Zehn Thesen zur Gesundheitspolitik
- Mittwoch, 12. Juli 2006 @ 13:26
Von Werner Vogt
1. Zielvorstellungen:
a) Zugang und Nutzung der Gesundheitseinrichtungen für alle in der Republik lebenden Bürger/Innen.
b) Grundversorgung (was soll das sein?) für alle Staatsbürger, Vollversorgung für Zusatzversicherte, für Junge und Arbeitsfähige, für Anständige und Tüchtige. 2. Es beherrscht seit Jahrzehnten das gesundheitsökonomische Denken die gesundheitspolitische Planung. Demnach ist das alte, solidarische System teuer, ineffektiv, der Sozialstaat eine latente Gefahr für einen guten Staatshaushalt. Das neue, abgeschlankte System ist günstig und effektiv, eröffnet dem freien Markt und der Wirtschaft neue Chancen. Es ist auf eine bestimmte Art gerecht, orientiert sich an der „Selbstschuldtheorie“.
3. Im Jahre 1999 betrugen die Ausgaben für das österr. Gesundheitssystem (Zugang für 99 Prozent der Bevölkerung) 8,2 Prozent des Bruttoinlandproduktes (BIP). Diese Zahl beruht auf Erhebungen der Weltbank in Washington und ist ident mit jener des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger in Wien. Gesundheitsstaatssekretär Waneck beruft sich nun auf eine neue Studie des Industriewissenschaftlich Institutes(IWI) der Wirtschaftsuniversität Wien, wonach Österreich 10,9 Prozent des BIP ausgibt, nur noch von den USA mit 13 Prozent (versorgt nicht einmal die Hälfte seiner Bevölkerung, zig Millionen Menschen sind unversichert) übertroffen wird. Jene, die einen schlanken Sozialstaat wünschen, also die Neoliberalen und die unbarmherzigen Katholiken in der Wenderegierung, jubeln über die gute neue Zahl, der Hauptverband schweigt.
4. Ich entscheide mich für das sozialmedizinische Idealmodell, für den Zugang und die Vollversorgung für alle in der Republik lebenden Menschen. Finanziert soll es werden durch Beiträge und durch Steuern, wobei, wie bisher, Arbeitgeber und Arbeitnehmer zur Finanzierung beizutragen haben. Gewinnbesteuerung und Wertschöpfungsabgabe sowie Aufhebung der Höchstbeitragsbemessungsgrundlage sind weitere Instrumente zur Finanzierung der Gesundheitssicherung. Nur eine gesunde Bevölkerung garantiert Chancengleichheit und Wohlstand für alle. Da Selbstbehalte die Solidaridee (alle zahlen, wer braucht erhält) und den Sozialpakt (Arbeitgeber und Arbeitnehmer finanzieren gemeinsam die Gesundheitssicherung) unterlaufen, sind sie zu beseitigen. Sie betrugen 1999 bereits 9,9 Milliarden Schilling, sind weiter gestiegen. Die Ambulanzgebühr, der Musterselbstbehalt der Wenderegierung ist gesundheitspolitisch sinnlos (keine Umlenkung),ökonomisch bedeutungslos, da sie das System verteuert, sie ist aber eine autoritäre Maßnahme. Sie verordnet Patientenwege, unterläuft die freie Arztwahl.
5. Natürlich ist es sinnvoll und richtig, die Kosten im Gesundheitssystem angemessen niedrig zu halten. Medizin auf höchstem Niveau ist billig, schlechte und schlecht organisierte Versorgung treibt die Kosten in die Höhe und ist darüber hinaus lebensgefährlich. Die Allgemeine Unfall Versicherungsanstalt beweist seit Jahrzehnten, dass durchgängige Unfallheilbehandlung und Primärprävention am Arbeitsplatz die Kosten minimiert und die Invalidität senkt, also die Effektivität durch Qualität steigert. Die AUVA hat bisher jährlich Überschüsse in Milliardenhöhe erwirtschaftet. Dies wird von der Wenderegierung verschwiegen. Sie entnimmt zwar die Überschüsse. reduziert die Beiträge und fordert eine Zusammenlegung mit den angeblich so maroden Krankenkassen. Absicht: eine gute Struktur, dazu noch gewinnbringend, verdirbt die Botschaft von der Unfinanzierbarkeit des Sozialstaates. Würde man die Krankenversorgung so organisieren wie die Unfallversorgung, wäre das Nulldefizit im Gesundheitssystem bald hergestellt.
