Rastlose ArbeiterInnenbewegung, ratlose Sozialdemokratie
- Montag, 27. Februar 2006 @ 15:17
Von Thomas Rammerstorfer
Vorweg: Das Buch ist in seiner Faktenfülle bezüglich der Geschichte des Arbeitskampfs in deutschen Ländern wohl einzigartig und als solches zu empfehlen, allein weil nichts Vergleichbares existiert. Beginnend mit dem „ersten Arbeitskampf auf deutschen Boden“, dem Gürtlerstreik in Breslau 1329 spannt sich der Bogen bis zum Metallerstreik in Ostdeutschland 2003. In der detailreichen und mit zahlreichen Zitaten versetzten Schilderung von Arbeitskämpfen liegt zweifelsohne die Stärke des Buches. Der Streik der schlesischen Weber 1844 der MunitionsarbeiterInnenstreik 1918, der Generalstreik gegen den konterrevolutionären Kapp-Putsch 1920 - insgesamt werden 61 Arbeitskonflikte und deren politischen und juristischen Folgen geschildert. Dem Mut und der Kampfbereitschaft der ArbeiterInnenbewegung stehen oft haarsträubende Fehler und auch so manche erbärmliche Niederträchtigkeit v. a. der Gewerkschaftsspitzen, aber oft auch der breiten Masse der ArbeiterInnen gegenüber. Etwa, wenn wie 1914 einige rechtliche Verbesserungen und patriotische Phrasen ausreichen um die Gewerkschaften auf Kriegskurs zu bringen. Das deutsche Kriegsministerium nahm sich damals kein Blatt vor dem Mund: „Eine durchgreifende Beeinflussung der Arbeiter…wird am wirksamsten auf dem Weg gelingen, erst ihre Führung für eine Sache zu gewinnen, und dann diesen die Verbreitung des Gedankens unter den Verbandsmitgliedern zu überlassen.“ Es galt eben auch schon damals, nicht die Bedürfnisse der ArbeiterInnen zu befriedigen sondern sich auf das vergleichsweise günstigere Kaufen ihrer gewerkschaftlichen VertreterInnen zu beschränken. Der Vertrauensverlust den die sozialdemokratischen Gewerkschaften dadurch erfuhren war jedoch gigantisch – schon bis Februar 1916 hatten sie etwa 60 % ihrer Mitglieder verloren – viele wandten sich kommunistischen oder anarchosyndikalistischen Gewerkschaftsinitiativen zu (deren bloße Existenz Kittner in seinem Buch weitgehend ignoriert).
Die Darstellung der gegenwärtigen Situation der Gewerkschaftsbewegung offenbart dann die ganze Ratlosigkeit des orthodoxen Sozialdemokraten Kittner. Zwar nimmt er das Faktum zur Kenntnis, dass die Gewerkschaften seit der Jahrtausendwende einen gewaltigen Mitglieder- und Vertrauensverlust erleiden, folgt daraus aber keineswegs das dies etwas mit der anti-sozialen Politik von Rot-Grün und der mangelnden Gegenwehr des DGB zu tun haben könnte. Umständlich beklagt er, es gäbe „keinen Rückhalt für Gewerkschaften im Reich der Ideen“ ohne darauf zu kommen, dass vielmehr der fehlende Rückhalt für Ideen im Reich der Gewerkschaften ein Problem ist; folgerichtig fallen auch Themen wie die Forderung nach einem „arbeitslosen Grundeinkommen“ unter den (Verhandlungs-)Tisch. Das Ziel von Kittner wie der DGB-Spitze bleibt „Arbeit für alle“ und sei sie noch so sinnlos, schlecht oder auch gar nicht bezahlt. Das Buch endet schließlich mit einem Hinweis auf die von Franz Müntefering in Deutschland entfachte „Kapitalismus-Debatte“, „deren unerwartete Heftigkeit doch die Virulenz eines verbreiteten Bedarfs danach (belegt)“. Sozialdemokratischer kann man’s nicht formulieren.
