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Öffentliche Daseinsvorsorge in der Perspektive der Linken und der Gewerkschaften

  • Samstag, 29. Oktober 2005 @ 18:33
Meinung Von Karin Antlanger
Juristin und Sozialpädagogin
BRV EXIT-sozial Linz
GLB-Bundesvorsitzende

Die Diskussion über die Demontage der öffentlichen Daseinsvorsorge hat auch in Österreich spätestens mit dem Maastricht-Vertrag 1992, also noch vor dem EU-Beitritt Österreichs, begonnen. Mit den vier Grundfreiheiten dieses Vertrages und den zahlreichen Liberalisierungsrichtlinien der EU wurden mehrfach die Schienen für die Zerschlagung dessen gelegt, was wir unter öffentlicher Daseinsvorsorge verstehen, nämlich - Die Grundversorgung der Menschen im Sinne von Wohnen, Wasser, Gesundheit, Sozialdiensten, öffentlichem Verkehr, Strom, Bildung, Kommunikation – also Teile des erkämpften Sozialstaates, die eine Teilhabe an der Gesellschaft für alle ermöglichen und sicherstellen.
- Diese Dienstleistungen sichern nicht nur den sozialen Zusammenhalt in einer Gesellschaft, sondern gewährleisten auch den Zugang aller (oder fast aller) Menschen einer Sozietät zu Versorgungsangeboten. Und zu diesem Zwecke mussten sie natürlich dem Profitstreben des sog. freien Marktes entzogen werden.

Nun aber, in Zeiten eines schranken- und hemmungslosen Kapitalismus wird die Liberalisierung von jahrzehntelang in öffentlicher Hand befindlicher Leistungen und Einrichtungen forciert („Liberalisierung“ als positiv assoziierter Begriff?)

Hintergründe: Liberalisierung und Privatisierung sind einerseits in den Köpfen vieler Menschen durchaus zustimmungswürdig – frei nach dem Motto „mehr privat weniger Staat“, weil durch die bekannte Amtsmentalität oder auch durch Korruption und Pfründe, durch Parteibuchwirtschaft und Freunderlwirtschaft in der öffentlichen Meinung ein nicht unbeträchtlicher Imageverlust dieser öffentlichen Dienstleistungsunternehmen eingetreten ist.

Und zum anderen gibt es immer mehr überschüssiges Kapital, welches zur möglichst profitablen Kapitalverwertung auf den großen Markt der öffentlichen Leistungen drängt. (US-Versicherungen wg. Pensionen…)

Die restriktive Budgetpolitik der Kommunen, Länder, des Staates nach den Vorgaben des EU-Stabilitätspaktes begünstigt natürlich den Druck auf die öffentliche Hand:
- die mangelnde Finanzausstattung verschlechtert das Angebot der öffentlichen Dienste
- nun wird eine Spirale in Gang gesetzt
- der Ruf nach Wettbewerb wird laut
- es folgen Ausgliederungen und Privatisierung
- damit verbunden dann die Forderung nach Eigenvorsorge (Pflegeversicherung, Studienversicherung…)
- und das Ganze vor dem Hintergrund des Totschlagarguments der Unfinanzierbarkeit…

Auswirkungen

Die Auswirkungen der Liberalisierung u. Privatisierungen sind bekannt:
- mehr Arbeitsdruck für die Beschäftigten in diesen Sektoren bzw. Vernichtung von Arbeitsplätzen und Lohn- und Sozialabbau
- für die Bevölkerung bedeutet dies meist höhere Tarife, Leistungseinschränkungen oder schlechtere Qualität der Leistungen (z.B. Öffis) und oftmals eine Infragestellung der Versorgungspflicht
- und für die Politik einen Verlust von Mitsprache, Entscheidungsmöglichkeit und demokratischer Kontrolle

Stand der Diskussion innerhalb der Linken in Österreich:

Linke in Österreich nicht vergleichbar mit BRD – der Wahlerfolg macht uns Mut, auch wenn wir immer ein wenig länger brauchen, bis es in unsere Bergtäler bzw. Wiener Kaffeehäuser durchsickert.

