Der wilde Osten
- Montag, 26. Juni 2006 @ 13:35
Von Armin Delacher
Seit Anfang Februar bin ich in Bulgarien. Ich habe ein Projekt als Konsulent an Land gezogen. Ich mag Land und Leute, es gefällt mir hier. An den ständigen leichten Kopfschmerz gewöhnt man sich. Bulgarien ist ein schönes Land. In vieler Hinsicht faszinierend. In vieler Hinsicht weit hinter westeuropäischen Standards, in vieler Hinsicht uns weit voraus. Das Leben hier ist abenteuerlich. Fast romantisch. Pferdefuhrwerke in den Straßen - nicht für Touristen sondern als Erwerbsquelle der glücklicheren, weil wohlhabenderen Sinti und Roma. Hier heißen sie noch Zigeuner und man spricht ihren Namen auf eine Art und Weise aus, die man bei uns kaum noch hört.
Die weniger glücklichen durchstöbern mit ihren selbst gezimmerten Handkarren den Müll auf der Suche nach Wiederverwertbarem, oder verdingen sich auf Tagelohnbasis als Straßen- und Müllkehrer. Man erkennt sie an den orangen Schutzwesten über ihrer straßenstaub-grauen Alltagskleidung, den billigen Strohbesen und großen Plastiktüten (nicht Säcken) unterschiedlichster, meist baumarktartiger Herkunft.
Die Grünflächen - und von denen gibt es eine ganze Menge in Sofia - sind übersät mit Plastikabfall. Beziehungsweise waren – in den Wochen nach der Schneeschmelze wird dieser eingesammelt und in netten kleinen, fröhlich vor sich hinstinkenden Häufchen feuertechnisch entsorgt - da wo er anfällt.
Daher der Kopfschmerz, daher eine etwas unreine Haut, daher leichte Probleme mit der Atmung. Aber daran gewöhnt man sich. Ebenso wie an den Umstand, dass der Herr der hier in Sofia für den Müll verantwortlich ist, (unter anderem) einen Maybach fährt und - wie man spricht - seiner Freundin kürzlich eine Yacht schenkte.
Doch zurück zur Romantik. Es gibt hier Straßenhunde in rauen Mengen. Kläffend des Nachts seit der Schneeschmelze, tagsüber friedlich in der Gegend lungernd. Von unterschiedlichster Rasse und Größe, Farbe und Herkunft. Meist ausnehmend friedlich. Die Zeiten als eine Prämie pro Fell, Ohr oder Pfote ausgesetzt war sind zum Glück vorbei.
Dann gibt es hier Löcher in den Straßen! ... Die hiesigen Motorradfahrer sind Virtuosen! Sich fortbewegen ist generell ein Abenteuer. Im Auto, öffentlich, zu Fuß. Des Nachts dank der spärlichen Beleuchtung. Teils tun sich metertiefe Abgründe unvermittelt im Gehsteig auf, wenn Kanal- oder sonstige Schachtabdeckungen fehlen oder mehr Loch als Deckung sind. Teilweise ragen abgebrochene Armierungen, Verankerungen, Metallteile unbestimmter Herkunft und ursprünglicher Funktion aus dem Boden und man wundert sich nicht mehr, dass man auf den Straßen, abseits der Schulhöfe kaum herumtobende, herum tollende Kinder sieht.
Auch die öffentlichen Verkehrsmittel sind ein Erlebnis. Die Busfahrer ursprünglich alles Bomberpiloten der hiesigen Armee. Der Ursprung erklärt warum die Busse am liebsten im Konvoi (2, 3, 4 Busse derselben Linie) zu möglichst unregelmäßigen Zeiten auftreten. Und auch den Fahrstil: Ziel - sprich Haltestelle - ungefähr anvisieren, mit Vollgas darauf zuhalten, leicht abbremsen wenn in Sprung - sprich Reichweite, Luken auf, Fracht abwerfen uuuund durchstarten.
Ich bin 40, ich finde das lustig. Darüber hinaus ist Taxi fahren sehr günstig und wem das nicht passt kann ja Maybach fahren. Und schließlich der Umgang mit EU-Offiziellen. Auch dieser ein Erlebnis. In mehrerer Hinsicht. Zum einen wie sich diese hier geben, ganz Landlord, ganz Konquistadores, ganz jene Art von Rittern die man noch aus Zeiten des DDR-Ausverkaufs im Gedächtnis hat. Zum anderen wie hier auf diese eingegangen wird. Voller Bewunderung, voller Faszination, offenen Mundes, staunend und voller Bereitschaft zu lernen. Und tatsächlich haben diese Herren (ich habe von keiner Frau gelesen) einiges zu lehren.
