Soldatenarbeit war nicht ungefährlich. Von den 8 Frauen, mit denen ich gemeinsam gearbeitet habe, sind vier verhaftet worden, eine von uns, die Trude Blaukopf, ist hingerichtet worden, verhaftet durch die Gestapo, die ein Soldat zum Rendezvous mitgebracht hatte. Die drei anderen, Gerti Schindel, Lisa Gavritsch und Wilma Steindling, sind nach Auschwitz und Ravensbrück gekommen und haben überlebt. Man hat geglaubt, wir seien eine riesige Organisation in Paris, weil überall unsere Flugblätter aufgetaucht sind - Tatsache ist, wir waren gerade zwei Handvoll!

Was auch niemals erwähnt wird: eine Gruppe von uns Österreichern hat sich 1943 gemeldet als sogenannte Fremdarbeiter, um zurückzukehren und in Österreich Widerstand zu leisten. Ich hatte mich ebenfalls dazu gemeldet, wir wollten, dass dieser Krieg endlich aufhört. Kurz vor meiner Abreise aber sind in Wien alle (bis auf einen) denunziert und verhaftet worden, die in der Organisation tätig waren.

Nach der Befreiung Österreichs war es weiter notwendig Widerstand zu leisten, gegen die Mächtigen in Wirtschaft, Politik und Kultur - und ist es bis heute noch, auch wenn das natürlich nicht mehr unter lebensbedrohenden Verhältnissen und legal geschieht.

Meine Erfahrung im Verlaufe dieser langen Zeit, nach dem Krieg bis zum heutigen Tag, als ich vor allem in der Frauen- und Friedensbewegung aktiv war, ist, dass man nicht aufgeben darf, auch dann nicht, wenn es noch so aussichtslos erscheint. Es hat beispielsweise Jahrzehnte gedauert, bis in Österreich die Fristenlösung im Kampf gegen den Paragraph 144, der Generationen von Frauen ins Unglück gestürzt hat, durchgesetzt werden konnte. Ebenso das Ehe- und Familienrecht, das aus dem Jahr 1811 stammte, und dessen Reform erst Mitte der 70er Jahre gelungen ist. Die ganze Geschichte zeigt, dass alle Fortschritte nur erreicht werden konnten durch einen beharrlichen Widerstand gegen Unrecht, gegen veraltete Strukturen und Vorurteile.

Wir dürfen nicht aufhören, uns zu bemühen, für die Zusammenarbeit zu wirken, für gemeinsame Interessen - auch wenn Meinungsverschiedenheiten noch so schwierig zu überwinden sind, denn durchsetzen kann sich nur eine starke Bewegung.“

Auszug aus einem Interview von Claudia Dietl mit Irma Schwager, www.volksstimmen.at, 8.5.2005