Zur Krise der Unterstufe:(Wider)Sprüche, Brüche, Ideenküche
- Montag, 24. September 2007 @ 08:52
Von Dagmar Schulz
PolitikerInnen und (teils selbsternannte) ExpertInnen überbieten sich derzeit in einem „Ideenwettbewerb“ zum Thema Schule. Besonders zeichnete sich in den letzten Wochen die ÖVP aus. Wollte sie plötzlich wieder eine Aufnahmeprüfung für die AHS (Danke, mindestens 30 Felder zurück!), so ging es am nächsten Tag gar um „Bildungsstandards für 3jährige“ – Bildungssprecherin Brinek bezeichnete beide Vorschläge später als „Missverständnisse“. Trotz aller Schaumschlägerei bleibt jedoch eine Tatsache bestehen: die massive Krise der Unterstufe (Schule der 10-14jährigen), an der zu einem nicht geringen Maß eben die ÖVP und ihre Klientel Schuld tragen. Die beinahe zwanghafte Ablehnung einer gemeinsamen Schulform der 10-14jährigen hat in der Bourgeoisie Tradition und reicht in Österreich bis in die Zwanzigerjahre des letzten Jahrhunderts zurück. Damals war Otto Glöckels Reformschulplan nämlich das fortschrittlichste Konzept Europas und beinhaltete selbstverständlich auch die Forderung nach der Gesamtschule. Nun – beinahe 90 Jahre später ist diese Idee in fast allen Ländern Europas und vielen anderen Staaten längst verwirklicht worden, lediglich Österreich und Teile Deutschlands beharren auf dem Segregations- und Selektionsprinzip. In wie fern das Leistungs- und Ausleseprinzip der NS-Ideologie dabei – bewusst oder unbewusst – eine Rolle spielt, kann nur gemutmaßt werden.
Fakt ist, dass weltweit bestmögliche Bildungsergebnisse unter Verwendung differenzierender Unterrichtsformen mit heterogenen Schülerjahrgängen erzielt werden, doch das österreichische SCHOG (Schulorganisationsgesetz) negiert diese Tatsache: 1982 wurde per Gesetz fest gelegt, dass das Ziel der AHS- Unterstufe höhere Allgemeinbildung, das der HS/KMS hingegen grundlegende Bildung sei, kurioserweise bei wortidenten Lehrplänen und mehrheitlich identem Unterrichtsmaterial.
Längst ist dieses Gesetz von der Praxis überholt: 50 bis 70 Prozent der MaturantInnen kommen aus HS/KMS (wobei keine einzige Studie die Mär von den „guten“ Landhauptschulen und den „bösen“ Stadthauptschulen wissenschaftlich erhärtet). Auch eine aktuelle EU-Studie beweist, dass viele HauptschülerInnen beim Übertritt in die 9. Schulstufe den AHS- SchülerInnen ebenbürtig sind. Erkenntnisse aus der Pädagogik und der Entwicklungspsychologie werden durch die frühe Selektion mit 9,5 Jahren hartnäckig ignoriert – andererseits wird in Kauf genommen, dass sozioökonomische Unterschiede durch dieses System relevant verstärkt werden.
Keineswegs gibt es in den AHS-Unterstufen einen leistungshomogener Klassenverband (diesen gab es auch nie!). Allerdings existiert neben sozialem und rassistischem Dünkel an eben jenen AHS-Unterstufen eine Verweigerung an der Teilnahme am Integrationsprogramm, was umso fataler ist, als es einen Anspruch an „elitärer Exklusivität“ unter Anderem am Fehlen von Integrationsklassen fest macht.