Der Angelpunkt des letzten Jahres war selbstverständlich die Auseinandersetzung rund um die Dienstleistungsrichtlinie. Hier gibt es auch in Ö. eine breite Ablehnung, die von KPÖ und GLB über die sozialdemokratisch dominierten Arbeiterkammern und den ÖGB und die Armutskonferenz bis hin zu Teilen der Wirtschaftskammer reicht. Sowohl die sozialdemokratischen Spitzen des ÖGB und der Arbeiterkammern waren in der Diskussion bisher sehr bemüht, jeglichen Zusammenhang zwischen Bolkestein-Richtlinie und EU-Verfassung zu bestreiten. Hier liegen sie ganz auf der Linie des EGB, der in seinem Aufruf für die Demo in Brüssel im Frühling doch glatt zuwege brachte, einerseits die Dienstleistungsrichtlinie abzulehnen und im selben Aufruf für die EU-Verfassung zu mobilisieren!

Ganz so, als ob die vier Grundfreiheiten und der schrankenlose Wettbewerb, die ja in der einem neoliberalen Wirtschaftskonzept verpflichteten EU-Verfassung festgeschrieben sind, nichts mit der Liberalisierung öffentlicher Daseinsvorsorge zu tun hätten.

Die Spitzen des ÖGB legen nun, nach den Referenden in Frankreich und den Niederlanden, ihren Schwerpunkt auf die Forderung „Für ein soziales Europa, für eine Sozialunion“ und meinen, dass mit der Aufnahme eines sozialen Grundrechtskatalogs in diese Verfassung und die Verhinderung der Dienstleistungsrichtlinie die EU-Wirtschaftspolitik grundsätzlich zu ändern sei.

Als besonders problematisch aus Gewerkschaftssicht sehe ich die Tatsache, dass viele sozialdemokratische GewerkschaftsfunktionärInnen gleichzeitig auch politische Mandate in den Kommunen, Ländern oder im Nationalrat innehaben und dort auch für die Liberalisierung der öffentlichen Dienste stimmen. Große Lippenbekenntnisse in den Gewerkschaftsgremien – aber dann wenn es konkret wird, ordnen sie sich plötzlich sog. Sachzwängen unter.

In Österreich ist der bereits in den 80-er Jahren eingeleitet Prozess der Liberalisierung ebenfalls schon weit fortgeschritten: neben der Zerschlagung der verstaatlichten Industrie – Ausgliederung von Bahn, Post und Telekom, wobei die Telekom schon teilprivatisiert ist und die Post jetzt an die Börse gebracht werden soll. Die ÖBB wurde durch eine systematische Zergliederung im letzten Jahr in ein Desaster gebracht.

Als linke GewerkschafterInnen haben wir diese Entwicklungen von Anfang an scharf kritisiert und in allen Gremien, bei allen Zusammenkünften und in den Betrieben und in unseren Publikationen darauf aufmerksam gemacht.

Wir sind uns aber bei der Verteidigung der öffentlichen Dienste auch deren Mängel bewusst und sehen auch manche Fehlentwicklungen. Eine zeitgemäße und zukunftsorientierte Modernisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge ist sicherlich notwendig (z.B. Kindergartenöffnungszeiten…)

Wichtig ist uns dabei aber der Vorrang des öffentlichen oder gesellschaftlichen Eigentums an den öffentlichen Dienstleistungseinrichtungen. Weiters ist die demokratische Einbindung der KonsumentInnen ein zeitgemäßes Erfordernis (Schluss mit k.u.k. Hofbeamtenmentalität) Demokratisierung der öffentlichen Dienste!

Die Kostenfrage bzw. die Frage der Finanzierbarkeit darf nicht das einzige Kriterium für die Aufrechterhaltung einer Leistung der öffentlichen Daseinsvorsorge sein: es geht vielmehr auch darum, was die Gesamtwirkung einer Leistung ist. (Pflegefälle nach Polen auslagern? was ist der Gesellschaft z.B. soziale Arbeit wert? Oder ist der öffentliche Verkehr zu teuer – Umwegrentabilität)

Vision einer Sozialunion?

Von unseren sozialdemokratischen KollegInnen wird uns immer wieder nahe gelegt, wir müssten in Richtung einer Sozialen EU gehen. Ein europäisches Sozialmodell existiert aber bislang nicht. Und dies ist auch in einer EU, die rein monetäre Prioritäten hat, auch nicht möglich.

Um eine Sozialunion erreichen zu können, sind völlig andere Grundlagen notwendig: Beschäftigung bzw. soziale Sicherheit und gesellschaftliche Teilhabe für alle und damit natürlich auch ein Bekenntnis zu einer Grundversorgung im öffentlichen Eigentum. Und um dies umsetzen zu können, bedarf es eines „anderen Europas“.

Redebeitrag von Karin Antlanger beim PDS-Gewerkschaftskongress zum Thema „Soziale Daseinsvorsorge auf dem Weg zur Börse“ am 29. Oktober 2005 in Rüsselsheim