6. Wer Gesundheitsversorgung sinnvoll planen will, muss zunächst das Instrumentarium der Epidemiologie benützen. Es muss die regionale Verteilung von Krankheiten und Leiden erforscht werden, um die Zahl und die Struktur von Gesundheitseinrichtungen festlegen zu können. Die in Österreich, vor allem in den ländlichen Regionen, herrschende Fehl-und Unterversorgung im ambulanten Bereich (Psychiatrie, Augenheilkunde, Orthopädie, Frauenheilkunde) muss durch Planung beseitigt werde. Vielleicht muss auch das System der Niederlassungsfreiheit bei Kassenärzten fallen. Wiederum: gute, geplante, durchgängige Versorgung senkt die Kosten und erhöht die Lebenserwartung.
7. Seit Jahrzehnten wird über Patientenrechte nachgedacht, aber nicht die einfachsten Rechte werden verwirklicht. Wenn wir dazu übergehen, alle Informationen, Daten, Befunde, Röntgenbilder als Eigentum des Patienten zu betrachten, sie ihm selbstverständlich übergeben, werden wir wiederum Kosten senken, da wir Mehrfacherhebungen verhindern. Wir werden auch die Sicherheit des Patienten im Gesundheitssystem erhöhen. Ein gut informierter Patient kann sich vor Fehlbehandlungen besser schützen als ein ahnungsloser Patient.
8. Die Diskussion über das Pensionsantrittsalter entgleist hierzulande stets sehr bald in eine Sozialschmarotzerdebatte. Es werden ganze Berufsstände regelmäßig diffamiert, ja gemobbt: die Eisenbahner, die Postler, die Beamten, die Lehrer. Früher gab es ausreichend Belege, dass Beruf und Lebenserwartung, dass Arbeit und Erkrankungsrisiko in einem unmittelbaren Zusammenhang stehen. Eine Krankenschwester, die seit Abschluss der Pflichtschule Schwerarbeit verrichtet, durch Jahrzehnte Nacht- und Wochenenddienste leistet, sollte spätestens mit 55 Jahren in Pension gehen dürfen ohne von einem Politiker oder Journalisten angepöbelt zu werden. Es sollten die Arbeitgeberverbände dafür sorgen, dass eine objektive Beurteilung über ein notwendiges Pensionsantrittsalter möglich wird. Das würde auch die falsche und daher ungerechte „Selbstschuldtheorie“ vernichten.
9. Wer erkrankt oder verunfallt ist in Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit beeinträchtigt, verliert seine soziale Rolle und ist isoliert, ist selbst und mit seinen Angehörigen existentiell bedroht, hilfsbedürftig(Uexküll/Wesiack, Theorie der Humanmedizin).Gesundheitsversorgung und soziale Absicherung sind durch zwei verschiedene Bürokratien vertreten. Das erschwert den Zugang zu Leistungen ganz erheblich, da ja der Erkrankte in der Wahrnehmung seiner Rechte ohnehin schwer behindert ist. Es ist ein Gebot der Menschlichkeit, die beiden Bürokratien zusammenzulegen. Das erleichtert dem Erkrankten oder Verletzten den Zugang zu Rechten und zur Existenzsicherung und senkt zudem Verwaltungskosten, da langwierige Abgrenzungsprozeduren entfallen.
10. Das Recht auf optimale Gesundheitssicherung und Versorgung ist ein Menschenrecht. Es sollte daher, im Rahmen der Sozialstaatsicherung, sowohl in der österreichischen wie in der europäischen Verfassung verankert werden. Der Sozialstaat ist die zur Struktur erstarkte Nächstenliebe, ist gut organisierte Solidarität. Er war das wesentliche Merkmal der armen, aber mit Gewissen ausgerüsteten Nachkriegsgesellschaft. Er darf in Friedenszeiten, in den fetten Jahren, nicht verkommen.
