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Arbeitswelt: Schöne freie Leibeigenschaft?

  • Montag, 2. April 2007 @ 21:52
Meinung Von Hubert Schmiedbauer

Wer zahlt, schafft an, protzt ein Konzernherr. UnternehmerInnen und ihre „Leistungsträger“ bereiten Einzelverträge vor, in denen die Arbeit„nehmer“ keine Rechte haben – unterschreib oder geh! Als „Sozialpartner“ angemalte SprecherInnen der Ausbeutungswirtschaft machen Druck auf die Politik mit der Lizitation zur Arbeitszeitverlängerung für mehr Profit. Der Weg neoliberaler Wirtschaftspraktiken zu feudalen Zuständen geht seit Jahren nahezu ungehindert weiter. Mehr als die Hälfte der ArbeiterInnen scheidet wegen berufsbedingter Schäden vorzeitig aus dem Beruf aus. Die heute aktive Generation in der gesamten Arbeitswelt ist von neuen Belastungen betroffen, deren Auswirkungen noch nicht bekannt sind. Ein großer Teil von ihnen wird in der durch Pensions„reformen“ verlängerten Lebensarbeitszeit nicht mehr erwerbsfähig sein.

Diskussionen um eine Anhebung des Pensionsantrittsalters gibt es seit rund zwanzig Jahren. Alfred Dallinger bezeichnete sie als Möglichkeit – wenn die Arbeitswelt radikal verändert wird. Und damit meinte er auch eine Verkürzung der täglichen und wöchentlichen Arbeitszeit, wofür es damals starke gewerkschaftliche Aktionen, vor allem der Metaller in Deutschland, gab. In Österreich wurden seither von Gewerkschaftstagen und -kongressen hunderte Beschlüsse zum Thema Arbeitszeitverkürzung gefasst.

Die österreichischen Unternehmer – sich auf das mächtige internationale Kapital stützend –beten die Formel „10-12-60“ her: Normalarbeitszeit statt 8 täglich 10 Stunden, erlaubte 12 Stunden bzw. 60 Wochenstunden. Die Flexibilität soll darin bestehen, dass keine Überstunden bezahlt werden, sondern die Arbeitszeiten im erlaubten Bereich schwanken. Eine Durch- und Abrechnung (Freizeitausgleich) war ursprünglich mit zwei Monaten angedacht, im Hinauflizitieren hält man zurzeit bei zwei Jahren. Es gab schon die Idee lebenslanger Arbeitszeitkonten. Die Gewerkschaften sind aber „bereit, neue Wege zu gehen“.

Im Gezeter um die Sonntagsarbeit sind zurzeit die mächtigen Handelsketten, die Einkaufszentren und die gehobene Hotellerie am lautesten. Letztere haben in ihrem eigenen Bereich maximale Feudalstrukturen mit wachsenden Flexibilisierungen und mit tausenden rechtlosen Saisonniers entwickelt, gegen die sich aktive BetriebsrätInnen immer schwerer tun. Im Bereich der touristischen Mittel- und Kleinbetriebe herrschen ohnehin patriarchalische Verhältnisse vor.

Mehrere Beispiele ließen sich aus den Handelsketten bringen. Einer der jüngsten Fälle ist die Firma KIK, für die das Wort Demokratie vor dem Geschäftseingang abgegeben werden sollte. Das gesetzwidrige Theater um die Wahl eines Betriebsrates war den Chefs in der deutschen Zentrale schon peinlich. So plump will man die Herrschaft der Besitzenden nicht ausüben – es gibt feinere Methoden, worüber die KollegInnen vor allem aus den multinationalen Industriekonzernen berichten können.

Zurück ins 19.Jahrhundert

Die zweite Hälfte des 19.Jahrhunderts war geprägt durch den Kampf um das Recht, sich zu organisieren, um das Wahlrecht – und um den Achtstundentag. Der erste Weltkrieg und die revolutionären Bewegungen in seinem Gefolge waren die erste radikale Schwächung des kapitalistischen Wirtschafts- und Machtsystems. Mit dem Achtstundentag und anderen historischen Errungenschaften hatte die Klasse der Arbeitenden der Klasse der Besitzenden wichtige Fortschritte ertrotzt.

Nach den mörderischen Faschismen in vielen Ländern Europas und dem zweiten Weltkrieg wurden dem Kapital, das als Finanzier und Profitierer dahinter stand, abermals wichtige Fortschritte entrissen. Die wirtschaftlichen (Verstaatlichung der Energie- und Grundstoffwirtschaft usw.) und sozialen Rahmenbedingungen waren für die arbeitende Bevölkerung mit viel Nutzen aus den technologischen, kulturellen und anderen Fortschritten verbunden. Maßgeblich verantwortlich war dafür die hohe fachliche Qualität und Arbeitsfreude der Beschäftigten. 40-Stunden-Woche, längere Urlaube und Senkung des Pensionsalters waren logische Anteile an der gestiegenen Arbeitsproduktivität.

Doch das Kapital, durch sozialpartnerschaftliche Schonung ermutigt, bereitete sich vor, das ihm entzogene Profitglück zurückzugewinnen. Eine Kennziffer zeigt den Erfolg: Seit 1970 ist trotz gewaltiger Steigerung der Arbeitsproduktivität die Lohnquote – der Anteil der Einkommen aus unselbständiger Arbeit an der Gesamtwertschöpfung - von 72 auf 58 Prozent gesunken. Dementsprechend stiegen die Einkommen aus Unternehmen, Besitz, Vermögen.

