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Kurze Analyse der Streikbewegung 2003

  • Dienstag, 3. Juni 2003 @ 11:32
Geschichte Von Helmuth Fellner
BRVStv Maturaschule Roland Wien

1.Es war der umfassendste Streik, den es in Österreich je gegeben hat, sowohl was die Branchen (ziemlich alle waren vertreten), als auch was die Betriebe (über 18.000) wie auch die Gesamtzahl der TeilnehmerInnen (ca. 1.000.000) anbetrifft. ( Es gab in Österreich nie wirklich einen umfassenden Generalstreik.) 2.Es gab darüber hinaus eine hohe Akzeptanz bei weiteren Schichten der Lohnabhängigen und darüber hinaus (Kleingewerbetreibende, Bauern, bis ins mittlere Management der Betriebe...) Der Streik war also von der Bewusstseinslage weiter Schichten der Bevölkerung antimonopolistisch, tendenziell auch von der Zielrichtung: gegen einschränkende Sozialpolitik einer reaktionären Regierung im Interesse des (vor allem Finanz)kapitals in Akkordanz mit der Finanzpolitik der EU.

3.Es handelte sich um keinen direkten Arbeitskampf gegen die Unternehmer bzw. Unternehmen, sondern um eine Auseinandersetzung mit der Politik der reaktionärsten und unsozialsten Regierung der Zweiten Republik auf betrieblicher Ebene.

4.Der Streik hat den Unternehmen bzw. Unternehmern kaum Verluste gebracht, sie also nicht wirklich ökonomisch getroffen, daher hielt sich auch die Kritik von Seiten der Unternehmenskammern bzw. der Industriellenvereinigung in bescheidenen Grenzen.

5.Der Streik wurde von einer überwiegend sozialdemokratisch dominierten Gewerkschaft (mit Ausnahme der GÖD) gegen eine Regierung ohne Sozialdemokraten geführt, hatte also auch eine starke parteipolitische Komponente.

6.Die ÖGB-Führung wurde durch den Druck der Basis und der mittleren und unteren Funktionärsebene in den Einzelgewerkschaften zu Kampfmaßnahmen gedrängt. Ein Teil dieses Drucks wurde auch von GLB und KommunistInnen (vor allem betrieblich und gewerkschaftlich organisierten) mit aufgebaut. Wir haben also unseren Anteil am Entstehen des Streiks (und auch bei der Durchführung) geleistet.

7.Es handelte sich primär um einen Abwehrstreik, es sollte also der vorliegende Entwurf zu einer Pensions“reform“ verhindert werden, die Gewerkschaften brachten wenig eigene Vorstellungen bezüglich Pensionen und soziale Alterssicherung ein. Der von Gusenbauer in Diskussion gebrachte sozialdemokratische Pensionsentwurf ist ebenfalls sozial unausgewogen, ungerecht und einschränkend defensiv, daher abzulehnen.

8.Der ÖGB und seine Abteilungen haben beweisen, dass sie Kampf- und Abwehrmaßnahmen durchaus auch kreativ entwickeln und entfalten können. Dennoch war der Streik eine herbe Niederlage für die Gewerkschaften und die ArbeiterInnenbewegung.

9.Die Erfahrungen von Streiks und Kampfmaßnahmen sind für alle Beteiligten und Betroffenen äußerst wichtig, sie dringen in ihr individuelles wie kollektives Bewusstsein ein. Das erleichtert auch zukünftige Kämpfe und Kampfmaßnahmen.

10.Die ÖGB-Führung und die Führungen der Einzelgewerkschaften können in zukünftigen Auseinandersetzungen nicht mehr so leicht wie früher behaupten, dass die Gewerkschaftsfunktionäre ja Kampfmaßnahmen wollten, aber die Basis dafür nicht mobilisierbar sei.

11.Die ArbeiterInnenklasse kann also nach wie vor als veränderbares und veränderndes Subjekt der Geschichte und Gesellschaft gesehen werden, ihre herkömmlichen Organisationen haben bewiesen, dass sie keinesfalls tot sind oder ausgedient haben, sondern politische Macht haben. Der Ausbau des Einflusses der Marxisten, der Kommunisten in der ArbeiterInnenklasse und ihren gewerkschaftlichen Organisationen hat daher für die KPÖ höchste Priorität. Dazu ist nötig, möglichst viele KommunistInnen für eine gewerkschaftlich und politische Arbeit an ihren Arbeitsplätzen zu gewinnen.

12.Die Kritik auch innerhalb des ÖGB zeigt, dass nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft wurden: Sallmutter (GPA) kritisiert, dass andere Fachgewerkschaften nicht bereit sind, bei Aktionen den „öffentlichen Raum“ zu besetzen: Blockaden fielen aus, angekündigte „Großaktionen“ wie jene der GPA brachten nur wenige hundert AN auf die Beine.

13.Obwohl es sich de facto um eine Art Generalstreik gehandelt hatte, war die ÖGB-Führung nicht bereit, diesen Begriff auch in die Wagschale zu werfen. (Siehe Kritik von Willi Mernyi, Kampagnenleiter des ÖGB, auf dem ASF in Hallein). Hier obsiegte der Rückfall in Verzetnitschs frühere Position, dass ein Streik nur dann gerechtfertigt sei, wenn die Demokratie in Gefahr sei.

14.Der weitgehende Verzicht auf spektakuläre Aktionen (Besetzungen, Blockaden, Demonstrationen etc.) am 3. Juni erwies sich als demobilisierend innerhalb der AN.

15.Der Abbruch der Kampfmaßnahmen direkt nach Beschlussfassung im Parlament war ein großer Fehler des ÖGB, ist allerdings nicht nur der Rückzugstaktik der ÖGB-Granden geschuldet, sondern auch der Resignation der mittleren Ebene der Gewerkschaften und auch der BetriebsrätInnen, also jener, die ursprünglich Kampfmaßnahmen gepusht hatten.

16.Die Notwendigkeit einer weiteren Demokratisierung des ÖGB und seiner Gliederungen erweist sich als äußerst dringend. Kampfmaßnahmen und akkordierte Aktionen wie auch deren Ende bzw. Abbruch müssen Gegenstand und Inhalt von Betriebsrätekonferenzen und Urabstimmungen werden.

17.Die Diskussion über Misserfolge der Gewerkschaftsbewegung und deren Ursachen ist mindestens genauso wichtig wie Berichte über Erfolge, vor allem wenn es sich um umfassende Aktionen handelt. Gewerkschaftstage und Leitungssitzungen aller Ebenen müssen nicht zuletzt diesem Aspekt der innergewerkschaftlichen Diskussion dienen. Marxistische GewerkschafterInnen kommt dabei eine eminent wichtige politische Rolle zu.

18.Der versäumten Gelegenheit der Ausrufung eines Generalstreiks nachzutrauern, bringt allerdings nichts. Die bewiesene tatsächliche Stärke des ÖGB muss in künftigen Auseinandersetzungen (Lohnkämpfen, KV-Verhandlungen, gegen Zerstörung des Arbeits- und Sozialrechtes etc.) eingefordert werden.