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Was ist der Gesellschaft soziale Arbeit wert?

  • Samstag, 1. Januar 2005 @ 18:25
Meinung Von Karin Antlanger
Juristin und Sozialpädagogin
BRV EXIT-sozial Linz
GLB-Bundesvorsitzende

Notwendige Anmerkungen zum BAGS-KV

Außer Streit steht, dass ein Kollektivvertrag grundsätzlich das bedeutendste Instrument der Lohn- und Gehaltspolitik im Sinne eines überbetrieblichen Interessenausgleiches zwischen ArbeitnehmerInnen und ArbeitgeberInnen ist. Die Festlegung von branchenspezifischen Mindeststandards war auch bisher ein wesentliches Anliegen der BetriebsrätInnen der unterschiedlichsten Sozial- und Gesundheitsbetriebe.

Misstrauen war jedoch bereits zu Beginn der Verhandlungen vor fünf Jahren angebracht, da mit der Gründung der Arbeitgebervereinigung ersichtlich war, dass das primäre Ziel auf Arbeitgeberseite eine Neusegmentierung des spätestens seit der Einführung des Pflegegeldes entstandenen „sozialen Marktes“ war. (Bezeichnend ist auch, dass dieser Kollektivvertrag ausgerechnet nach der ArbeitgeberInnenvereinigung benannt wurde.)

Direktor Gruber (BFI-BBRZ) sprach es bei einer Diskussionsveranstaltung sehr deutlich aus: “Wir brauchen diesen Kollektivvertrag, um die Marktanteile für die Unternehmen zu sichern.“ Die großen Anbieter von Sozial- und Gesundheitsdiensten wollten einen Kollektivvertrag, der es ermöglicht, ihre Reviere nicht zuletzt in Hinblick auf die EU-Osterweiterung und den Binnenmarkt zu sichern und auszubauen. Von Anfang an stand für sie die Frage der Eingrenzung der Kosten im Vordergrund, wobei unter Kosten fast ausschließlich Löhne und Gehälter zu verstehen sind, da diese Branche eine höchst personalintensive ist - und – eine Frauendomäne!

Die ArbeitgeberInnen haben ihre Sache gut gemacht. Sie haben im Großen und Ganzen einen Kollektivvertrag verhandelt, der eine neue Niedriglohnbranche für Frauen festschreibt, die Arbeitszeiten flexibilisiert, ja sogar das Günstigkeitsprinzip bezüglich bestehender Betriebsvereinbarungen punktuell aufhebt. Die Gewerkschaften ihrerseits feiern es als Riesenerfolg, dass sie EU-weit die Ersten sind, die einen bundesweiten Kollektivvertrag für private Gesundheits- und Sozialdienste abgeschlossen haben. Allerdings war der Preis – im Gegensatz zur Gehaltstafel - hoch:

In vielen Betrieben haben die BetriebsrätInnen sich jahrelang dafür eingesetzt, dass einigermaßen arbeitszeitgesetzkonform gearbeitet wird: Waren früher oft Dienste bis zu 24 oder sogar 36 Stunden in manchen Turnusdiensten üblich, so wurde dies doch weitgehend abgestellt. Der BAGS-KV hingegen ermöglicht nun über Betriebsvereinbarungen eine Ausdehnung der täglichen Normalarbeitszeit (NAZ) auf bis zu 24 Stunden. Das heißt, dass für solche 24-Stunden-Dienste auch keine Überstundenzuschläge zu bezahlen sind.

Die Gehaltstafeln sehen neun zum Teil sehr willkürlich zusammengestellte berufliche Verwendungsgruppen vor, wobei selbst in der höchsten Verwendungsgruppe niemals jemand die Höchstbemessungsgrundlage erreichen kann – auch dann nicht, wenn sie/er als AkademikerIn bis zum 100. Geburtstag im Betrieb tätig ist. Alleine im heurigen Jahr liegt das laut BAGS-KV höchstmögliche Gehalt um 177 Euro unter der Höchstbe­messungsgrundlage.

