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Zum Thema Entbürokratisierung und Demokratisierung der Gewerkschaften

  • Samstag, 5. Mai 2007 @ 08:20
Meinung Beitrag von Karin Antlanger, GLB-Bundesvorsitzende, bei der Konferenz des Netzwerkes der GewerkschafterInnen in der Europäischen Linken am 5./6. Mai 2007 in Athen

Kurzvorstellung des GLB

Als Konsequenz aus dem Scheitern der Richtungsgewerkschaften der ersten Republik wurde in Österreich 1945 unmittelbar nach der Befreiung vom Faschismus von Vertretern der Sozialdemokratie, der Volkspartei und der Kommunistischen Partei der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB) als Einheitsgewerkschaft gegründet. Der ÖGB umfasste ursprünglich 16 Teilgewerkschaften, durch verschiedene Fusionen hat sich deren Zahl bis heute auf neun reduziert, weitere Zusammenlegungen sind geplant. Der Charakter des ÖGB wurde bald nach seiner Gründung durch die Gründung von Fraktionen aufgeweicht. Bis heute dominiert im ÖGB und den meisten Teilgewerkschaften die sozialdemokratische Fraktion, nur in der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst gibt es eine Mehrheit der ÖVP. Als Minderheitsfraktionen sind die Unabhängigen GewerkschafterInnen, die Parteifreien, die Freiheitlichen und als linke Fraktion die Fraktion Gewerkschaftlicher Linksblock im ÖGB (GLB) tätig.

Der GLB bekennt sich zur Einheitsgewerkschaft, tritt allerdings für eine offensive und kämpferische Gewerkschaftspolitik ein. Die Kritik des GLB zielt vor allem auf die Sozialpartnerschaft, die von den großen Fraktionen seit Ende der 40er Jahre und vor allem als Konsequenz aus dem Oktoberstreik von 1950 als größte Streikbewegung der zweiten Republik entwickelt und jahrzehntelang auch institutionalisiert wurde. Der Preis für Zugeständnisse an die Lohnabhängigen war der fast völlige Verzicht auf Streiks, was im Ergebnis zu einer weitgehenden Kampfentwöhnung führte. Österreich rangiert in der internationalen Streikstatistik regelmäßig am unteren Ende. Obwohl die ökonomischen Grundlagen der Sozialpartnerschaft, nämlich der bis Anfang der 80er Jahre vorhandene Verteilungsspielraum mittlerweile durch die Dominanz neoliberaler Politik weitgehend weggebrochen ist, hält die ÖGB-Führung eisern daran fest und möchte die Sozialpartnerschaft sogar auf europäische Ebene exportieren.

Reformbedarf der Gewerkschaften

Ausgelöst durch den Skandal um Milliardenverluste der Gewerkschaftsbank BAWAG infolge von Spekulationen im Jahre 2006 wurden die strukturellen und politischen Krisenerscheinungen des ÖGB in einer solchen Schärfe deutlich, dass eine Debatte um eine Reform unumgänglich wurde. Die Übernahme neoliberaler Denkmuster und Handlungsweisen bei fehlender Kontrolle verbunden mit einem Selbstverständnis als Ordnungsfaktor, die Entfremdung von der Basis durch horrende Privilegien der Führungsspitze, der Verzicht auf Kampfmaßnahmen und die Unterordnung unter Parteiinteressen haben den ÖGB politisch ohnmächtig gemacht.

Allerdings wurden die Hoffnungen der Mitglieder enttäuscht, weil es den bestimmenden Kräften gelang, die Debatte in eine solche Richtung zu steuern, dass keine grundlegenden Änderungen erfolgen. Der vom GLB verlangte konsequente Neubeginn fand nicht statt. Der Widerspruch zwischen der Notwendigkeit eines von Regierung und Kapital unabhängigen, einheitlichen, starken und offensiv handelnden ÖGB einerseits und einer weitgehend dem neoliberalen Zeitgeist angepassten realen Gewerkschaftspolitik ist mit diesem Kongress noch größer geworden.

