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ÖGB-Reformdebatte mit viel wenn und aber

  • Donnerstag, 16. November 2006 @ 11:15
Meinung „Gemeinsam mit Kollegen Klein großkoalitionär unterwegs“ sah sich FSG-Fraktionschef Willi Haberzettl bei einer Podiumsdiskussion von ORF-Oberösterreich und „OÖ Nachrichten“ am 15. November 2006 im ORF-Studio Linz mit seinem „Kontrahenten“ FCG-Chef Karl Klein und dem Innsbrucker Politologen Ferdinand Karlhofer. Zum Thema „ÖGB: Zwang zur Erneuerung?“ blieben schlussendlich viele Fragen offen. Haberzettl: Gewerkschaftsmitglieder in Wartehaltung

FSG-Chef Haberzettl sieht die Gewerkschaftsmitglieder in Wartehaltung und rechnet mit Konsequenzen (in Form von Austritten), wenn die Erwartungen nicht erfüllt werden. Der ÖGB hat sich für ihn in den letzten zwanzig Jahren selbst in die heutige Situation geführt (wie weit Haberzettl daran selber beteiligt war, ließ er wohlweislich offen). Dem Vertrauensverlust der Mitglieder müsse durch Transparenz und Kommunikation entgegnet werden.

Jetzt hofft man, den Schuldenstand von 2,3 Milliarden Euro aus dem Erlös des BAWAG-Verkaufs abdecken zu können. Dass die BAWAG keine rein österreichische Bank mehr sein wird ist für Haberzettl klar, aber auch besser für die Beschäftigten, weil eine österreichische Bank wie Raiffeisen als Übernehmer aus Konkurrenzgründen viele Filialen schließen würde, bei einem ausländischen Bieter wie Cerberus hingegen die anderen Banken ein Problem durch mehr Konkurrenz haben.

Haberzettl bekennt sich zu einer solidarischen Finanzierung des ÖGB durch die Teilgewerkschaften, das bedeute aber auch, für die Schulden solidarisch aufkommen zu müssen. Keine Teilgewerkschaft schwimmt im Geld, es habe schon immer Nettozahler und Nettoempfänger gegeben, so der FSG-Chef. Die Reform wird von der Finanzkrise bestimmt. Die Änderung der Rechnungslegungspflicht verschärft die Finanzprobleme, weil Unternehmen 15 Jahre, Vereine hingegen nur drei Jahre Übergangsfrist eingeräumt erhielten, so Haberzettls Kritik an Finanzminister Grasser.

Der ÖGB habe ein System repräsentativer Delegierung, bei dem regionale, fachliche, geschlechterspezifische und fraktionelle Kriterien zu berücksichtigen sind. Zur Strukturreform meinte Haberzettel, die Einheitsgewerkschaft bleibt das Ziel, eine Regionalstruktur sei notwendig. Die Bezirkssekretariate sollen bleiben, könnten aber für mehrere Bezirke zuständig sein. Er sieht dabei keinen Unterschied zwischen einem ÖGB mit vier Blöcken oder einer einheitlichen Gewerkschaft mit relativ autonomen Sektionen (wie es GPA-Chef Katzian forciert).

Die Betriebsräte sind bei KV-Verhandlungen eingebunden, mehr Basis sieht Haberzettl nicht als möglich an. Dafür forciert er Open Space als Basisdemokratie und führt dazu das Beispiel der im Stil einer Fußball-WM inszenierten Vida-Konferenzen an.

Haberzettl legte ein Bekenntnis dafür ab, dass der KV auch für Berufstätige die nicht der Gewerkschaft angehören gelten muss. Das sei wichtig für sozialen Frieden, weil sonst umgekehrt Unternehmer Erhöhungen nur für Nichtgewerkschaftsmitglieder gewähren könnten.

Der ÖGB soll nicht unpolitisch, aber überparteilich sein, er müsse wieder vom Reagieren zum Agieren kommen. Eine Trennung des ÖGB von den Betriebsräten wäre unmöglich, es gäbe viele weiße Flecken von Betrieben ohne Betriebsrat. Vielmehr habe der ÖGB zwei Kundenkreise, nämlich Mitglieder und Betriebsräte zu bedienen (wobei Haberzettl nichts zur Gewichtung sagte, dass nämlich in der gewerkschaftlichen Praxis einfache Mitglieder erst unter ferner liefen rangieren).

