Schäbige Demagogie mit der Arbeitslosigkeit
- Montag, 17. April 2006 @ 12:16
Von Hubert Schmiedbauer
Zwei Millionen neue Arbeitsplätze pro Jahr will die EU-Administration „schaffen“. So hörte man es kürzlich. Was ist da dran? Zwanzig Millionen sind in der EU arbeitslos. Was die Regierungen dagegen tun, zeigen die aktuellen Beispiele aus Deutschland und Frankreich: Weniger Einkommen durch Erhöhung der Mehrwertsteuer. Verstärkte soziale Unsicherheit. Den Unternehmern noch mehr Rechte zur Ausbeutung der Arbeitskraft einräumen. Und nun die pathetisch vorgetragene Kundmachung des österreichischen Ratsvorsitzenden von den jährlich zwei Millionen neuen Arbeitsplätzen.
Übrigens: Wenn die Konjunkturerholung im Euro-Raum auch die Konsumnachfrage erfasst, könnte die Arbeitslosigkeit von 8,6 auf 8 Prozent sinken, meint das WIFO. Grob gerechnet wären das 1,6 Millionen Arbeitslose weniger, aber nicht der EU-Bürokratie, sondern der Massenkaufkraft gedankt.
Es ist nicht bekannt, welche Höflichkeitsrücksichten die Regierungsvertreter der Narrenfreiheit österreichischer RegierungspolitikerInnen gewährt haben, von denen der EU-Ratsvorsitz zum Vorwahlkampf programmiert worden war. Aber sehen wir nach, was die beiden österreichischen Institute WIFO und IHS – die Beratungsorgane der Regierung – zu sagen haben.
Hoffnungsvoll optimistisch – wenn...
Die Lage in Österreich wird hoffnungsvoll optimistisch eingeschätzt. Steigende Produktion, steigende Investitionen, leicht rückgängige Arbeitslosigkeit, Reallohnzuwächse, daher mehr Einnahmen im Sozialsystem und für den Finanzminister, und noch einiges mehr.
Aber „die Prognose beruht auf relativ optimistischen Annahmen“, räumt das WIFO ein und zählt unter anderem auf: kein weiterer Anstieg der Erdölpreise; kaum ein Anstieg der kurz- und langfristigen Zinssätze; die Konjunktur in den USA sackt nicht ein; in Österreich wird mehr investiert; die privaten Haushalte geben das Geld aus anstatt zu sparen.
Und nun vom Optimismus zur Realität:
Aus verschiedenen Ursachen bleiben die Rohölpreise weiterhin hoch und „die Risken für einen weiteren Preisauftrieb sind deutlich größer einzuschätzen als jene für eine Entspannung“ (WIFO-Bericht).
Die Europäische Zentralbank werde die Zinsen erhöhen müssen, es seien zwei, drei kleine Schritte anzunehmen (IHS-Chef Felderer). Nach einer Zinsanhebung um einen halben Prozentpunkt vor einigen Monaten rechnet das WIFO mit einem zusätzlichen Zinsschritt von einem Viertelprozentpunkt.
„In den USA war das Wirtschaftswachstum Ende 2005 enttäuschend“, des weiteren „könnte das hohe Defizit in der Leistungsbilanz das Wachstum – auch der Weltwirtschaft – gefährden“; die Zinssätze wurden seit 2003 stark angehoben, „davon sind die hochverschuldeten Haushalte merklich betroffen“ (WIFO).
In Österreich haben sich die Ausrüstungsinvestitionen trotz hoher Exportnachfrage und Anstiegs der Produktion bis zuletzt nicht erholt, stellt das WIFO fest. Könnte nicht vermutet werden, dass die Konzerne ihre Supergewinne (die Wertschöpfung soll heuer abermals um fünf Prozent steigen) anders verplanen – vor allem die Kfz-Zulieferindustrie wird heuer von den Vorziehkäufen in Deutschland profitieren, während 2007 durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer der Absatz einbrechen dürfte, mit unwägbaren Auswirkungen auf Österreich.