„Arbeitskampf. Geschichte – Recht – Gegenwart“ von Michael Kittner, 783 Seiten/Euro 41,90/Beck 2005
Vorweg: Das Buch ist in seiner Faktenfülle bezüglich der Geschichte des Arbeitskampfs in deutschen Ländern wohl einzigartig und als solches zu empfehlen, allein weil nichts Vergleichbares existiert. Beginnend mit dem „ersten Arbeitskampf auf deutschen Boden“, dem Gürtlerstreik in Breslau 1329 spannt sich der Bogen bis zum Metallerstreik in Ostdeutschland 2003. In der detailreichen und mit zahlreichen Zitaten versetzten Schilderung von Arbeitskämpfen liegt zweifelsohne die Stärke des Buches. Der Streik der schlesischen Weber 1844 der MunitionsarbeiterInnenstreik 1918, der Generalstreik gegen den konterrevolutionären Kapp-Putsch 1920 - insgesamt werden 61 Arbeitskonflikte und deren politischen und juristischen Folgen geschildert. Dem Mut und der Kampfbereitschaft der ArbeiterInnenbewegung stehen oft haarsträubende Fehler und auch so manche erbärmliche Niederträchtigkeit v. a. der Gewerkschaftsspitzen, aber oft auch der breiten Masse der ArbeiterInnen gegenüber. Etwa, wenn wie 1914 einige rechtliche Verbesserungen und patriotische Phrasen ausreichen um die Gewerkschaften auf Kriegskurs zu bringen. Das deutsche Kriegsministerium nahm sich damals kein Blatt vor dem Mund: „Eine durchgreifende Beeinflussung der Arbeiter…wird am wirksamsten auf dem Weg gelingen, erst ihre Führung für eine Sache zu gewinnen, und dann diesen die Verbreitung des Gedankens unter den Verbandsmitgliedern zu überlassen.“ Es galt eben auch schon damals, nicht die Bedürfnisse der ArbeiterInnen zu befriedigen sondern sich auf das vergleichsweise günstigere Kaufen ihrer gewerkschaftlichen VertreterInnen zu beschränken. Der Vertrauensverlust den die sozialdemokratischen Gewerkschaften dadurch erfuhren war jedoch gigantisch – schon bis Februar 1916 hatten sie etwa 60 % ihrer Mitglieder verloren – viele wandten sich kommunistischen oder anarchosyndikalistischen Gewerkschaftsinitiativen zu (deren bloße Existenz Kittner in seinem Buch weitgehend ignoriert).
Die Darstellung der gegenwärtigen Situation der Gewerkschaftsbewegung offenbart dann die ganze Ratlosigkeit des orthodoxen Sozialdemokraten Kittner. Zwar nimmt er das Faktum zur Kenntnis, dass die Gewerkschaften seit der Jahrtausendwende einen gewaltigen Mitglieder- und Vertrauensverlust erleiden, folgt daraus aber keineswegs das dies etwas mit der anti-sozialen Politik von Rot-Grün und der mangelnden Gegenwehr des DGB zu tun haben könnte. Umständlich beklagt er, es gäbe „keinen Rückhalt für Gewerkschaften im Reich der Ideen“ ohne darauf zu kommen, dass vielmehr der fehlende Rückhalt für Ideen im Reich der Gewerkschaften ein Problem ist; folgerichtig fallen auch Themen wie die Forderung nach einem „arbeitslosen Grundeinkommen“ unter den (Verhandlungs-)Tisch. Das Ziel von Kittner wie der DGB-Spitze bleibt „Arbeit für alle“ und sei sie noch so sinnlos, schlecht oder auch gar nicht bezahlt. Das Buch endet schließlich mit einem Hinweis auf die von Franz Müntefering in Deutschland entfachte „Kapitalismus-Debatte“, „deren unerwartete Heftigkeit doch die Virulenz eines verbreiteten Bedarfs danach (belegt)“. Sozialdemokratischer kann man’s nicht formulieren.
„Arbeitskampf. Geschichte – Recht – Gegenwart“ von Michael Kittner, 783 Seiten/Euro 41,90/Beck 2005