Klein: Unternehmer halten sich immer weniger an Gesetze

Für FCG-Chef und ÖGB-Vizepräsident Klein gibt es nicht eine Krise des ÖGB, sondern eine von einzelnen Akteuren verursachte Krise. Auch seien die Gewerkschaften nicht ständig mit Machtkämpfen beschäftigt. Klein wies darauf hin, dass Österreich mit 98 Prozent die größte KV-Dichte, das Problem sei die Vermittlung der Bedeutung der Kollektivverträge an die Betroffenen. Zu bedenken gibt der im ÖGB-Präsidium für die KV-Politik zuständige Klein auch, dass nur zwei Drittel der Kollektivverträge mit der Wirtschaftskammer abgeschlossen werden, der Rest entfällt auf den öffentliche Dienst und freie Verbände.

Die Mitgliederverluste im ÖGB sind hauptsächlich der Prekarisierung geschuldet. Zwei Drittel der atypischen Beschäftigten sind laut Klein das Ergebnis, weil sich die Unternehmer nicht mehr an Gesetze halten, nur ein Drittel sind neue Beschäftigte. Vorrangig sei es, die Defizite im Arbeitsrecht zu beseitigen. Die Prekarisierten seien für die Gewerkschaft nur in der Fläche erreichbar, so Klein.

Der FCG-Chef verlangte eine Lösung der Gewerkschaften aus der parteipolitischen Umklammerung und meint, die Gewerkschaft muss auf die Parteien einwirken und nicht umgekehrt. Er betonte auch, dass nicht der ÖGB, sondern einzelne Fraktionen Minister stellen.

Bemerkenswert ist, dass Klein in einer Urabstimmung über KV-Abschlüsse kein Problem sieht. Er verwies dabei auf seine langjährige Tätigkeit als Sekretär in der Versicherungswirtschaft. Dort sei es üblich vor und nach KV-Abschluss Betriebsversammlungen und bei Bedarf auch Urabstimmungen abzuhalten.

Karlhofer: Zusammenhang zwischen Krise und Sozialpartnerschaft

Der Gewerkschaftsexperte Karlhofer sieht den ÖGB neben der Kirche als die größte Organisation auf freiwilliger Basis. Er sieht einen Zusammenhang zwischen Krise und Fehlentwicklung des ÖGB mit der langjährigen Politik der Sozialpartnerschaft, ausgelöst durch den BAWAG-Skandal sei jetzt einiges in Bewegung gekommen. Durch den BAWAG-Verkauf sei der ÖGB zum Leichtgewicht geworden.

Laut Karlhofer wurde die Stimmungslage falsch eingeschätzt, etwa wenn bei der Mitgliederbefragung 250.000 TeilnehmerInnen erwartet, aber nur 60.000 tatsächlich erreicht wurden. Als Problem sieht der Politologe die Blockademacht der großen Gewerkschaften (GPA, GÖD, GMTN), es gäbe sogar ein eigenes Papier für eine Produktionsgewerkschaft (Proge).

Als wahrscheinlich sieht Karlhofer drei Blöcke als Konsortium wie in der Bauwirtschaft, diese arbeiten bei Bedarf zusammen, damit erübrigt sich aber ein starker ÖGB als Dachorganisation und ein solches Modell geht auf Kosten der Fläche, wie die Erfahrung aus Deutschland zeigt. Eine immer wieder in den Raum gestellte Abspaltung einer Teilgewerkschaft hält er für rechtlich nicht möglich.

Karlhofer sieht es als illusionär die Auflösung der Fraktionen zu fordern, meint aber, die Fraktionen sollten sich zurücknehmen. Weiter verweist er auf den Rollenkonflikt zwischen Verband und Mandat und führte dazu an, dass Gusenbauer zuerst für eine Vertretung Hundstorfers im Parlament plädierte – um wenig später die gegenteilige Position zu vertreten. Bei der Mitgliederbefragung sei eine Funktionsentflechtung worden, in anderen Ländern gäbe es diesbezüglich bestimmte Unvereinbarkeitsregelungen.

Wirklich Neues erfuhr man bei dieser Diskussion letztlich eigentlich nicht. Trotz gelegentlicher parteipolitischer Seitenhiebe wie etwa die Aussage Haberzettls, „von der FCG will ich mich nicht kontrollieren lassen“, blieb ein deutlich großkoalitionärer Konsens übrig. Verfestigt hat sich hingegen der Eindruck, dass es der ÖGB-Spitze darum geht die akut gewordene Krise möglichst elegant durchzutauchen. Ob man sich dabei des als Veranstaltungsthema gewählten Zwanges zur Erneuerung bewusst ist, darf bezweifelt werden.

Leo Furtlehner