Oder sollten die AHS- LehrerInnen wegen ihrer noch immer mehr als mäßigen pädagogischen Ausbildung schlicht und einfach überfordert sein, in einer Gesamtschule zu unterrichten? (Kürzlich sprach ich mit einer Lehramtsstudentin, die vor dem Abschluss ihres Studiums steht: Sie gab an, 4 (in Worten VIER!) Stunden selbst unterrichtet zu haben – welch ein Unterschied zu der Pädagogischen Hochschule, wo die StudentInnen wöchentlich einen Tag, zusätzlich noch mehrer Wochen in der Schulpraxis verbringen!) Dies ist selbstverständlich nicht Schuld der AHS-LehrerInnen, sondern des abstrusen Ausbildungs- und Dienstrechtswahnsinns: Hie AHS – also Fachausbildung; dort HS/KMS pädagogische Ausbildung bevorzugt; hie Land – dort Bund als Dienstgeber, dazu noch unterschiedliche Lehrverpflichtung, Bezahlung, Dienstrecht.
Die Illusion, ihr Kind auf die „bessere Schule“ zu schicken – oder es zumindest von Kindern der „Unterschicht“ und/oder Kindern mit migrantischem Hintergrund fern zu halten, lassen sich Österreichs Eltern jährlich 140 Millionen Euro an Nachhilfe kosten.(lt. AK-Studie 2007)
Vielleicht kommen spätestens jetzt Zweifel an der Sinnhaftigkeit des „Runs“ auf die AHS-Unterstufen: Denn wie qualitativ hochwertig kann eine Schule sein, die offensichtlich nur dann funktioniert, wenn Unsummen in privaten Parallelunterricht gebuttert werden? Andererseits bemängeln manche Eltern, dass der Zustrom an Kindern mit migrantischem Hintergrund auf die AHS- Unterstufen der Ballungsräume bereits sehr groß geworden ist. Auch deren Eltern, 2. Generation und „integriert“ vertrauen auf die Schimäre, dass durch den Ausschluss der schwächeren, langsameren, später reifenden Kinder ihre eigenen Kinder bessere Ergebnisse bringen würden. (In Wahrheit aber haben 80 Prozent der in der PISA-Studie vor Österreich gereihten Länder eine gemeinsame Mittelstufe.)
Dennoch hält sich das Vorurteil, dass die AHS-Unterstufe – unabhängig von ihren tatsächlich erbrachten Leistungen über ihre Aufnahmebedingungen (die die ÖVP weiter verschärfen will) eine soziale Auslese mit schulisch günstigen Erziehungsbedingungen schaffe – und deren Eltern sich gesellschaftlich besser positionieren könnten. Tatsächlich hat der sozialökonomische Status der Eltern einen starken Einfluss auf die Bildungswahl. 71 Prozent der Kinder in Armut besuchen die Hauptschule/KMS, 29 Prozent das Gymnasium.( zitiert aus dem Armutsbericht der Statistik Austria) Dieser nachteilige und deutlich stärkere Einfluss des sozioökonomischen Hintergrunds auf die späteren SchülerInnenleistungen ist in Ländern mit einem differenzierten Schulsystem grundsätzlich nachweisbar. Zusätzliche Faktoren, die die Bildungswahl beeinflussen, sind Nationalität, Muttersprache, Geschlecht des Kindes, Bildungsstatus der Eltern und Wohnort.
SchülerInnen, die aus einem schwächeren sozioökonomischen Umfeld kommen, werden damit jede Wahl genommen, in manchen Bezirken der Ballungsräume droht die HS/KMS zu einer Restschule zu verkommen. Dabei ist aber nicht von Belang - wie das kleinformatige Hetzblatt und andere RassistInnen immer meinen - wie groß der Anteil der nicht muttersprachlich deutschsprechenden Kinder ist, sondern welche Ressourcen und Fördermaßnahmen bereit stehen, welches außerschulische Umfeld "mitspielt" und welche sozialen und gesellschaftlichen Kräfte zum Tragen kommen. Es ist dennoch erstaunlich, wie gute Leistungen unter schwierigsten Bedingungen von diesen Kindern erbracht werden – und dies, obwohl gerade auf dem Gebiet der Integration und des (auch muttersprachlichen) Spracherwerbs in den letzten Jahren gnadenlos gespart wurde.
