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60 Jahre und kein bisschen weiter

  • Mittwoch, 13. April 2005 @ 18:29
Meinung Von Karin Antlanger
Juristin und Sozialpädagogin
BRV EXIT-sozial Linz
GLB-Bundesvorsitzende

Die unendliche Frauengeschichte und die Gewerkschaften

An drei Indikatoren können wir auch heute ablesen, wie weit es um die Gleichstellung der Frauen aus Sicht der Gewerkschafterinnen bestellt ist: dabei geht es um „Uraltforderungen“, die nur scheinbar erfüllt sind, jedoch bei genauerer Betrachtung aktuell sind wie vor Jahrzehnten – allein die Verpackung der Probleme hat sich geändert, ist zeitgemäßer und ansehnlicher geworden, sodass die Probleme selbst nicht mehr so dringlich erscheinen wie vor 30 oder 40 Jahren. Dadurch gelang es auch immer wieder, Frauenfragen auf die lange Bank zu schieben, hintan zu reihen und, wenn überhaupt, nur halbherzig in Angriff zu nehmen. Billiglohnbranchen statt Frauenlohngruppen:
Bis in die 80-er Jahre gab es in etlichen Kollektivverträgen noch sogenannte Frauenlohngruppen. Diese brachten im Grunde genommen monetär zum Ausdruck, was auch in den Köpfen vieler Gewerkschafter durchaus akzeptiert war: für genau die gleichen Tätigkeiten wurden Frauen niedriger entlohnt als ihre männlichen Kollegen. Nicht eine niedrigere Stückzahl in der Produktion oder etwa eine Gewichtsbeschränkung beim Heben von schweren Lasten war ausschlaggebend für eine geringere Entlohnung, sondern ausschließlich die durch das zweite X-Chromosom angeordnete Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht!

Im Laufe der 80-er Jahre mussten jedoch unter dem Druck des gesellschaftlichen Umdenkens speziell in der Frauenfrage und vor allem unter dem Druck der Gewerkschafterinnen und der linken feministischen Frauenbewegung diese „Frauenlohngruppen“ aus den Kollektivverträgen gestrichen werden. Dies war nicht zuletzt auch den hartnäckigen Auseinandersetzungen der damaligen Frauenstaatssekretärin und späteren Frauenministerin Johanna Dohnal mit den österreichischen Gewerkschaften zu verdanken.

Rund 20 Jahre später ist aber die alte Forderung aus den 50-er Jahren nach gleichem Lohn für gleichwertige Arbeit noch nicht einmal annähernd erfüllt: nach wie vor wird davon ausgegangen, dass Arbeiten, die vor allem unter Einsatz von (männlicher) Muskelkraft geleistet werden, höher zu bewerten sind, als Arbeiten, zu denen Fähigkeiten und Fertigkeiten erforderlich sind, die landläufig Frauen zugeschrieben werden: psychische Belastbarkeit z. B. in der Pflege alter und kranker Menschen, Rund-um-die-Uhr-Einsetzbarkeit, sich ständiges Umstellen auf individuelle Besonderheiten werden Frauen selbstverständlich abverlangt.

Wenn sie dann noch zusätzlich z.B. in der mobilen Hauskrankenpflege mit den Körperausscheidungen der zu Betreuenden zu tun haben, dann wird ihnen auch noch die SEG-Zulage dafür mit dem Argument strittig gemacht, dass der Umgang mit Kot und Urin ja zu ihrem Berufsbild gehöre und somit keine besondere Erschwernis darstelle und damit auch nicht mit einer Zulage abzugelten sei.

Man(n) stelle sich vor, dass einem Kanalarbeiter die SEG-Zulage mit einer solchen Argumentation verweigert werden würde – da wär wohl der Teufel los! Oder etwa Bauarbeiter: sogar Zementsäcke sind vom Gewicht her genormt – Arbeitnehmerschutzvorschriften achten darauf, dass am Bau nicht zu schwer (25 kg) gehoben werden darf.

Anders etwa in der von Frauen dominierten Hauskrankenpflege: alte, pflegebedürftige Menschen, die oft das drei- oder vierfache wiegen, müssen von einer (meist weiblichen) Person alleine gedreht, gehoben, gewaschen etc. werden.

Selbstverständlich gibt es für solche Branchen, wie z.B. die Sozial- und Gesundheitsberufe oder auch die Textilbranche zwar heute keine Frauenlohngruppen mehr, dafür aber Kollektivverträge, die von den Gehältern her so niedrig angesiedelt sind, dass sie eine gesamte Branche zur Billiglohnbranche verkommen lassen.

Womit wir beim alten Thema der geschlechterbezogenen Einkommensdifferenzen bleiben:

Einkommensschere öffnet sich immer weiter.
Die ÖGB-Frauen haben erst vor kurzem eine Kampagne gestartet: „Ganzer Lohn statt halber Sachen. Machen wir die Schere zu!“ Seit Jahrzehnten ist es Thema sämtlicher gewerkschaftlicher Grundsatzpapiere, in denen spezifische frauenrelevante Fragen thematisiert werden, dass die Einkommensschere zwischen Männer- und Frauenlöhnen bzw. -gehältern immer weiter auseinanderklafft. Durch

das Festschreiben von billigen Frauenbranchen über Kollektivverträge, in denen bei einer wöchentlichen Normalarbeitszeit von 40 Stunden noch immer Löhne weit unter € 1.000,-- brutto monatlich mit Zustimmung der Gewerkschaften akzeptiert werden (wie z.B. in der Textilbranche), oder
die billige Flexibilisierung der Arbeitszeit über Kollektivverträge, indem etwa die Samstagsarbeit völlig zuschlagsfrei als Normalarbeitszeit gilt (KV für Gesundheits- und Sozialberufe) oder
derselbe KV die Möglichkeit einräumt, die tägliche Normalarbeitszeit (zuschlagsfrei) auf bis zu 24 Stunden auszudehnen
Frauen meist nur noch mit Teilzeitjobs od. geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen abgespeist werden
Frauen auch heute oft noch immer als „Dazuverdienerinnen“ gesehen werden: noch bis zum Anfang der 80-er Jahre wurden berufstätige verheiratete Frauen als „Doppelverdienerinnen“ bezeichnet. Wenn diese Bezeichnung zwar heute nicht mehr verwendet wird, so wird sie doch noch weiter „mitgedacht“. Wie sonst könnten (meist männliche) Gewerkschafter für überwiegend weibliche Arbeitnehmerinnen Gehälter aushandeln, von denen eine alleine kaum leben kann, geschweige denn etwa eine Frau mit Sorgepflichten für Kinder?
Vollzeit, Teilzeit, Halbzeit, Auszeit – Frauen in der Arbeitszeitfalle:
Die letzte Arbeitszeitverkürzung auf 40 Stunden pro Woche ist nun schon 30 Jahre her. Die auf vielen Gewerkschaftskongressen beschlossenen Forderungen nach Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich (auf 35 Stunden bzw. zum Teil auch auf weniger) sind angesichts der dreisten Forderungen der Industriellenvereinigung und der aktuellen Entwicklungen in Deutschland derzeit kaum noch das Papier wert, auf dem sie festgehalten sind.

Abgesehen davon, dass mit der Verschlechterung unseres Pensionssystems auch für Frauen die Lebensarbeitszeit um zumindest 5 Jahre bereits verlängert wurde, nützt Frauen meist nur die Verkürzung der täglichen Normalarbeitszeit (NAZ) nachhaltig im Hinblick auf die Vereinbarkeit von Beruf und Privatem.

Die Verkürzung der wöchentlichen NAZ ohne gleichzeitiger Verkürzung der täglichen NAZ bringt Frauen relativ wenig, da sie dann zwar möglicherweise eine etwas längeres Wochenende haben, wenn sie am Freitag Mittag die Arbeit beenden. Aber selbst dies ist in den meisten „Frauenbranchen“, wie z.B. im Handel, Gesundheit u. Soziales, Hotel-Gastgewerbe etc. dann auch nicht drin. In diesen Branchen setzt man ja vollends auf Flexibilisierung.

Aber genau diese Flexibilisierung bis hin zu 24 Stunden am Stück verhindert die Vereinbarkeit von Beruf u. Privatem endgültig. Auch für 12-Stunden-Dienste gibt es kaum Kindereinrichtungen und auch samstags und sonntags wissen berufstätige Alleinerziehende oft nicht, wo sie ihre Kinder betreuen lassen können.

Lange Jahre haben sowohl ÖGB-Frauen als auch SPÖ-Frauen das Recht auf Teilzeitarbeit gefordert, um damit die Vereinbarkeit von Betreuungspflichten u. Berufstätigkeit von Frauen herstellen zu können. Nun wurde die Rechnung serviert: bereits mehr als 600.000 Frauen sind teilzeitbeschäftigt. Die Einkommensschere klafft weiter auseinander denn je und an die Anpassung der Öffnungszeiten der Kindereinrichtungen an die Arbeitszeiten der Eltern wird nach wie vor nicht gedacht, da „eh fast alle Mütter Teilzeit arbeiten“.

Erst die jüngsten Einkommensstatistiken ließen auch die ÖGB-Frauen wieder aus ihrem Dornröschenschlaf erwachen und von ihrer Forderung nach mehr Teilzeitarbeitsplätzen für Frauen abgehen. Speziell nach der Pensions“reform“ ist klar zu erwarten, dass Frauen mit längeren Berufspausen und langer Teilzeitbeschäftigung die großen Verliererinnen sein werden: sie müssen mit Pensionen weit unter der Armutsgrenze rechnen – entweder als Ausgleichszulagenbezieherinnen oder als Frauen, die auf die Pension ihres Lebenspartners angewiesen sind.

Wir sind also auch nach 60 Jahren ÖGB in der Frauenfrage kaum weitergekommen!

Nach wie vor ist das maßgerechte Mensch männlich, weiß, mit Muskelkraft arbeitend
Nach wie vor ist Kinderbetreuung in erster Linie Frauensache, weshalb Frauen Teilzeit arbeiten, längere Berufspausen machen und daher auch für die gesamten Gesundheits-, Sozial- und Pflegeberufe zuständig sind
Frauen sind immer noch die „Dazuverdienerinnen“, die den Männern nicht die Vollzeitarbeitsplätze wegnehmen sollen.
Sie sind noch immer die industrielle Reservearmee, die heute bei Bedarf mehr und mehr in prekarisierte Arbeitsverhältnisse abgedrängt werden. Im Gegensatz zu früher gibt es halt „geringfügige Beschäftigungsverhältnisse“ und in absehbarer Zukunft auch „Dienstleistungsschecks“ – dies ändert nichts an der Tatsache der doppelten Ausbeutung der weiblichen Arbeitskraft.