Werner Vogt ist Unfallchirurg, Publizist, Mitbegründer der Arbeitsgemeinschaft „Kritische Medizin“ und Mitinitiator des Sozialstaats-Volksbegehren und war bis vor kurzem Wiener Pflege-Ombudsmann, er referierte beim Gesundheitsseminar 2006 des GLB
1. Zielvorstellungen:
a) Zugang und Nutzung der Gesundheitseinrichtungen für alle in der Republik lebenden Bürger/Innen.
b) Grundversorgung (was soll das sein?) für alle Staatsbürger, Vollversorgung für Zusatzversicherte, für Junge und Arbeitsfähige, für Anständige und Tüchtige. 2. Es beherrscht seit Jahrzehnten das gesundheitsökonomische Denken die gesundheitspolitische Planung. Demnach ist das alte, solidarische System teuer, ineffektiv, der Sozialstaat eine latente Gefahr für einen guten Staatshaushalt. Das neue, abgeschlankte System ist günstig und effektiv, eröffnet dem freien Markt und der Wirtschaft neue Chancen. Es ist auf eine bestimmte Art gerecht, orientiert sich an der „Selbstschuldtheorie“.
3. Im Jahre 1999 betrugen die Ausgaben für das österr. Gesundheitssystem (Zugang für 99 Prozent der Bevölkerung) 8,2 Prozent des Bruttoinlandproduktes (BIP). Diese Zahl beruht auf Erhebungen der Weltbank in Washington und ist ident mit jener des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger in Wien. Gesundheitsstaatssekretär Waneck beruft sich nun auf eine neue Studie des Industriewissenschaftlich Institutes(IWI) der Wirtschaftsuniversität Wien, wonach Österreich 10,9 Prozent des BIP ausgibt, nur noch von den USA mit 13 Prozent (versorgt nicht einmal die Hälfte seiner Bevölkerung, zig Millionen Menschen sind unversichert) übertroffen wird. Jene, die einen schlanken Sozialstaat wünschen, also die Neoliberalen und die unbarmherzigen Katholiken in der Wenderegierung, jubeln über die gute neue Zahl, der Hauptverband schweigt.
4. Ich entscheide mich für das sozialmedizinische Idealmodell, für den Zugang und die Vollversorgung für alle in der Republik lebenden Menschen. Finanziert soll es werden durch Beiträge und durch Steuern, wobei, wie bisher, Arbeitgeber und Arbeitnehmer zur Finanzierung beizutragen haben. Gewinnbesteuerung und Wertschöpfungsabgabe sowie Aufhebung der Höchstbeitragsbemessungsgrundlage sind weitere Instrumente zur Finanzierung der Gesundheitssicherung. Nur eine gesunde Bevölkerung garantiert Chancengleichheit und Wohlstand für alle. Da Selbstbehalte die Solidaridee (alle zahlen, wer braucht erhält) und den Sozialpakt (Arbeitgeber und Arbeitnehmer finanzieren gemeinsam die Gesundheitssicherung) unterlaufen, sind sie zu beseitigen. Sie betrugen 1999 bereits 9,9 Milliarden Schilling, sind weiter gestiegen. Die Ambulanzgebühr, der Musterselbstbehalt der Wenderegierung ist gesundheitspolitisch sinnlos (keine Umlenkung),ökonomisch bedeutungslos, da sie das System verteuert, sie ist aber eine autoritäre Maßnahme. Sie verordnet Patientenwege, unterläuft die freie Arztwahl.
5. Natürlich ist es sinnvoll und richtig, die Kosten im Gesundheitssystem angemessen niedrig zu halten. Medizin auf höchstem Niveau ist billig, schlechte und schlecht organisierte Versorgung treibt die Kosten in die Höhe und ist darüber hinaus lebensgefährlich. Die Allgemeine Unfall Versicherungsanstalt beweist seit Jahrzehnten, dass durchgängige Unfallheilbehandlung und Primärprävention am Arbeitsplatz die Kosten minimiert und die Invalidität senkt, also die Effektivität durch Qualität steigert. Die AUVA hat bisher jährlich Überschüsse in Milliardenhöhe erwirtschaftet. Dies wird von der Wenderegierung verschwiegen. Sie entnimmt zwar die Überschüsse. reduziert die Beiträge und fordert eine Zusammenlegung mit den angeblich so maroden Krankenkassen. Absicht: eine gute Struktur, dazu noch gewinnbringend, verdirbt die Botschaft von der Unfinanzierbarkeit des Sozialstaates. Würde man die Krankenversorgung so organisieren wie die Unfallversorgung, wäre das Nulldefizit im Gesundheitssystem bald hergestellt.