Denn eines muss klar sein:
Die Krise der Mittelstufe hat sich durch die Einsparungen des letzten Jahrzehnts massiv verschärft. Dies äußert sich unter Anderem durch verschlechterte Arbeitsbedingungen für LehrerInnen und SchülerInnen, Sparmaßnahmen der letzten Jahrzehnts (Stundenkürzungen, gestrichene Stütz-, Förder- und Integrationsmaßnahmen, große Klassen, Arbeitszeiterhöhung ...), veränderte gesellschaftliche Rahmenbedingungen für die heranwachsende Generation (ungewisse Zukunftsaussichten, Arbeitslosigkeit und prekäre Beschäftigung, Studiengebühren), Basiswissen und Grundkompetenzen für alle werden nicht mehr ausreichend vermittelt (OECD-, PISA-Studien), soziale Benachteiligung im derzeitigen Schulsystem wird verstärkt, zunehmende Überforderung von LehrerInnen (Burn out und Frühpensionierungen trotz Abschlägen als Symptom).
Resümee
Es führt kein Weg an der Gesamtschule vorbei. Das "Herumdoktern" an einer überkommenen Organisationsform kostet unnötiges Geld und vor allem Ressourcen und Zeit. Die schrittweise Entwicklung und Umsetzung eines österreichischen Gesamtschulmodells mit differenziertem, individuellen Eingehen auf die SchülerInnen von heterogenen Klassen, das mit der Verlängerung der gemeinsamen Schulzeit von vier auf wenigstens acht Jahre auch die Integration von „AusländerInnen“ verbessert, ist eine pädagogische und soziale Notwendigkeit. Die Wahlfreiheit ist nicht in Gefahr, wenn am Ende der Schulpflicht die Wahlfreiheit für alle Kinder und Jugendlichen um ein Vielfaches erhöht und weitgehend von sozioökonomischen Voraussetzungen entkoppelt wird.
Alles andere als eine überlegte, schrittweise Vorbereitung der flächendeckenden Einführung der Gesamtschule ist lediglich Symptomkorrektur und damit Ablenkung vom eigentlichen Thema. (Etwa der Vorschlag, Aufnahmsprüfungen wiederauferstehen zu lassen, weil die Eltern inakzeptablen Druck auf die VolkschullehrerInnen machen, wobei letzteres zweifellos stimmt. Andererseits gibt es AHS, die VolksschülerInnen mit der Note Genügend aufnehmen, um so ihre Werteinheiten halten zu können.)
Andererseits ist die Gesamtschule erst der erste Schritt in die richtige Richtung, die Gesamtschule allein würde sämtliche Probleme der Mittelstufe nicht lösen können, da diese lediglich das Spiegelbild der gesellschaftlichen Probleme überhaupt abbilden. Wie könnte denn auch die beste Schule die SchülerInnen einerseits vor den Schäden, die durch unser Wirtschafts- und Gesellschaftssystem verursacht werden, befreien und sie andererseits bestens auf den neoliberalen Wahnsinn vorbereiten, der sie im Anschluss an ihre Schullaufbahn erwartet?
Grundsätzliches
Die Verbesserung des Bildungssystems KOSTET Geld! Denn eine „Gesamtschule“ als 3. Schulform ist vollkommen unsinnig, die Gesamtschule macht nur Sinn, wenn alle SchülerInnen einer Region diese Schule besuchen. Dies kann nur mit mehr, besser ausgebildeten und gleich bezahlten MittelstufenlehrerInnen geschehen und erfordert mehr und besser ausgestattete Unterrichtsräume. Wer eine Schulreform Ernst nimmt, muss auch zu nachhaltigen Investitionen bereit sein und den Trend der sinkenden Ausgaben für Bildung (gemessen am BIP) ins Gegenteil zu verkehren!
Außerdem ist es unbedingt notwendig, die gesellschaftliche Wertigkeit von Lehren und Lernen höher zu positionieren, den Wert der Vielsprachigkeit, der Unterschiede in der Entwicklung und der verschiedenen Zugänge zu erkennen sowie allen Kindern und Jugendlichen Zeit zu geben, unter qualifizierter Anleitung Kenntnisse und Fähigkeiten zu erwerben statt bloß einen Teil von ihnen unter Zurücklassung der Anderen aus Prestigestreben mit allen (Nachhilfe)Mitteln in Richtung Matura zu drillen.