Trotz marginaler Korrekturen wie einer Frauenquote oder einem Antragsrecht der Abteilungen bleibt der ÖGB weiterhin eine Gewerkschaft der FunktionärInnen anstatt eine solche der Mitglieder zu werden. Damit wird auch die traditionelle Stellvertreterpolitik fortgesetzt, eine Mobilisierung von unten statt Entscheidungen oben ist auch künftig nicht vorgesehen und wird höchstens als Konsequenz eines wachsenden Basisdruckes ihren Ausdruck finden.

Der Kongress bringt auch keine Abkehr von der jahrzehntelang praktizierten Politik der institutionalisierten Sozialpartnerschaft, die letztlich die Ein- und Unterordnung unter die Politik von Regierung und Kapital mit allen negativen Konsequenzen für die die Lohnabhängigen bedeutet. Das Bekenntnis des ÖGB zum Regierungsprogramm der Neuauflage der rotschwarzen Koalition bestätigt diese falsche Orientierung demonstrativ.

In den strukturellen Fragen wird mit der Möglichkeit einer Teilrechtsfähigkeit für einzelne Gewerkschaften nicht nur die schon bisherige Dominanz einiger starker Einzelgewerkschaften bekräftigt, sondern es droht sogar eine schleichende Aushungerung des ÖGB. Die sinnvolle Alternative eines einheitlichen und damit schlagkräftigen ÖGB mit KV-fähigen Untergliederungen in Form von Wirtschaftsbereichen wurde durch die Schrebergartenmentalität und das parteipolitische Hausmachtdenken einiger schwarzer wie roter Gewerkschaftskaiser vertan.

Grundprobleme der Gewerkschaften

Die Grundprobleme der Gewerkschaftsbewegung in Österreich sind ähnlich jenen auch in anderen Ländern. Durch die neoliberale Offensive wurde das fordistische Modell, auf das sich die Gewerkschaftspolitik jahrzehntelang gestützt hatte, sukzessive aufgehoben. Die seit Jahren stattfindende Prekarisierung in der Arbeitswelt und aller Lebensbereiche wurde von den Gewerkschaften bislang völlig ungenügend realisiert, entsprechend ist der Vertrauensverlust in die Gewerkschaften der sich vor allem am Rückgang der Mitgliederzahlen von einem Höchstwert von 1,7 Millionen auf derzeit 1,3 Millionen widerspiegelt.

Ungenügend entwickelt ist die innergewerkschaftliche Demokratie und die Mitsprache der Mitglieder. So werden die Gewerkschaftsgremien nur in drei von neun Gewerkschaften gewählt, ansonsten nach dem Ergebnis der Betriebsratswahlen zusammengesetzt, wozu anzumerken ist, dass keineswegs alle BetriebsrätInnen auch Gewerkschaftsmitglieder sind.

Die Praxis jahrzehntelanger Sozialpartnerschaft hat zu einer weitgehenden Ausschaltung der Gewerkschaftsmitglieder aus den Entscheidungsprozessen zugunsten von Verhandlungen am „grünen Tisch“ im Sinne einer ausgeprägten Stellvertreterpolitik geführt. So ist es in Österreich im Unterschied zu anderen Ländern nicht üblich, dass vor und nach Lohnverhandlungen Betriebsversammlungen oder gar Urabstimmungen stattfinden, das höchste der Gefühle sind Informationsveranstaltungen dazu.

