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Was ist die Linzer Initiative?

  • Dienstag, 27. November 2007 @ 12:15
OÖ Die Linzer Initiative ist ein Netzwerk aus MitarbeiterInnen sozialer Einrichtungen, die für eine solidarisches, bedürfnisorientiertes Sozialsystem eintreten – und seiner neoliberalen Umgestaltung entschieden entgegen treten. 2005 feierte EXIT-sozial sein 25jähriges Bestehen. Die Fachtagung „Markt statt Zuwendung und Solidarität“ war die Geburtsstunde der Linzer Initiative. Anknüpfend an die Erfahrungen in Deutschland, insbesondere der Soltauer Impulse, bildete sich in Linz eine Gruppe engagierter Personen, die mit großer Sorge die derzeitigen Entwicklungen im Sozial- und Gesundheitsbereich beobachten, kritisch hinterfragen und an einer Veränderung großes Interesse haben.

Das Manifest der Linzer Initiative

Wir sind ein Netzwerk aus MitarbeiterInnen von sozialen Einrichtungen. Uns ist ein solidarisches, bedürfnisorientiertes Sozialsystem dringendes Anliegen. Deshalb treten wir seiner neoliberalen Umgestaltung entschieden entgegen – erste Auswirkungen bemerken wir bereits deutlich in unserer Arbeit. Weil wir nicht zu HandlangerInnen einer Sozialpolitik werden wollen, die Menschen entrechtet, benachteiligt und demütigt, engagieren wir uns für einen kritischen Diskurs.

Wir stellen fest: Die gegenwärtige gesellschafts- und sozialpolitische Entwicklung führt zu...

… Verteilungsungerechtigkeit und Armut

Reichtum soll auf den globalen Finanzmärkten unbeschränkt und unkontrolliert weiteren Reichtum lukrieren. Vermögen wird nicht mehr investiert und somit dem gesellschaftlichen Nutzen entzogen. Konsequent werden die Mittel für eine anständige Sozialfürsorge reduziert. Gleichzeitig nimmt die Zahl der Armen auch in den Ländern des Norden zu.

… Entsolidarisierung

Aufgabe von Politik ist es, Rahmenbedingungen zu schaffen die es ermöglichen, Gesellschaft gemeinsam zu gestalten. Mitsprache und Partizipation sind unabdingbare Grundlagen, um Verteilungsgerechtigkeit, Chancenausgleich und Interessenswahrnehmung dauerhaft sicher zu stellen. In der sich abzeichnenden post-sozialen Ära wird einer neuen Form der Konkurrenz gehuldigt, der Fusion der Großen gegen die Vielzahl der Kleinen. Diese Struktur beginnt in alle Lebensbereiche einzudringen. Alt gegen Jung, Besitzende gegen Arme, InländerInnen gegen ZuwandererInnen …, die Liste könnte noch lange fortgesetzt werden. Das Ziel von privilegierten Gruppen, ihren Besitzstand zu wahren oder zu mehren hat die Abkehr von allen, die teilhaben möchten zur Folge. Dies führt zum Ausschluss von ganzen Gruppen von benachteiligten Menschen, die nicht mehr „mitgeschleppt, versorgt oder im Wettbewerb zugelassen werden“. Wir vergessen nicht: die Bewertung von Menschen entsprechend ihrem gesellschaftlichen Nutzen bzw. ihrer scheinbaren Nutzlosigkeit führte im Nationalsozialismus zur Ermordung von hunderttausenden Menschen, die als zuvor als Volksschädlinge diffamiert worden waren.

… Riskenübertragung an den Einzelnen und individuelle Schuldzuweisungen

Der sich verschärfenden Spaltung in der Gesellschaft entspricht auch, dass sie immer größeren , einflussreichen Gruppen von Menschen erlaubt in Verhältnissen zu leben, in welchen sie auf eine gemeinschaftliche Riskenstreuung verzichten können, weshalb „geben“ und „nehmen“ nicht mehr ausgewogen erlebt werden können. Die Eigenvorsorge rückt damit als zentrale Aufgabe aller ins Zentrum des Lebens. Während die Bereitschaft zur solidarischen Vorsorge schwindet steigt das Lebensrisiko für einzelne Gruppen - Alleinerziehende, unfreiwillig Teilzeitbeschäftigte, EinzelunternehmerInnen, Arbeitslose, Migranten und Migrantinnen, working-poor - stark an. Umgehungsverträge am Arbeitsmarkt, Sub-Sub-Sub-Unternehmensstrategien und Leasingarbeit breiten sich aus und zwingen Menschen zu kurzfristigen, fraktionierten und perspektiv-armen Lebensentwürfen.

... Hierarchisierung und Entdemokratisierung von Strukturen

Der Effizienzforderung folgen soziale Dienstleistungsunternehmen mit zunehmender Hierarchisierung und damit einhergehender Einengung und Beschränkung. Die vorhandenen betrieblichen und kollegialen Strukturen werden weitgehend zu Gunsten einer ausufernden Bürokratisierung aufgegeben und demokratische Aushandlungsprozesse durch Anordnungsverfahren ersetzt. Der Blick für gesellschaftliche Veränderungen wird dem Kostendruck geopfert, die im Sozialbereich arbeitenden Berufsgruppen werden zu VerwalterInnen des erzeugten und gewollten Mangels degradiert.