Dagmar Schulz ist Lehrerin in Wien
PolitikerInnen und (teils selbsternannte) ExpertInnen überbieten sich derzeit in einem „Ideenwettbewerb“ zum Thema Schule. Besonders zeichnete sich in den letzten Wochen die ÖVP aus. Wollte sie plötzlich wieder eine Aufnahmeprüfung für die AHS (Danke, mindestens 30 Felder zurück!), so ging es am nächsten Tag gar um „Bildungsstandards für 3jährige“ – Bildungssprecherin Brinek bezeichnete beide Vorschläge später als „Missverständnisse“. Trotz aller Schaumschlägerei bleibt jedoch eine Tatsache bestehen: die massive Krise der Unterstufe (Schule der 10-14jährigen), an der zu einem nicht geringen Maß eben die ÖVP und ihre Klientel Schuld tragen. Die beinahe zwanghafte Ablehnung einer gemeinsamen Schulform der 10-14jährigen hat in der Bourgeoisie Tradition und reicht in Österreich bis in die Zwanzigerjahre des letzten Jahrhunderts zurück. Damals war Otto Glöckels Reformschulplan nämlich das fortschrittlichste Konzept Europas und beinhaltete selbstverständlich auch die Forderung nach der Gesamtschule. Nun – beinahe 90 Jahre später ist diese Idee in fast allen Ländern Europas und vielen anderen Staaten längst verwirklicht worden, lediglich Österreich und Teile Deutschlands beharren auf dem Segregations- und Selektionsprinzip. In wie fern das Leistungs- und Ausleseprinzip der NS-Ideologie dabei – bewusst oder unbewusst – eine Rolle spielt, kann nur gemutmaßt werden.
Fakt ist, dass weltweit bestmögliche Bildungsergebnisse unter Verwendung differenzierender Unterrichtsformen mit heterogenen Schülerjahrgängen erzielt werden, doch das österreichische SCHOG (Schulorganisationsgesetz) negiert diese Tatsache: 1982 wurde per Gesetz fest gelegt, dass das Ziel der AHS- Unterstufe höhere Allgemeinbildung, das der HS/KMS hingegen grundlegende Bildung sei, kurioserweise bei wortidenten Lehrplänen und mehrheitlich identem Unterrichtsmaterial.
Längst ist dieses Gesetz von der Praxis überholt: 50 bis 70 Prozent der MaturantInnen kommen aus HS/KMS (wobei keine einzige Studie die Mär von den „guten“ Landhauptschulen und den „bösen“ Stadthauptschulen wissenschaftlich erhärtet). Auch eine aktuelle EU-Studie beweist, dass viele HauptschülerInnen beim Übertritt in die 9. Schulstufe den AHS- SchülerInnen ebenbürtig sind. Erkenntnisse aus der Pädagogik und der Entwicklungspsychologie werden durch die frühe Selektion mit 9,5 Jahren hartnäckig ignoriert – andererseits wird in Kauf genommen, dass sozioökonomische Unterschiede durch dieses System relevant verstärkt werden.
Keineswegs gibt es in den AHS-Unterstufen einen leistungshomogener Klassenverband (diesen gab es auch nie!). Allerdings existiert neben sozialem und rassistischem Dünkel an eben jenen AHS-Unterstufen eine Verweigerung an der Teilnahme am Integrationsprogramm, was umso fataler ist, als es einen Anspruch an „elitärer Exklusivität“ unter Anderem am Fehlen von Integrationsklassen fest macht.
Oder sollten die AHS- LehrerInnen wegen ihrer noch immer mehr als mäßigen pädagogischen Ausbildung schlicht und einfach überfordert sein, in einer Gesamtschule zu unterrichten? (Kürzlich sprach ich mit einer Lehramtsstudentin, die vor dem Abschluss ihres Studiums steht: Sie gab an, 4 (in Worten VIER!) Stunden selbst unterrichtet zu haben – welch ein Unterschied zu der Pädagogischen Hochschule, wo die StudentInnen wöchentlich einen Tag, zusätzlich noch mehrer Wochen in der Schulpraxis verbringen!) Dies ist selbstverständlich nicht Schuld der AHS-LehrerInnen, sondern des abstrusen Ausbildungs- und Dienstrechtswahnsinns: Hie AHS – also Fachausbildung; dort HS/KMS pädagogische Ausbildung bevorzugt; hie Land – dort Bund als Dienstgeber, dazu noch unterschiedliche Lehrverpflichtung, Bezahlung, Dienstrecht.