Neulich las ich in einer lokalen Internetpublikation vom Besuch einer EU-Sozialpartner-Delegation bestehend aus Industrievertretern. Dass diese offiziellen EU-Vertreter teilweise mit ganz konkreten eigenen Wirtschaftsinteressen sprich Firmen und Projekten hierzulande zugange sind scheint selbstverständlich, nicht weiter erwähnens-, bzw. keines Kommentars wert, die Chuzpe mit der diese EU-Vertreter Tipps geben wie, wofür und womit man am besten, schnellsten und umfangreichsten zu EU-Förderungen zum eigenen Wohle kommt ist bewundernswert. Die Mischung aus drohen - "wenn ihr nicht dafür Sorge tragt, dass das Lohnniveau so bleibt - gehen wir halt in die Ukraine" - und locken - "holt Euch - Ihr gebt uns - wir zeigen Euch," ... richtig schön gruselig.
Gruselig wie die Einkommensverhältnisse die diesen offiziellen EU-Vertretern so sehr am Herzen liegen. Ein Durchschnittseinkommen beträgt hier zwischen 150 und 200 Euro im Monat. Durchschnitt. Natürlich kann man hier sehr günstig leben. Ein Bier kostet im Lokal 60 Cent, eine Pizzaschnitte ebenso, für 3 Euro kann man nett essen - einerseits. Andererseits kosten 10 dag Parmesan 5 Euro, 1 Liter Milch (in westeuropäischer Qualität) 2, ähnliche Relationen gelten für Butter, Käse, Fisch, Oliven, Olivenöl, ... .
Wer wie in Westeuropa essen, trinken, sich pflegen und leben will - zahlt auch wie in Westeuropa - teilweise erheblich mehr. Aber natürlich tangiert das unsere Herren EU-Vertreter wenig. Geschäftsführer und Spitzenmanager verdienen auf Westeuropäischem Niveau. Ist schon klar, dass einige solche Verhältnisse (auch bei uns) toll finden und wollen. Die Frage ist: Wollen wir das?
Delacher Armin, geb. 1965, Wien, Studium Geschichte, Tätigkeiten als Arbeiter, Angestellter, Freiberufler, zuletzt Projektmanager, Mitglied der GPA, Mitarbeit bei der Plattform für kämpferische und demokratische Gewerkschaften
Seit Anfang Februar bin ich in Bulgarien. Ich habe ein Projekt als Konsulent an Land gezogen. Ich mag Land und Leute, es gefällt mir hier. An den ständigen leichten Kopfschmerz gewöhnt man sich. Bulgarien ist ein schönes Land. In vieler Hinsicht faszinierend. In vieler Hinsicht weit hinter westeuropäischen Standards, in vieler Hinsicht uns weit voraus. Das Leben hier ist abenteuerlich. Fast romantisch. Pferdefuhrwerke in den Straßen - nicht für Touristen sondern als Erwerbsquelle der glücklicheren, weil wohlhabenderen Sinti und Roma. Hier heißen sie noch Zigeuner und man spricht ihren Namen auf eine Art und Weise aus, die man bei uns kaum noch hört.
Die weniger glücklichen durchstöbern mit ihren selbst gezimmerten Handkarren den Müll auf der Suche nach Wiederverwertbarem, oder verdingen sich auf Tagelohnbasis als Straßen- und Müllkehrer. Man erkennt sie an den orangen Schutzwesten über ihrer straßenstaub-grauen Alltagskleidung, den billigen Strohbesen und großen Plastiktüten (nicht Säcken) unterschiedlichster, meist baumarktartiger Herkunft.
Die Grünflächen - und von denen gibt es eine ganze Menge in Sofia - sind übersät mit Plastikabfall. Beziehungsweise waren – in den Wochen nach der Schneeschmelze wird dieser eingesammelt und in netten kleinen, fröhlich vor sich hinstinkenden Häufchen feuertechnisch entsorgt - da wo er anfällt.
Daher der Kopfschmerz, daher eine etwas unreine Haut, daher leichte Probleme mit der Atmung. Aber daran gewöhnt man sich. Ebenso wie an den Umstand, dass der Herr der hier in Sofia für den Müll verantwortlich ist, (unter anderem) einen Maybach fährt und - wie man spricht - seiner Freundin kürzlich eine Yacht schenkte.
Doch zurück zur Romantik. Es gibt hier Straßenhunde in rauen Mengen. Kläffend des Nachts seit der Schneeschmelze, tagsüber friedlich in der Gegend lungernd. Von unterschiedlichster Rasse und Größe, Farbe und Herkunft. Meist ausnehmend friedlich. Die Zeiten als eine Prämie pro Fell, Ohr oder Pfote ausgesetzt war sind zum Glück vorbei.