Knackpunkt: Kaufkraft
Im Euro-Raum bleibt die Schwäche der Konsum-Nachfrage das zentrale Problem, zum fünften Male liegen die Ausgaben der privaten Haushalte unter dem langjährigen Durchschnitt. Ursache ist die gedämpfte Entwicklung der verfügbaren Einkommen, verstärkt durch die ungünstige Lage auf dem Arbeitsmarkt und die Ankündigung weiterer Kürzungen im Sozialbereich (WIFO). Woher also kommen neue Arbeitsplätze?
Bleibt noch die Hoffnung auf stärkeren Massenkonsum in Österreich. Durch etwas höhere Lohnabschlüsse im Herbst 2005 und geringeren Preisauftrieb 2006 „könnte die Konjunkturerholung einen wesentlichen Schritt vorankommen“ – wenn „die Erwartungen der privaten Haushalte stabilisiert werden und der Sparanteil am verfügbaren Einkommen nicht weiter steigt“.
Tatsache ist, dass die Arbeitslosigkeit in Österreich nicht zurückgehen wird, abgesehen von den paar tausend zusätzlichen Schulungsteilnehmern, die nicht mitgezählt werden. Tatsache ist, dass ein überwiegender Teil „neuer“ Arbeitsplätze Teilzeit (für Frauen) heißt. Tatsache ist, dass die Regierung keine Mittel für wachstums- und arbeitsplatzrelevante Budgetteile zur Verfügung stellt, wie es WIFO-Chef Aiginger verlangt.
Viel Grund zum Optimismus ist also nicht gegeben. Vor allem deshalb, weil die Gegenkraft einer aktiven Gewerkschaftsbewegung auf einem historischen Tiefpunkt angelangt ist. Optimismus herrscht bei den Unternehmern. Sie hoffen auf ein verschärftes Regime der „Sozialpartnerschaft“. „Sozial ist, wer Arbeit gibt“, höhnte kürzlich ein Unternehmervertreter, und das angesichts täglicher Ankündigungen massenhafter Personalreduktionen in den Konzernen und Banken...
Hubert Schmiedbauer ist Journalist in Wien
Aus: „Die Arbeit“ 2/2006
Zwei Millionen neue Arbeitsplätze pro Jahr will die EU-Administration „schaffen“. So hörte man es kürzlich. Was ist da dran? Zwanzig Millionen sind in der EU arbeitslos. Was die Regierungen dagegen tun, zeigen die aktuellen Beispiele aus Deutschland und Frankreich: Weniger Einkommen durch Erhöhung der Mehrwertsteuer. Verstärkte soziale Unsicherheit. Den Unternehmern noch mehr Rechte zur Ausbeutung der Arbeitskraft einräumen. Und nun die pathetisch vorgetragene Kundmachung des österreichischen Ratsvorsitzenden von den jährlich zwei Millionen neuen Arbeitsplätzen.
Übrigens: Wenn die Konjunkturerholung im Euro-Raum auch die Konsumnachfrage erfasst, könnte die Arbeitslosigkeit von 8,6 auf 8 Prozent sinken, meint das WIFO. Grob gerechnet wären das 1,6 Millionen Arbeitslose weniger, aber nicht der EU-Bürokratie, sondern der Massenkaufkraft gedankt.
Es ist nicht bekannt, welche Höflichkeitsrücksichten die Regierungsvertreter der Narrenfreiheit österreichischer RegierungspolitikerInnen gewährt haben, von denen der EU-Ratsvorsitz zum Vorwahlkampf programmiert worden war. Aber sehen wir nach, was die beiden österreichischen Institute WIFO und IHS – die Beratungsorgane der Regierung – zu sagen haben.
Hoffnungsvoll optimistisch – wenn...
Die Lage in Österreich wird hoffnungsvoll optimistisch eingeschätzt. Steigende Produktion, steigende Investitionen, leicht rückgängige Arbeitslosigkeit, Reallohnzuwächse, daher mehr Einnahmen im Sozialsystem und für den Finanzminister, und noch einiges mehr.