Das Kapital will aber mehr. Es will alles, einschließlich Verfügungsgewalt über die Arbeitskraft, denn sie ist der einzige Faktor in der Wirtschaft, der Werte vermehren kann. Ohne Abschöpfung von der Arbeitskraft keine Dividenden, keine Spekulationsgewinne, keine Millionenprofite für Fonds und andere Heuschrecken.

Die Unternehmer haben ausrechnen lassen, dass angeblich 83 Arbeitstage im Jahr „verschwendet“ werden, weil nur 64,3 Prozent der Arbeitszeit genutzt werden. Das habe für 2004 einen Verlust von 19 Mrd. Euro ergeben. Solche (gut bezahlten) Absonderungen monströser Gehirne weisen in die Richtung weiterer Enthumanisierung der Arbeitswelt – durch fortgesetzte Verdichtung der Abläufe oder durch Ersatz von Menschen durch Roboter. Dann müssen die Roboter nur noch lernen, die von ihnen erzeugten Waren zu kaufen…

Alles Rechtsstaat oder was?

Natürlich braucht alles seine Ordnung, sein Rechtssystem. Nationale Gesetze genügen nicht mehr. Hatten die nationalen Gesetze und Verfassungen noch den Anschein demokratischer Willensbildung, sind die globalen Herrschaftsebenen und Institutionen in ihrer Lenkungsarbeit für die Rahmenbedingungen der Kapitalinteressen mit nahezu diktatorischer Macht ausgestattet. Was kann schon das EU-Parlament ausrichten, wenn das Finanzsystem von einer „unabhängigen“ Zentralbank beherrscht wird, wenn Direktiven wie religiöse Gebote unter Androhung strenger Strafen verordnet werden, um dem Kapital bestmögliche Profite zu sichern.

Beispiele: Der Druck auf Begrenzung der Arbeitszeiten für Lkw-Fahrer führte zu einer Korrektur der Arbeitszeitrichtlinie. Es kam zu einer Regelung, dass innerhalb vier Monaten eine durchschnittliche Wochenfahrzeit von 48 Stunden nicht überschritten werden darf. Dann wurde im Vorjahr die maximale wöchentliche Lenkzeit von 74 Stunden auf 56 Stunden beschränkt. Ein Fortschritt angesichts perfekter Überwachung der FahrerInnen, des Zeitdrucks und der zunehmenden Unfallgefahr. Der Pferdefuss ist jedoch geblieben, denn das Laden und Entladen der Fahrzeuge liegt außerhalb der Regelung.

Das Finanzregime der EU zwingt die Staaten einerseits zur Steuerschonung der großen Profite und daraus resultierend zu Sparmaßnahmen und Privatisierungen, wobei recht willig auch das Gesundheitswesen nach Marktkriterien gemessen wird. So kam es zur Auseinandersetzung um die Arbeitszeiten und die Entlohnung des Spitalpersonals, vor allem der Ärzte. Lange und womöglich unbezahlte Bereitschaftsdienste, Durchrechnungszeiten von 12 Monaten und andere Wünsche möchten einige Staaten – Österreich (Bartenstein!) befand sich immer unter den Scharfmachern – gerne ohne Einbeziehung der „Sozialpartner“ durchsetzen.

Rückzug statt Widerstand

Gewerkschaften, Arbeiterkammern, Kollektivverträge, eine nationale Gesetzgebung - sie alle stehen im Feuer der Profitwirtschaft und deren politischer Handlanger. Sehen wir von den Selbstfallern des ÖGB ab, gibt es viel Potenzial für Widerstand und Kursänderung. Da sind einmal die hunderttausenden Lohnabhängigen, die in den letzten Jahren Zeichen ihrer Macht gesetzt haben. Da sind die Fachleute und wissenschaftlichen MitarbeiterInnen in ÖGB und AK. In deren Publikationen, aus denen auch dieser Beitrag geschöpft hat, sind wertvolle Fakten und Konzepte veröffentlicht.

Doch während das Kapital, gestützt auf die EU, in Österreich zum Generalangriff auf das System der Kollektivverträge angetreten ist und die Beschäftigten mit Einzelverträgen über alle Bedingungen vom Lohn über die Arbeitszeit und so genannte „Erfolgsbeteiligungen“ zu Leibeigenen machen will, träumen die AK- und ÖGB-Spitzen noch immer von der „Sozialpartnerschaft“. Daraus folgen auch seit vielen Jahren die schrittweisen Rückzugsbewegungen in Sachen Arbeitszeit, egal welche Koalition gerade für die Profitwirtschaft zu regieren hat.

Die ÖGB-Führung hat durchgesetzt, dass der Kongress im Jänner dem gegenwärtigen Regierungsprogramm zustimmte. Das hindert die Gewerkschaften an konsequenter Aktion mit ihren Mitgliedern. Der im November in Wien neu gegründete Internationale Gewerkschaftsbund ist wie seine beiden Vorgänger IBFG und WVA unfähig, eine gemeinsame Strategie zu entwickeln und durchzuziehen – zum Beispiel zum Thema Arbeitszeiten. Da setzt man sich bestenfalls in Brüssel mit ein paar Kapitalvertretern zusammen und verhandelt „sozialpartnerschaftlich“ darüber, ob die erlaubte tägliche Arbeitszeit 12 oder „nur“ 11 Stunden betragen dürfe.

Hubert Schmiedbauer ist Journalist in Wien