Dann gibt es hier Löcher in den Straßen! ... Die hiesigen Motorradfahrer sind Virtuosen! Sich fortbewegen ist generell ein Abenteuer. Im Auto, öffentlich, zu Fuß. Des Nachts dank der spärlichen Beleuchtung. Teils tun sich metertiefe Abgründe unvermittelt im Gehsteig auf, wenn Kanal- oder sonstige Schachtabdeckungen fehlen oder mehr Loch als Deckung sind. Teilweise ragen abgebrochene Armierungen, Verankerungen, Metallteile unbestimmter Herkunft und ursprünglicher Funktion aus dem Boden und man wundert sich nicht mehr, dass man auf den Straßen, abseits der Schulhöfe kaum herumtobende, herum tollende Kinder sieht.
Auch die öffentlichen Verkehrsmittel sind ein Erlebnis. Die Busfahrer ursprünglich alles Bomberpiloten der hiesigen Armee. Der Ursprung erklärt warum die Busse am liebsten im Konvoi (2, 3, 4 Busse derselben Linie) zu möglichst unregelmäßigen Zeiten auftreten. Und auch den Fahrstil: Ziel - sprich Haltestelle - ungefähr anvisieren, mit Vollgas darauf zuhalten, leicht abbremsen wenn in Sprung - sprich Reichweite, Luken auf, Fracht abwerfen uuuund durchstarten.
Ich bin 40, ich finde das lustig. Darüber hinaus ist Taxi fahren sehr günstig und wem das nicht passt kann ja Maybach fahren. Und schließlich der Umgang mit EU-Offiziellen. Auch dieser ein Erlebnis. In mehrerer Hinsicht. Zum einen wie sich diese hier geben, ganz Landlord, ganz Konquistadores, ganz jene Art von Rittern die man noch aus Zeiten des DDR-Ausverkaufs im Gedächtnis hat. Zum anderen wie hier auf diese eingegangen wird. Voller Bewunderung, voller Faszination, offenen Mundes, staunend und voller Bereitschaft zu lernen. Und tatsächlich haben diese Herren (ich habe von keiner Frau gelesen) einiges zu lehren.
Neulich las ich in einer lokalen Internetpublikation vom Besuch einer EU-Sozialpartner-Delegation bestehend aus Industrievertretern. Dass diese offiziellen EU-Vertreter teilweise mit ganz konkreten eigenen Wirtschaftsinteressen sprich Firmen und Projekten hierzulande zugange sind scheint selbstverständlich, nicht weiter erwähnens-, bzw. keines Kommentars wert, die Chuzpe mit der diese EU-Vertreter Tipps geben wie, wofür und womit man am besten, schnellsten und umfangreichsten zu EU-Förderungen zum eigenen Wohle kommt ist bewundernswert. Die Mischung aus drohen - "wenn ihr nicht dafür Sorge tragt, dass das Lohnniveau so bleibt - gehen wir halt in die Ukraine" - und locken - "holt Euch - Ihr gebt uns - wir zeigen Euch," ... richtig schön gruselig.
Gruselig wie die Einkommensverhältnisse die diesen offiziellen EU-Vertretern so sehr am Herzen liegen. Ein Durchschnittseinkommen beträgt hier zwischen 150 und 200 Euro im Monat. Durchschnitt. Natürlich kann man hier sehr günstig leben. Ein Bier kostet im Lokal 60 Cent, eine Pizzaschnitte ebenso, für 3 Euro kann man nett essen - einerseits. Andererseits kosten 10 dag Parmesan 5 Euro, 1 Liter Milch (in westeuropäischer Qualität) 2, ähnliche Relationen gelten für Butter, Käse, Fisch, Oliven, Olivenöl, ... .
Wer wie in Westeuropa essen, trinken, sich pflegen und leben will - zahlt auch wie in Westeuropa - teilweise erheblich mehr. Aber natürlich tangiert das unsere Herren EU-Vertreter wenig. Geschäftsführer und Spitzenmanager verdienen auf Westeuropäischem Niveau. Ist schon klar, dass einige solche Verhältnisse (auch bei uns) toll finden und wollen. Die Frage ist: Wollen wir das?
Delacher Armin, geb. 1965, Wien, Studium Geschichte, Tätigkeiten als Arbeiter, Angestellter, Freiberufler, zuletzt Projektmanager, Mitglied der GPA, Mitarbeit bei der Plattform für kämpferische und demokratische Gewerkschaften