Der ÖGB fungiert weitgehend auch als Ordnungsfaktor. Das wird etwa durch die Vertretung von SpitzengewerkschafterInnen im Parlament deutlich, wo diese regelmäßig der Parteiräson den Vorrang vor gewerkschaftlichen Interessen und Beschlüssen von Gewerkschaftsgremien geben und die somit gegen die ureigensten Interessen der Lohnabhängigen handeln. In vielen Regierungen stellte der ÖGB, respektive die SPÖ-Fraktion, wie selbstverständlich die SozialministerInnen. Bei wesentlichen Weichenstellungen wie dem EU-Beitritt, der Einführung des Euro und auch bei der Beschlussfassung für die EU-Verfassung im Parlament spielte der ÖGB eine Einpeitscherrolle.

Der GLB hat nach dem letzten ÖGB-Kongress im Jänner 2007 begonnen, das Abstimmungsverhalten von GewerkschafterInnen im Parlament zu thematisieren und sie mit der Beschlusslage bzw. den Interessen der Mitglieder zu konfrontieren. Es geht dabei etwa um die Haltung zu Vorhaben im Programm der rotschwarzen Regierungskoalition wie Verlängerung der täglichen und wöchentlichen Arbeitszeit und der Ladenöffnungszeiten, Aufweichung des Kündigungsschutzes für Lehrlinge, Schaffung eines Modells für häusliche Pflege das elementare Ansprüche der Arbeitszeit missachtet, Privatisierung der ÖBB, Aufhebung des zweiten Verstaatlichtengesetzes oder Sanktionierung der unsozialen Studiengebühren.

Vorstellungen des GLB zur Reform

Für eine grundlegende Reform des ÖGB und der Teilgewerkschaften sieht der GLB folgende Punkte als wesentlich an:

Strukturreformen müssen mit Inhalten verbunden sein: Anstelle eines sozialpartnerschaftlichen Ordnungsfaktors ist eine kämpferische Interessenvertretung notwendig. Die Streikfähigkeit muss auch ohne den im BAWAG-Skandal vernichteten Streikfonds gewahrt bleiben, sie hängt vom politischen Willen ab, wie die Erfahrungen anderer Länder beweisen.

Der ÖGB hat eine gesellschaftspolitische Aufgabe: Die Gewerkschaft darf sich daher nicht auf die Funktion einer Serviceorganisation reduzieren lassen und muss sich vor allem neuen Themen wie etwa der Prekarisierung öffnen.

Die Mitglieder müssen der Maßstab der Gewerkschaftspolitik sein: Die Gewinnung und Betreuung der Mitglieder muss die zentrale Aufgabe der Gewerkschaften sein. Es gilt Strukturen zu schaffen, die auch „gewöhnlichen“ Mitgliedern ohne Mandat eine Mitsprache oder die Vertretung in Gremien ermöglicht.

Die Mitglieder müssen wählen können: Die Gremien bzw. Delegierten für Konferenzen müssen in allen Gewerkschaften von den Mitgliedern gewählt werden. Sie dürfen nicht länger nur nach dem Ergebnis von Betriebsrats- oder Personalvertretungswahlen besetzt werden. Gremien müssen auch für Mitglieder ohne Mandat zugänglich sein.

Die Veränderungen in der Arbeitswelt sind zu berücksichtigen: Prekarisierung, gestiegene Berufstätigkeit von Frauen und einen wachsender Anteil von MigrantInnen müssen den Inhalten und den Strukturen zu Grunde gelegt werden.

Privilegien sind abzubauen: Diese führen zur Entfremdung von SpitzengewerkschafterInnen von der Basis. GewerkschaftsfunktionärInnen dürfen nur einen Bezug haben, eine Bezugsobergrenze ist notwendig, allerdings halten wir die vom letzten ÖGB-Kongress beschlossene mit 11.000 Euro brutto für viel zu hoch.

Die traditionelle Stellvertreterpolitik ist zu überwinden: Selbstermächtigung und Eigeninitiative müssen stärker entwickelt werden.