Aber „die Prognose beruht auf relativ optimistischen Annahmen“, räumt das WIFO ein und zählt unter anderem auf: kein weiterer Anstieg der Erdölpreise; kaum ein Anstieg der kurz- und langfristigen Zinssätze; die Konjunktur in den USA sackt nicht ein; in Österreich wird mehr investiert; die privaten Haushalte geben das Geld aus anstatt zu sparen.
Und nun vom Optimismus zur Realität:
Aus verschiedenen Ursachen bleiben die Rohölpreise weiterhin hoch und „die Risken für einen weiteren Preisauftrieb sind deutlich größer einzuschätzen als jene für eine Entspannung“ (WIFO-Bericht).
Die Europäische Zentralbank werde die Zinsen erhöhen müssen, es seien zwei, drei kleine Schritte anzunehmen (IHS-Chef Felderer). Nach einer Zinsanhebung um einen halben Prozentpunkt vor einigen Monaten rechnet das WIFO mit einem zusätzlichen Zinsschritt von einem Viertelprozentpunkt.
„In den USA war das Wirtschaftswachstum Ende 2005 enttäuschend“, des weiteren „könnte das hohe Defizit in der Leistungsbilanz das Wachstum – auch der Weltwirtschaft – gefährden“; die Zinssätze wurden seit 2003 stark angehoben, „davon sind die hochverschuldeten Haushalte merklich betroffen“ (WIFO).
In Österreich haben sich die Ausrüstungsinvestitionen trotz hoher Exportnachfrage und Anstiegs der Produktion bis zuletzt nicht erholt, stellt das WIFO fest. Könnte nicht vermutet werden, dass die Konzerne ihre Supergewinne (die Wertschöpfung soll heuer abermals um fünf Prozent steigen) anders verplanen – vor allem die Kfz-Zulieferindustrie wird heuer von den Vorziehkäufen in Deutschland profitieren, während 2007 durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer der Absatz einbrechen dürfte, mit unwägbaren Auswirkungen auf Österreich.
Knackpunkt: Kaufkraft
Im Euro-Raum bleibt die Schwäche der Konsum-Nachfrage das zentrale Problem, zum fünften Male liegen die Ausgaben der privaten Haushalte unter dem langjährigen Durchschnitt. Ursache ist die gedämpfte Entwicklung der verfügbaren Einkommen, verstärkt durch die ungünstige Lage auf dem Arbeitsmarkt und die Ankündigung weiterer Kürzungen im Sozialbereich (WIFO). Woher also kommen neue Arbeitsplätze?
Bleibt noch die Hoffnung auf stärkeren Massenkonsum in Österreich. Durch etwas höhere Lohnabschlüsse im Herbst 2005 und geringeren Preisauftrieb 2006 „könnte die Konjunkturerholung einen wesentlichen Schritt vorankommen“ – wenn „die Erwartungen der privaten Haushalte stabilisiert werden und der Sparanteil am verfügbaren Einkommen nicht weiter steigt“.
Tatsache ist, dass die Arbeitslosigkeit in Österreich nicht zurückgehen wird, abgesehen von den paar tausend zusätzlichen Schulungsteilnehmern, die nicht mitgezählt werden. Tatsache ist, dass ein überwiegender Teil „neuer“ Arbeitsplätze Teilzeit (für Frauen) heißt. Tatsache ist, dass die Regierung keine Mittel für wachstums- und arbeitsplatzrelevante Budgetteile zur Verfügung stellt, wie es WIFO-Chef Aiginger verlangt.
Viel Grund zum Optimismus ist also nicht gegeben. Vor allem deshalb, weil die Gegenkraft einer aktiven Gewerkschaftsbewegung auf einem historischen Tiefpunkt angelangt ist. Optimismus herrscht bei den Unternehmern. Sie hoffen auf ein verschärftes Regime der „Sozialpartnerschaft“. „Sozial ist, wer Arbeit gibt“, höhnte kürzlich ein Unternehmervertreter, und das angesichts täglicher Ankündigungen massenhafter Personalreduktionen in den Konzernen und Banken...
Hubert Schmiedbauer ist Journalist in Wien
Aus: „Die Arbeit“ 2/2006