… betriebswirtschaftlichen Prämissen in der Leistungserbringung (Leistungspreis- und Kennzifferndenken)

Ausgaben für soziale Dienstleistungen müssen sich rechnen. Die Leistungseinheit muss monetär bewertet werden, Konkurrenz und Preisdumping zwischen den Marktteilnehmern werden bewusst in Kauf genommen oder sogar gefördert. Es entsteht eine Dynamik nach unten, hinsichtlich Qualität und Sorgfalt, Vielfalt und Arbeitsfreude. Das hat seinen Preis, auch wenn die Auswirkungen vielleicht nicht sofort spürbar sind. Fürsorge, Schutz für Schwächere, Stärkung der Selbstvertretung, Strategie- und Entwicklungsarbeit sind nicht in Leistungspakete zu schnüren, da die Leistung aus Zuwenden, miteinander Handeln, aus miteinander Scheitern und wieder neu Beginnen besteht. Individuellen Bedürfnissen wird in normierter Hilfe nicht mehr entsprochen. Hilfebedürftige ist nicht KundInnen auf einem Markt sozialer Wettbewerber. Sie sind BürgerInnen, die die Unterstützung der Gemeinschaft vorübergehend oder auf Dauer brauchen, um in dieser Gesellschaft leben zu können.

… erhöhtem Leistungsdruck

Während viele Personen die in sozialen Einrichtungen Unterstützung suchen, sich den an sie gestellten Anforderungen (Schule, Beruf, Beziehungen…..) nicht mehr gewachsen fühlen, vergrößert sich auch die Gruppe jener, die diesen Anforderungen noch nie genügen konnten. Maßnahmen von Behandlung, Betreuung und Rehabilitation sind zunehmend ergebnisorientiert formuliert und werden vermehrt in Relation zum Kostenaufwand gesehen. Nicht materiellen Werten wie: ein Leben unter erschwerten Bedingungen bewältigen, eine Vielfalt von Lebensmöglichkeiten kreieren oder das Diktat des schönen Scheins brechen, wird keine gesellschaftliche Bedeutung mehr beigemessen.

… Normierung der Leistungen

Um dem wachsenden Ungleichgewicht in unserer Gesellschaft die Schärfe zu nehmen, werden soziale Dienstleistungen in normierte Dienstleistungen marktökonomisch übersetzt. Damit wird angedeutet, dass jeder und jede das ihm oder ihr gebührende Maß an Hilfestellung erhalten wird. Jedem und jeder wird gerade soviel Hilfe zugemessen, dass das Überleben in offenen Ghettos gewährleistet ist. Die helfenden Beziehungen werden ökonomisiert, in einen Verwertungszusammenhang gebracht und damit scheinbar in einen gesamtgesellschaftlichen Leistungskanon eingebunden. Die Leistung besteht darin, Benachteiligte zu motivieren auf wirkliche Teilhabechancen zu verzichten und diese nicht zu fordern.

… Minimalisierung des Angebotes

Weniger für den Einzelnen ergibt mehr für alle? Soziale Dienstleistungen werden zunehmend als knappes Gut beschrieben und diese Knappheit wird als naturgegebene Gesetzmäßigkeit dargestellt. Wer der Unterstützung anderer bedarf, soll mit der gerade notwendigen Hilfe auskommen. Jeder vermeintliche Überbezug an Leistungen wird als soziale Hängematte etikettiert. Damit werden die helfenden Personen wie auch die bedürftigen Bürger und Bürgerinnen als Schmarotzer diffamiert.

… Mindestversorgung

Während in der angestrebten Hochleistungsgesellschaft der individuelle und gesellschaftliche Reichtum stetig steigt wird es spürbar legitimer, Arme in Armut zu halten. Eine Mindestsicherung sichert lediglich Mindestversorgung, dies scheint genug zu sein. Aktive Hilfe zur Verbesserung der Zukunftschancen sind auf einem Hochleistungsarbeitsmarkt nur durch Verbesserung von Qualifikation und Zugang zu Information zu erreichen. Es bedarf politischer Eingriffe um zu erreichen, dass die Teilhabe an der gesellschaftlichen Wertschöpfung für alle Gruppen möglich ist. Ausgeschlossen sein heißt nur zu oft auch ausgeschlossen bleiben.

… Zunahme von prekären Arbeitsverträgen vor allem für BerufseinsteigerInnen

Die Erosion von Arbeitsverträgen bekommen gegenwärtig vor allem Wieder- und NeueinsteigerInnen am Arbeitsmarkt zu spüren. Durch geringe Teilzeit, freie Dienstverträge und Werkverträge wird soziale Unsicherheit bereits beim Berufseinstieg determiniert und eine loose-loose Situation (E. Kern) erzeugt. Geringeres Beitragsaufkommen vermindert die Leistungsfähigkeit des Transfersystems, die im Umlagesystem funktionierenden Sicherungssysteme werden trockengelegt, um kapitalgebundenen Systemen Platz zu machen. Es erfolgt ein immer deutlicherer Zugriff des spekulativen Finanzkapitals auf das bislang erfolgreich vergesellschaftete Vorsorgekapital. Verspielte Streikfonds zeigen den eingeschlagenen Weg auf.

… Innovationsfeindliches Klima

Während Forschung, Entwicklung und Innovation in Wirtschaft, Technologie und Produktion mehr denn je gefördert werden, werden die Sozialwissenschaften als Orchideen-Fächer abgewertet. Der Anforderung, eine globale soziale Welt zu gestalten, muss mit einem Kraftakt wissenschaftlicher Analyse und interdisziplinärer Forschung entsprochen werden. Innovationen und zukunftsweisende Projekte finden gegenwärtig kein Risikokapital. Soziales wird am Weltspartag behandelt.

Die Anregung für unser Engagement haben einige Mitglieder unseres Netzwerks von den Soltauer Impulsen (www.soltauer-impulse.culturebase.org) erhalten. In Erwartung eines breiten Diskurses sind wir an der Vernetzung mit anderen Organisationen und Einzelpersonen sehr interessiert.

Infos: www.linzer-initiative.at, www.soltauer-impulse.culturbase.org