Die Illusion, ihr Kind auf die „bessere Schule“ zu schicken – oder es zumindest von Kindern der „Unterschicht“ und/oder Kindern mit migrantischem Hintergrund fern zu halten, lassen sich Österreichs Eltern jährlich 140 Millionen Euro an Nachhilfe kosten.(lt. AK-Studie 2007)
Vielleicht kommen spätestens jetzt Zweifel an der Sinnhaftigkeit des „Runs“ auf die AHS-Unterstufen: Denn wie qualitativ hochwertig kann eine Schule sein, die offensichtlich nur dann funktioniert, wenn Unsummen in privaten Parallelunterricht gebuttert werden? Andererseits bemängeln manche Eltern, dass der Zustrom an Kindern mit migrantischem Hintergrund auf die AHS- Unterstufen der Ballungsräume bereits sehr groß geworden ist. Auch deren Eltern, 2. Generation und „integriert“ vertrauen auf die Schimäre, dass durch den Ausschluss der schwächeren, langsameren, später reifenden Kinder ihre eigenen Kinder bessere Ergebnisse bringen würden. (In Wahrheit aber haben 80 Prozent der in der PISA-Studie vor Österreich gereihten Länder eine gemeinsame Mittelstufe.)
Dennoch hält sich das Vorurteil, dass die AHS-Unterstufe – unabhängig von ihren tatsächlich erbrachten Leistungen über ihre Aufnahmebedingungen (die die ÖVP weiter verschärfen will) eine soziale Auslese mit schulisch günstigen Erziehungsbedingungen schaffe – und deren Eltern sich gesellschaftlich besser positionieren könnten. Tatsächlich hat der sozialökonomische Status der Eltern einen starken Einfluss auf die Bildungswahl. 71 Prozent der Kinder in Armut besuchen die Hauptschule/KMS, 29 Prozent das Gymnasium.( zitiert aus dem Armutsbericht der Statistik Austria) Dieser nachteilige und deutlich stärkere Einfluss des sozioökonomischen Hintergrunds auf die späteren SchülerInnenleistungen ist in Ländern mit einem differenzierten Schulsystem grundsätzlich nachweisbar. Zusätzliche Faktoren, die die Bildungswahl beeinflussen, sind Nationalität, Muttersprache, Geschlecht des Kindes, Bildungsstatus der Eltern und Wohnort.
SchülerInnen, die aus einem schwächeren sozioökonomischen Umfeld kommen, werden damit jede Wahl genommen, in manchen Bezirken der Ballungsräume droht die HS/KMS zu einer Restschule zu verkommen. Dabei ist aber nicht von Belang - wie das kleinformatige Hetzblatt und andere RassistInnen immer meinen - wie groß der Anteil der nicht muttersprachlich deutschsprechenden Kinder ist, sondern welche Ressourcen und Fördermaßnahmen bereit stehen, welches außerschulische Umfeld "mitspielt" und welche sozialen und gesellschaftlichen Kräfte zum Tragen kommen. Es ist dennoch erstaunlich, wie gute Leistungen unter schwierigsten Bedingungen von diesen Kindern erbracht werden – und dies, obwohl gerade auf dem Gebiet der Integration und des (auch muttersprachlichen) Spracherwerbs in den letzten Jahren gnadenlos gespart wurde.
