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Wir müssen sparen, damit wir uns den Reichtum weniger leisten können

  • Freitag, 7. April 2006 @ 17:59
Meinung Von Alois Reisenbichler

Wir da unten ……

Selbst in St. Pölten wird die Zahl jener Menschen, die mit Schwarzarbeit und zum Teil mit Stehlen von Gütern des täglichen Bedarfs ihr wirtschaftliches Überleben sichern (müssen), größer. Wenig Lohn heißt wenig Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe, offene Rechnungen nicht bezahlt und Mahnklagen mit enormen Spesen folgen, woher das Geld für die Miete zum 1. nehmen, je härter der Konkurrenzkampf um jeden Job, desto schwerer für jene, die sich ohnehin schon schwer tun. Oder Gespräche mit jenen ArbeiterInnen, deren Werk ins Ausland verlagert wurde und die verzweifelt sind: ihre hohe Qualifikation und ihre gute Arbeit ist auf einmal – marktwirtschaftlich gesehen – wertlos geworden. Nicht zu vergessen: der ganz normale Druck und Stress am Arbeitsplatz wird immer schärfer, Besonders benachteiligt sind die Frauen sowie ausländische Kolleginnen und Kollegen, die noch dazu in der Rechtsaußen-Propaganda als Sündenböcke missbraucht werden.

Die da oben …….

Schlagzeilen wie zum Beispiel „OMV Gewinn verdoppelt“ (1,5 Mrd. Euro 2005) sind bekannt, während die Lohnquote (der Anteil der Unselbständigen) seit den 80er Jahren zurückgeht.

In Österreich teilt sich das oberste Einkommenszehntel 26 Milliarden Euro im Jahr 2003, das sind knapp 30 % der gesamt ausbezahlten Löhne und Gehälter. Das unterste Einkommensfünftel, also doppelt so viele Menschen, erhält mit in Summe knapp 2,1 Milliarden Euro nur 2,3 % der gesamten Lohn- und Gehaltsumme.

Oder das oberste Prozent der Bevölkerung besitzt ein Drittel des Vermögens, die nächsten 9 Prozent das weitere Drittel – also 10 % der ÖsterreicherInnen haben zwei Drittel des Vermögens.

Und dann kommen die ExpertInnen der Wirtschaft und der ihnen hörigen Wirtschaftswissenschaft und Presse, die uns tagtäglich einreden: jeder ist seines Glückes Schmied (vielleicht auch jede ihres Glückes Schmiedin), privatisieren, sparen, deregulieren, Rechte und Sozialstaat abbauen, dafür vielleicht die Almosen von gütigen Wohlhabenden …

Löhne, Arbeitsrecht und Sozialstaat sind in fast allen Ländern in einem Wettlauf nach unten – Skandinavien und Frankreich orientiert sich an Österreich, wir an Osteuropa, die wieder an den Schwellenländern wie Indien und diese wieder an China und die wieder an …

Warum werden die Armen immer ärmer

Bei der Analyse der Ursachen gibt es unter sozial engagierten Christinnen und Christen unterschiedliche Meinungen:

Ein Teil, der wohl in der Gesellschaft größer und im christlichen Bereich kleiner wird, sieht die Schuld vor allem bei den Betroffenen. Viele denken, dass die Folgen der neoliberalen Globalisierung nur Fehler eines an sich guten, technologisch innovativen und effizienten Wirtschaftssystems sind, die halt mit wenigen Maßnahmen korrigiert werden könnten.

Ich persönlich halte mich an jene Analyse, die Weltversammlung der Evangelischen Kirche H.B. in Accra im August 2004 formuliert hat: „Die tieferen Wurzeln dieser massiven Bedrohung des Lebens liegen vor allem in einem ungerechten Wirtschaftssystem, das mit politischer und militärischer Macht verteidigt und geschützt wird.“ Das kapitalistische Wirtschaftssystem, in dem nicht der Mensch im Mittelpunkt steht, sondern der Gewinn einer immer kleiner werdenden Zahl von Menschen weltweit, ist zutiefst inhuman.

Wer hat Interesse?

Der wichtigste erste Schritt ist eine wirtschaftliche Alphabetisierung: Wer hat Interesse? Wer gewinnt? Wer verliert? Wem dient der Konkurrenzkampf? Und es kommt auf die Perspektive an – aus der Sicht der AktienbesitzerInnen sind steigende Aktienkurse dank der Meldung über die Kündigung vieler ArbeiterInnen eine sehr gute Nachricht, aber wie geht es jenen, die ihren Arbeitsplatz verlieren?

Wir müssen global denken – die Entscheidungen der Welthandelsorganisation WTO betreffen nicht nur die Armen im Süden, sie verändern das Leben der Menschen in Lilienfeld und Herzogenburg genauso wie in Maputo und Brasilia. Die Politik der EU, die von den nationalen Regierungen beschlossen wird, betrifft unseren Alltag.