Die Anrechnung von einschlägigen Vordienstzeiten erfolgt erst nach einer Dauer des Arbeitsverhältnisses von sechs Monaten. Österreichweit besteht in dieser Branche eine hohe Fluktuation, d.h., dass im Schnitt die ArbeitnehmerInnen alle drei Jahre den Arbeitsplatz wechseln. Die Anwendung dieser Regelung bedeutet, dass im Durchschnitt die ArbeitnehmerInnen zehn bis 15 Jahre ihres Erwerbslebens zum Grundgehalt arbeiten, was sich auch auf andere Ansprüche wie Krankengeld, Arbeitslosengeld und vor allem die Pension zusätzlich minimierend auswirkt.

Aus den obigen Punkten ist auch abzuleiten, dass dieser Kollektivvertrag auch keineswegs dem Verfahren des Gender-Mainstreamings unterzogen wurde. Da dies gegen Ende der KV-Verhandlungen im Nachhinein praktisch nicht mehr möglich war, begnügte man(n) sich mit der Einholung eines Gender-Gutachtens durch eine Expertin und behauptet nun, dass alle Punkte daraus noch in der Letztfassung berücksichtigt wurden. Bis heute konnte mir noch niemand von Gewerkschaftsseite erklären, wie die Erkenntnisse aus dem Gender-Gutachten in den Kollektivvertrag Eingang gefunden haben...

Angeblich werden österreichweit etwa 60 Prozent der in der vom Kollektivvertrag Betroffenen auf Perspektive davon profitieren und etwa ein Drittel Verschlechterungen erfahren. Aber damit die 60 Prozent nicht gleich allzu viel profitieren, haben sich die VerhandlerInnen noch eine spezielle „Lösung“ einfallen lassen: Lediglich in Westösterreich (OÖ, Sbg., Tirol, Vbg.) soll die Gehaltstafel mit 2004 zur Gänze angewendet werden. Für die anderen Bundesländer gelten sogenannte Startsituationen, d.h. dass z.B. Wien mit 98 Prozent, Steiermark und Kärnten mit 96 Prozent und Niederösterreich und Burgenland mit 95 Prozent und alle Kindergarten- und HortpädagogInnen gar mit 92 Prozent der BAGS-Gehaltstafel bis Ende 2008 das Auslangen finden müssen. Erst ab 2009 wird in diesen Bundesländern in sieben Teilschritten auf 100 Prozent angehoben. Erst 2014 soll in allen Bundesländern 100 Prozent der BAGS-Gehaltstafel bezahlt werden.

Auch die Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit auf 38 Stunden wird in vier Jahresschritten eingeführt, wodurch keinerlei Arbeitsplatzwirksamkeit zu erwarten ist, sondern vielmehr eine Steigerung der Arbeitsintensität und dadurch der Belastungen, was wiederum einen Qualitätsverlust befürchten lässt.

Mit dem Endergebnis, dass die Gehaltstafel für 2004 nicht valorisiert wurde (was für alle NeueinsteigerInnen einem zusätzlichen Reallohnverlust auf Lebenszeit gleichkommt) und einer Ist-Erhöhung von 1,7 Prozent für alle bestehenden Dienstverhältnisse ab 1.1.2004 haben die Gewerkschaften schlussendlich einen kapitalen Bock geschossen: Der Kollektivvertrag tritt zwar erst mit 1.7.2004 in Kraft, jedoch wurde einzig die Bestimmung über die Ist-Erhöhung gleich mit 1.1.2004 in Geltung gesetzt – dies bei gleichzeitiger Außerkraftsetzung des sog. Günstigkeitsprinzips laut Arbeitsverfassungsgesetz. Im Klartext: Selbst wenn Einzelverträge oder gültige Betriebsvereinbarungen eine günstigere Regelung vorsehen (z.B. jährlich Gehaltsanpassung laut Handels-Kollektivvertrag oder analog zum Öffentlichen Dienst), haben ArbeitgeberInnen und Gewerkschaften beschlossen, dass diese günstigeren Gehaltsregelungen nicht mehr zur Anwendung kommen sollen.

Somit haben die ArbeitgeberInnen bei genauerer Betrachtung eigentlich weit mehr durchgesetzt, als sie im Sommer gefordert hatten: Damals verlangten sie, nochmals vier Prozent vom Gesamtvolumen des Kollektivvertrags runter zu nehmen. Die Gewerkschaften brachen daraufhin die Verhandlungen ab und beteuerten bei einer gesamtösterreichischen BetriebsrätInnenkonferenz im September, dass sie auf diese Forderungen keinesfalls eingehen wollen. Rechnen müsste man(n) halt können!