Der ÖGB braucht überschaubare Strukturen: Das Dickicht der Gremien muss entwirrt werden. Wir brauchen einen starken ÖGB als Dachverband mit kollektivvertragsfähigen eigenverantwortlichen Untergliederungen nach dem Grundsatz „Ein Betrieb - eine Gewerkschaft“. Dabei forciert der GLB das von der GPA entwickelte Modell eines einheitlichen ÖGB mit untergeordneten Wirtschaftsbereichen.

Wir brauchen einen unabhängigen und überparteilichen ÖGB: Präsidiumsmitglieder des ÖGB und Vorsitzende von Teilgewerkschaften sollen daher keine Mandate in gesetzgebenden Körperschaften ausüben, sie müssen unabhängig von fraktionellen Zwängen agieren können.

Die Mitglieder brauchen breite Mitspracherechte: Urabstimmungen zu allen wesentlichen Fragen, sei es der BAWAG-Verkauf, der ÖGB-Reform oder KV-Abschlüsse, sind notwendig. Minderheitenrechte für die Fraktionen und Kontrollrechte müssen ausgebaut und verankert werden.

Gleichberechtigung der Frauen: Durch eine Quotierung ist dem Stellenwert der Frauen in der Arbeitswelt Rechnung zu tragen. Der Frauenanteil in allen Gewerkschaftsgremien muss zumindest dem Anteil der Frauen an der Mitgliedschaft entsprechen. Damit ist der Tatsache Rechnung zu tragen, dass gerade Frauen von der Zunahme atypischer, prekärer Erwerbsarbeit betroffen sind.

Überlegungen für eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit

Während das Kapital durch zahlreiche Institutionen längst international organisiert ist und wirkungsvoll über seine Lobbies in der EU und anderen Bereichen seine Interessen durchsetzt, hinken die Gewerkschaften weit hinterher. Daran hat auch die Gründung des Internationalen Gewerkschaftsbundes im November 2006 in Wien bislang nichts geändert, zumal damit vor allem vom ÖGB die Hoffnung auf eine internationale Renaissance der Sozialpartnerschaft verbunden ist.

Weder EGB, IGB, aber auch nicht der WGB haben – abgesehen von diversen Erklärungen und Feststellungen – bislang effiziente Formen für eine wirkungsvolle internationales Handeln von Gewerkschaften gefunden. Andererseits haben die Kampagnen gegen die EU-Hafenrichtlinie, die Bolkestein-Direktive und auch gegen die EU-Verfassung bewiesen, dass grenzüberschreitende Kooperationen von Gewerkschaften in Zusammenarbeit mit sozialen Bewegungen und linken Parteien zumindest in der Lage ist bestimmte Vorhaben der neoliberalen Politik zu verhindern oder zu verzögern.

Es geht wahrscheinlich darum, aufbauend auf einer möglichst effizienten Analyse des realen Kapitalismus jene Aspekte herauszugreifen, bei denen nicht nur eine punktuelle Wirkung erreicht werden kann, sondern auch durch die allgemeine Betroffenheit eine internationale Zusammenarbeit möglich ist. Das sind etwa die Auseinandersetzung mit dem Grünbuch zur Arbeitsgesetzgebung, mit der Deregulierung der öffentlichen Dienste und der Grundversorgung.

Das bedingt freilich eine konsequente Kritik und Absage an zentralen neoliberalen Dogmen wie dem Euro-Stabilitätspakt, den Maastricht-Kriterien für die Budgetpolitik und auch an der Auslegung der vier Grundfreiheiten. Auf EU-Ebene sind daher zentrale Grundlagen wie die vorläufig gescheiterte Verfassung oder die Lissabon-Strategie aus gewerkschaftlicher Sicht völlig unakzeptabel. Auf diesen Grundlagen ist das von den Gewerkschaften vielfach geforderte „soziale Europa“ nicht zu machen. Die begonnene Zusammenarbeit von GewerkschafterInnen aus dem Spektrum der Europäischen Linken ist ein wichtiger Ansatz für die Entwicklung längst überfälliger Kooperationen.