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60 Jahre ÖGB – Ordnungs- oder Gegenmacht?

  • Freitag, 1. Juni 2007 @ 18:41
Geschichte Von Anton Hofer
GLB-Vorsitzender von 1970 bis 1989

Fast ebenso lang wie der ÖGB alt ist, ist Anton Hofer, ehemaliger NÖ Arbeiterkammerrat und Vorsitzender des Gewerkschaftlichen Linksblocks (GLB), Mitglied und Funktionär der österreichischen Gewerkschaftsbewegung. Anton Hofer versucht nachstehend, die vergangenen 60 Jahre ÖGB vom Standpunkt eines klassenbewussten Gewerkschafters, der die Politik der „Sozialpartnerschaft“ stets angelehnt und bekämpft hat, einzuschätzen. Der Sieg über den Faschismus 1945 öffnete das Tor für einen fortschrittlichen antiimperialistischen Weg Österreichs. Die Losung war: Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus. Die Gründung des einheitlichen ÖGB war dabei in mehrfacher Hinsicht von großer Bedeutung. Die neu geschaffene einheitliche Massen- und Klassenorganisation stellte sich fortschrittliche, beinahe revolutionäre Ziele.

I. Am Aufbau eines demokratischen, antifaschistischen Österreich teilzunehmen und
II. mitzuhelfen, eine Wirtschaft zu schaffen, die nicht mehr dem Profitstreben, sondern der planmäßigen Deckung des Bedarfs der Bevölkerung dienen sollte.

Der damalige erste Sekretär der Wiener Arbeiterkammer, Dr. Bruno Pittermann, schrieb am 28. Juni 1945 in der Zeitung des ÖGB „Der österreichische Arbeiter und Angestellte“: Den Weg zur Überwindung (des kapitalistischen Systems, Anm. d. Red.) weist uns der marxistische Sozialismus. Mit Hilfe der Vergesellschaftung aller Produktionsmittel und einer planmäßigen Erzeugung, die auf die Bedarfsdeckung gerichtet, die Güter der Welt auf alle möglichst gleichmäßig verteilt, kann eine störungsfreie Gleichmäßigkeit des Wirtschaftsablaufes erzielt werden.

In diesem Geist wurden auch in der ersten Zeit die gewerkschaftlichen Probleme unter den Gründer-Fraktionen (sozialistische, christliche und kommunistische) diskutiert. Dabei zählten das ARGUMENT und der KLASSENSTANDPUNKT, nicht die Fraktionszugehörigkeit.

Fraktionszugehörigkeit im Vordergrund

Aber schon nach den ersten Nationalratswahlen, wollte die SPÖ-Führung die Wahlergebnisse auf den ÖGB und die Gewerkschaften übertragen.

Adolf Schärf, SPÖ-Parteivorsitzender, schrieb in seinem Buch „Österreichs Erneuerung 1945-1955“: Die Bildung des überparteilichen Gewerkschaftsbundes auf der Grundlage der Dreieinigkeit von SPÖ-ÖVP-KPÖ machte mir mancherlei Sorgen.

Der nächste Schritt war, dass bereits im Herbst 1945 begonnen wurde in den Gewerkschaftsleitungen sozialistische Fraktionen zu organisieren. Mit der Fraktionsbildung Hand in Hand gingen das Preisgeben einer klassenorientierten Gewerkschaftspolitik und die Einengung der Demokratie. Die Fraktionsbildung war für die SPÖ notwendig, um ihre Funktionäre in die Großkoalitionäre Regierungs- und Kompromisspolitik einzubinden. Damit war der Weg frei zur Klassenzusammenarbeit, zur Politik der Sozialpartnerschaft.

Als ideologisches Instrument, um die Sozialpartnerschaft durchzusetzen und den kapitalistischen Wiederaufbau einzuleiten, wurde ein rabiater Antikommunismus entwickelt, der durch den beginnenden Kalten Krieg genährt wurde.

Der Beginn der „Sozialpartnerschaft“

Die Mittel zur Restaurierung des Kapitalismus durch die Regierung wurden aus den arbeitenden Menschen gepresst, das Werkzeug dazu waren die Lohn- und Preispakte. Für die Regierungskoalition galt es, den Widerstand der Lohn- und Gehaltsabhängigen zu brechen. Die sozialistische und christliche Fraktion in der ÖGB-Führung musste dabei mitspielen, und sie taten es. Johann Böhm, der damalige Präsident des ÖGBs, erfand die sogenannte Ast-Gemeinschaft und erklärte: Arbeiter und Unternehmer sitzen am selben Ast und wenn man den abschneidet, haben beide den Schaden und fallen herunter.

Große Teile der Lohn- und Gehaltsabhängigen ließen sich aber nicht so schnell disziplinieren. Der Widerstand gegen die Belastungspolitik wurde größer, Streikaktionen häufiger. So gab es zum Beispiel im Mai 1947 in 114 Betrieben in Wien und Umgebung Streiks. Aktionen gab es in den obersteirischen Großbetrieben, der Schuharbeiterstreik dauerte 60 Tage, usw. Die meisten Aktionen wurden so wie der September/ Oktoberstreik 1950 von der Gewerkschaftsführung nicht unterstützt, im Gegenteil, er wurde lange Zeit als kommunistischer Putschversuch diffamiert.