Die Beratungen in WTO und EU müssen öffentlich sein, schließlich ist es ja nicht der Privatklub einiger Herren und noch weniger Damen. Die Politik der internationalen Institutionen und der nationalen Regierungen müssen aus der Perspektive der kleinen Leute beleuchtet werden – wie es schon das Sozialstaatsvolksbegehren mit der Sozialverträglichkeitsprüfung forderte.

Privatisierung der öffentlichen Unternehmungen hat Folgen: für ein privates Postunternehmen macht es keinen Sinn, im Waldviertel täglich Briefe zuzustellen oder billige Zeitungstarife anzubieten, damit jede Pfarre günstig das Pfarrblatt verschicken kann. Und wenn einmal Bildung, Wasser, Sozialversicherung und Gesundheitsversorgung privatisiert werden, werden nicht nur der sprichwörtliche Brief aufgegeben, sondern auch die Menschen und ihre Schicksale. Wenn man sich nur an Effizienz und wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit orientiert, wozu braucht eine alte Oma noch eine teure Chemotherapie und Operation, wenn sie ohnehin bald stirbt. Nach der Logik des neoliberalen Kapitalismus!

Wenn immer mehr Arbeitsverhältnisse geschaffen werden, wo die schwer errungenen Arbeitsrechte mit flexiblen Verträgen gestrichen werden, wird auch der Druck auf jene im „Normalarbeitsverhältnis“ immer größer.

Beispiele für eine andere Richtung

Wir brauchen keinen Standortwettbewerb zu Lasten der Mehrheit in eigentlich allen Ländern. Wir müssen die Umverteilung von unten NACH oben weltweit und in den einzelnen Ländern, auch in Österreich stoppen.

Warum müssen die Gewinne steigen und steigen – die ArbeiterInnen mit ihren Lohnforderungen jedoch maßvoll sein?

Statt Wettlauf nach unten verbindliche Mindeststandards im Sozial- und Arbeitsrecht ebenso bei den Gewinnsteuern, die Einführung der Tobintax (die genauso selbstverständlich sein sollte wie die Umsatzsteuer auf einen Liter Milch).

Die gesetzliche Wochenarbeitszeit ist seit Mitte der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts bei 40 Stunden, die Produktivität jedoch jedes Jahr enorm gestiegen. Arbeitszeitverkürzung statt Verlängerung der Arbeitszeit ist die einzige Chance, damit wirklich alle Arbeitswilligen wieder einen Arbeitsplatz bekommen. Den Konflikt zwischen jenen, die auf eine Verteilung der Arbeit orientieren, und jenen, die mit einem Basislohn jedem und jeder eine Mindestgrundlage zum Überleben schaffen wollen, müssen wir in einer Forderung nach einer Neuverteilung von Arbeit und Einkommen auflösen.

Wir brauchen die Pflichtversicherung in der Sozialversicherung, die wirklich allen Menschen einen Zugang zu jener sozialen und medizinischen Versorgung gewährt, die er / sie braucht. Eine Wertschöpfungsabgabe bringt die dringend benötigten Finanzmittel.

Diese Vorschläge sind noch lange nicht vollständig und sollen nur die Richtung einer Politik angeben, in der das Wohlergehen der sozial Schwächsten nicht nur in Sonntagsreden beschworen wird, sondern im politischen Alltag gelebt wird. Als Kompass gegen die herrschende neoliberale Politik kann auch das Sozialwort des Ökumenischen Rates der Kirchen dienen (www.sozialwort.at), das wichtige Reformen aufzeigt.

Solidarität und alles geht

Aus der Geschichte der ArbeiterInnenbewegung wissen wir – nur gemeinsam können wir etwas verändern. Solidarität in einem Betrieb, in Österreich und weltweit ist der einzige Weg, um jene Gegenmacht zu organisieren, die den menschenverachtenden Entscheidungen von Weltfinanzinstitutionen, multinationalen Konzernen und mit ihnen „verhaberten“ PolitikerInnen entgegentritt und ein mehr an sozialer Gerechtigkeit durchsetzt. Die weltweite Bewegung der Sozialforen, Demonstrationen in vielen Ländern des Südens, Aktionen gegen Sozialabbau in EU-Staaten wie in Frankreich, GewerkschafterInnen und BetriebsrätInnen ebenso wie christliche Gruppen und Menschenrechtsorganisationen – eine andere, sozial gerechtere, friedlichere Welt ist möglich.

Der Artikel ist in der Zeitschrift der Betriebsseelsorge Traisental (Herzogenburg, Lilienfeld, St. Pölten) mit dem Schwerpunktthema „Wer arbeitet soll auch essen? Geld arbeitet“ erschienen. Ein Teil der Zeitschrift ist auch auf der Homepage der Betriebsseelsorge Herzogenburg veröffentlicht: http://www.kirche.at/stpoelten/pa_bs/untr/neu/