Denn eines muss klar sein:
Die Krise der Mittelstufe hat sich durch die Einsparungen des letzten Jahrzehnts massiv verschärft. Dies äußert sich unter Anderem durch verschlechterte Arbeitsbedingungen für LehrerInnen und SchülerInnen, Sparmaßnahmen der letzten Jahrzehnts (Stundenkürzungen, gestrichene Stütz-, Förder- und Integrationsmaßnahmen, große Klassen, Arbeitszeiterhöhung ...), veränderte gesellschaftliche Rahmenbedingungen für die heranwachsende Generation (ungewisse Zukunftsaussichten, Arbeitslosigkeit und prekäre Beschäftigung, Studiengebühren), Basiswissen und Grundkompetenzen für alle werden nicht mehr ausreichend vermittelt (OECD-, PISA-Studien), soziale Benachteiligung im derzeitigen Schulsystem wird verstärkt, zunehmende Überforderung von LehrerInnen (Burn out und Frühpensionierungen trotz Abschlägen als Symptom).
Resümee
Es führt kein Weg an der Gesamtschule vorbei. Das "Herumdoktern" an einer überkommenen Organisationsform kostet unnötiges Geld und vor allem Ressourcen und Zeit. Die schrittweise Entwicklung und Umsetzung eines österreichischen Gesamtschulmodells mit differenziertem, individuellen Eingehen auf die SchülerInnen von heterogenen Klassen, das mit der Verlängerung der gemeinsamen Schulzeit von vier auf wenigstens acht Jahre auch die Integration von „AusländerInnen“ verbessert, ist eine pädagogische und soziale Notwendigkeit. Die Wahlfreiheit ist nicht in Gefahr, wenn am Ende der Schulpflicht die Wahlfreiheit für alle Kinder und Jugendlichen um ein Vielfaches erhöht und weitgehend von sozioökonomischen Voraussetzungen entkoppelt wird.
Alles andere als eine überlegte, schrittweise Vorbereitung der flächendeckenden Einführung der Gesamtschule ist lediglich Symptomkorrektur und damit Ablenkung vom eigentlichen Thema. (Etwa der Vorschlag, Aufnahmsprüfungen wiederauferstehen zu lassen, weil die Eltern inakzeptablen Druck auf die VolkschullehrerInnen machen, wobei letzteres zweifellos stimmt. Andererseits gibt es AHS, die VolksschülerInnen mit der Note Genügend aufnehmen, um so ihre Werteinheiten halten zu können.)
Andererseits ist die Gesamtschule erst der erste Schritt in die richtige Richtung, die Gesamtschule allein würde sämtliche Probleme der Mittelstufe nicht lösen können, da diese lediglich das Spiegelbild der gesellschaftlichen Probleme überhaupt abbilden. Wie könnte denn auch die beste Schule die SchülerInnen einerseits vor den Schäden, die durch unser Wirtschafts- und Gesellschaftssystem verursacht werden, befreien und sie andererseits bestens auf den neoliberalen Wahnsinn vorbereiten, der sie im Anschluss an ihre Schullaufbahn erwartet?
Grundsätzliches
Die Verbesserung des Bildungssystems KOSTET Geld! Denn eine „Gesamtschule“ als 3. Schulform ist vollkommen unsinnig, die Gesamtschule macht nur Sinn, wenn alle SchülerInnen einer Region diese Schule besuchen. Dies kann nur mit mehr, besser ausgebildeten und gleich bezahlten MittelstufenlehrerInnen geschehen und erfordert mehr und besser ausgestattete Unterrichtsräume. Wer eine Schulreform Ernst nimmt, muss auch zu nachhaltigen Investitionen bereit sein und den Trend der sinkenden Ausgaben für Bildung (gemessen am BIP) ins Gegenteil zu verkehren!
Außerdem ist es unbedingt notwendig, die gesellschaftliche Wertigkeit von Lehren und Lernen höher zu positionieren, den Wert der Vielsprachigkeit, der Unterschiede in der Entwicklung und der verschiedenen Zugänge zu erkennen sowie allen Kindern und Jugendlichen Zeit zu geben, unter qualifizierter Anleitung Kenntnisse und Fähigkeiten zu erwerben statt bloß einen Teil von ihnen unter Zurücklassung der Anderen aus Prestigestreben mit allen (Nachhilfe)Mitteln in Richtung Matura zu drillen.
Dagmar Schulz ist Lehrerin in Wien