Das Wirken des GLB

Der GLB hat sich immer als Teil des ÖGBs verstanden und hat zur Verbesserung der Lage der Lohnabhängigen und zu ihrer Einbeziehung und Willensbildung viele Aktionen durchgeführt und Initiativen entwickelt, sowie zahlreiche Konzepte für soziale, ökonomische und demokratische Forderungen erarbeitet. Er hat sich nie mit den vorgefundenen gesellschaftlichen und sozialen Verhältnissen abgefunden. Der GLB hat immer versucht, unter Berücksichtigung des Bewusstseinstandes der Lohnabhängigen, die Zusammenhänge zwischen Detail- und Grundsatzfragen im Tageskampf zu erklären, um die Grenzen des Systems sichtbar zu machen. Ein besonderes Anliegen von mir als Vorsitzender des GLBs war daher, zur Hebung des Bewusstseins der Lohn- und Gehaltsabhängigen beizutragen, für die Stärkung der Solidarität zu wirken, wobei das Bemühen, Aktionseinheiten zu organisieren, im Vordergrund stand. Wir haben der von der ÖGB-Spitze betriebenen Politik der Sozialpartnerschaft, die zu einer Entideologisierung und Entsolidarisierung sowie zum gegenseitigen Ausspielen, ArbeiterInnen gegen Angestellte und öffentlich Bedienstete, Männer gegen Frauen und ÖsterreicherInnen gegen AusländerInnen, führt, eine Politik des gemeinsamen, solidarischen Handelns entgegen gestellt.

Es war daher richtig, dass sich der GLB die Aufgabe gestellt hat, als Sammelbecken klassenorientierter GewerkschafterInnen zur Durchbrechung der Sozialpartnerschaft zu wirken. Das Um und Auf der Tätigkeit muss daher auf das eigenständige Wirken in Betrieben und Dienststellen gerichtet sein. Das SELBST ETWAS TUN und nicht das bloße agieren oder fordern „der ÖGB oder der Verzetnitsch muss“ ist entscheidend für die Durchsetzung von Forderungen und den Aufbau und die Stärkung eines Klassenbewusstseins.

Veränderungen der Arbeiterklasse

Die Veränderung der Struktur der Arbeiterklasse in den vergangenen Jahren hat auch die gewerkschaftlichen Kampfbedingungen verändert. Flexibilisierung ist eine umfassende Sache. Es geht dabei nicht nur um eine Neugestaltung der Arbeitszeit. Flexibilisierung greift in alle gesellschaftlichen Bereiche ein. Flexibilisierung heute bedeutet Reduzierung der Einkommen, Abbau von Sozialleistungen, Einschränkungen im Gesundheitswesen, mehr und umfassendere Mobilität ohne Rücksicht auf die negativen Folgen, Einschränkung des Arbeitsrechts, Verschlechterungen der Arbeitnehmerschutzbestimmungen.

Das soziale Gesicht der modernen Arbeiterklasse wird durch seine innere Differenziertheit sowie durch seine vielfältigen Wechselbeziehungen mit anderen Werktätigen geprägt. Im Gefolge der Vertiefung der gesellschaftlichen Arbeitsteilung hat sich insbesondere durch die Ausweitung der Dienstleistungssphäre das soziale Bild, besonders durch die rasche Zunahme der Angestellten, gewandelt. Gleichzeitig geht das Industrie- gegenüber dem Dienstleistungsproletariat zurück. Es wächst die Differenzierung nach dem Grad der Qualifikation, da nach wie vor ein beträchtlicher Anteil an Un- und Angelernten existiert, die auch überdurchschnittlich von Arbeitslosigkeit betroffen sind. Chronische Massenarbeitslosigkeit und sozial diskriminierende elitäre Bildungspolitik verstärken die Differenzierungs- und Dequalifizierungsprozesse.

Nicht nur Abwehrkampf ist heute notwendig sondern der Kampf gegen dieses menschenunwürdige System!

Der GLB war in der Vergangenheit Schrittmacher in vielen Fragen. Seine Bedeutung bestand und besteht heute, entgegen der Politik der Sozialpartnerschaft, Kontinuität in gewerkschaftlichen Grundfragen zu bewahren. Gestützt auf unsere klassenorientierte Politik können wir den Gesamtzusammenhang der Kräfte, die in Österreich wirken, erklären. Das ist eine wichtige Voraussetzung für eine ideologische Aufrüstung der Gewerkschaftsbewegung. Unsere begrenzten Ziele, die wir uns stellen, können die Auswirkungen der Angriffe des Kapitals abschwächen. Aber wir dürfen uns nicht auf einen Abwehrkampf beschränken sondern diesen mit einer Entwicklung von Alternativen verbinden, um die Grenzen dieses Systems zu zeigen und deutlich zu machen, dass eine dauerhafte Beseitigung der Existenzgefährdung eine grundlegende Veränderung des System erfordert.

Der ÖGB muss aus seinem sozialpartnerschaftlichen Koma wachgerüttelt werden. Dem GLB kommt dabei eine wichtige Aufgabe zu. Gewerkschaften, die keine Alternativen zum heutigen globalen Kapitalismus entwickeln, die keinen Beitrag leisten, um den Kampf gegen dieses menschenunwürdige System zu organisieren, haben ihre Aufgabe verfehlt. Seit Karl Marx hat sich an der Richtigkeit dieser Einschätzung nichts verändert.

April 2005