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Was hat Erziehung mit Politik zu tun?

  • Mittwoch, 13. Juni 2007 @ 11:12
Meinung Von Anna-Erika Paseka

Ist politisches Bewusstsein schädlich für Kinder? Kann man ohne Politik besser erziehen? In einer Diskussion mit einer Bekannten zum Thema Erziehung brachte ich den Zusammenhang von Politik und Erziehung ins Gespräch. „Politik hat doch mit Erziehung nichts zu tun!“, war die empörte Reaktion dieser jungen Frau. Gleichzeitig teilte sie mir mit Stolz mit, dass sie selbst unpolitisch sei. Und überhaupt – Politik sei nicht wichtig im Leben, sie hätte ohnehin Sorgen genug. Sie wechselte das Thema und erzählte verärgert, dass eine Studienkollegin, die bereits in Pension ist, den JungstudentInnen die ohnehin rar gewordenen Studienplätze „wegnimmt“! In ihrer Ansicht über Erziehung und ihrer Verachtung für ältere Menschen, die sich - ohne an Geld und Karriere zu denken - weiterbilden wollen, stecken verborgene politische Forderungen. Scheinbares politisches und gesellschaftliches Desinteresse dient oft der Verschleierung von eigenen Machtinteressen. Einen Verletzten auf der Straße unversorgt liegen zu lassen, stellt eine unterlassene Hilfeleistung und damit einen strafbaren Tatbestand dar. Unseren Kindern die bestimmende Rolle von Wirtschaft und Politik zu verschweigen kommt dem gleich. Die Bildung eines politischen Bewusstseins braucht Anregungen durch kompetente Vorbilder.

Wer glaubt sich der Manipulation durch Führungskräfte in Wirtschaft und Politik entziehen zu können, kapituliert in Wahrheit vor der Macht. Solche Menschen nehmen sich selbst nicht ernst, respektieren weder sich noch ihre Kinder. Sie verraten ihre eigenen und die Rechte ihrer Kinder. Ohne politisches Bewusstsein sind wir orientierungslos und manipulierbar. Es bedarf eines Verantwortungsgefühls und der Bereitschaft sich selbst in Frage zu stellen, um Kindern zu helfen, selbstbewusste Erwachsene zu werden, die sich gegen Unterdrückung und Manipulation wehren.

Der Psychoanalytiker Horst Eberhard Richter* schreibt: „Wenn man Phänomene wie die willfährige Teilnahme von einzelnen, von Gruppen, von ganzen Völkern an unmenschlichen Verbrechen in der Geschichte besser verstehen und vor allem, wenn man in der Erziehung solchen Gefahren besser vorbeugen will, muss man künftig zweifellos den sozialpsychologischen Bedingungen moralischen Verhaltens sehr viel mehr Aufmerksamkeit als bisher schenken. … In einer neuen Erziehung müssten die größten Energien darauf verwendet werden, dem jungen Menschen seine gefährliche Bereitschaft deutlicher zu machen, sich hörig äußeren Autoritäten zu unterwerfen, die sich ihm als Substitut für seine Gewissensinstanz allenthalben anbieten.“

Daher ist „raushalten und nichts tun“ gefährlich, denn die gesellschaftspolitischen Einflüsse auf unsere Kinder sind nicht zu unterschätzen. Dauernd werden Jugendliche vor Sex und Drogen gewarnt, aber kapitalistische Menschenverachtung bleibt unerwähnt oder wird sogar befürwortet: „Geiz ist geil“, „das rechnet sich nicht“, „Betriebe sind nicht dazu da sozial zu sein, sondern um Profite zu machen!“. Diesen gezielten Beeinflussungen setzen wir nichts entgegen. Aber wer schweigt, stimmt zu. Andere brüllen umso mehr. Denken wir an das „Wir-Gefühl“ (neo)nazistischer Gruppen. Wenn wir nicht neue Opfer und Täter schaffen wollen, müssen wir Erfahrungen und Erkenntnisse weitergeben und nicht den Opa schützen, der bei der SS war.

Eine linke Gesellschaftsanalyse kann den Jugendlichen helfen, die ständigen Lügen und Verschleierungen zu durchschauen. Aber wir müssen mit ihnen darüber reden. Wer von uns traut sich zu sagen: „Eine Erziehung ohne Sozialismus geht schief! Rede mit Deinen Kindern über Karl Marx.“ Die katholische Kirche traut sich was und plakatiert: „Eine Erziehung ohne Gott geht schief! Redet über Gott.“ Es reicht nicht Kinder vor dem vermeintlich „Bösen“ zu schützen, in dem man sie behütet, sie fernhält, ohne sie über die Zusammenhänge von Wirtschaft – Politik – Staat zu informieren. Damit hält man sie klein, unmündig und manipulierbar.

* Horst Eberhard Richter, Flüchten oder Standhalten, Gießen: Psychosozial-Verlag, 2001

Anna Paseka ist Mitglied des GLB/GPA-DJP und der Redaktion „Die Arbeit“