6. Wer Gesundheitsversorgung sinnvoll planen will, muss zunächst das Instrumentarium der Epidemiologie benützen. Es muss die regionale Verteilung von Krankheiten und Leiden erforscht werden, um die Zahl und die Struktur von Gesundheitseinrichtungen festlegen zu können. Die in Österreich, vor allem in den ländlichen Regionen, herrschende Fehl-und Unterversorgung im ambulanten Bereich (Psychiatrie, Augenheilkunde, Orthopädie, Frauenheilkunde) muss durch Planung beseitigt werde. Vielleicht muss auch das System der Niederlassungsfreiheit bei Kassenärzten fallen. Wiederum: gute, geplante, durchgängige Versorgung senkt die Kosten und erhöht die Lebenserwartung.
7. Seit Jahrzehnten wird über Patientenrechte nachgedacht, aber nicht die einfachsten Rechte werden verwirklicht. Wenn wir dazu übergehen, alle Informationen, Daten, Befunde, Röntgenbilder als Eigentum des Patienten zu betrachten, sie ihm selbstverständlich übergeben, werden wir wiederum Kosten senken, da wir Mehrfacherhebungen verhindern. Wir werden auch die Sicherheit des Patienten im Gesundheitssystem erhöhen. Ein gut informierter Patient kann sich vor Fehlbehandlungen besser schützen als ein ahnungsloser Patient.
8. Die Diskussion über das Pensionsantrittsalter entgleist hierzulande stets sehr bald in eine Sozialschmarotzerdebatte. Es werden ganze Berufsstände regelmäßig diffamiert, ja gemobbt: die Eisenbahner, die Postler, die Beamten, die Lehrer. Früher gab es ausreichend Belege, dass Beruf und Lebenserwartung, dass Arbeit und Erkrankungsrisiko in einem unmittelbaren Zusammenhang stehen. Eine Krankenschwester, die seit Abschluss der Pflichtschule Schwerarbeit verrichtet, durch Jahrzehnte Nacht- und Wochenenddienste leistet, sollte spätestens mit 55 Jahren in Pension gehen dürfen ohne von einem Politiker oder Journalisten angepöbelt zu werden. Es sollten die Arbeitgeberverbände dafür sorgen, dass eine objektive Beurteilung über ein notwendiges Pensionsantrittsalter möglich wird. Das würde auch die falsche und daher ungerechte „Selbstschuldtheorie“ vernichten.
9. Wer erkrankt oder verunfallt ist in Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit beeinträchtigt, verliert seine soziale Rolle und ist isoliert, ist selbst und mit seinen Angehörigen existentiell bedroht, hilfsbedürftig(Uexküll/Wesiack, Theorie der Humanmedizin).Gesundheitsversorgung und soziale Absicherung sind durch zwei verschiedene Bürokratien vertreten. Das erschwert den Zugang zu Leistungen ganz erheblich, da ja der Erkrankte in der Wahrnehmung seiner Rechte ohnehin schwer behindert ist. Es ist ein Gebot der Menschlichkeit, die beiden Bürokratien zusammenzulegen. Das erleichtert dem Erkrankten oder Verletzten den Zugang zu Rechten und zur Existenzsicherung und senkt zudem Verwaltungskosten, da langwierige Abgrenzungsprozeduren entfallen.
10. Das Recht auf optimale Gesundheitssicherung und Versorgung ist ein Menschenrecht. Es sollte daher, im Rahmen der Sozialstaatsicherung, sowohl in der österreichischen wie in der europäischen Verfassung verankert werden. Der Sozialstaat ist die zur Struktur erstarkte Nächstenliebe, ist gut organisierte Solidarität. Er war das wesentliche Merkmal der armen, aber mit Gewissen ausgerüsteten Nachkriegsgesellschaft. Er darf in Friedenszeiten, in den fetten Jahren, nicht verkommen.
Werner Vogt ist Unfallchirurg, Publizist, Mitbegründer der Arbeitsgemeinschaft „Kritische Medizin“ und Mitinitiator des Sozialstaats-Volksbegehren und war bis vor kurzem Wiener Pflege-Ombudsmann, er referierte beim Gesundheitsseminar 2006 des GLB