Resolution Bolkestein-Richtlinie
- Samstag, 30. April 2005 @ 18:04
Widerstand gegen die Bolkestein-Richtlinie!
Mitte Februar schien es Grund zum Aufatmen zu geben: In Brüssel kursierten Gerüchte, dass EU-Binnenmarktkommissar Charlie McCreevy den von seinem Vorgänger Frits Bolkestein im Januar 2004 vorgelegten Entwurf für eine EU-Dienstleistungsrichtlinie zurückziehen und gründlich überarbeiten werde. Die Freude währte jedoch nicht lang: Nach einem halben Tag stellte sich heraus, dass die Gerüchte nicht viel mehr- als heiße Luft waren. McCreevy hatte, nicht zuletzt aufgrund wachsenden Drucks aus Frankreich und Deutschland, nur verlauten lassen, dass er die Debatten im Europäischen Parlament intensiv verfolgen und die Kritik gegebenenfalls aufnehmen werde. Dies heißt nichts anderes, als dass das Legislativverfahren vorerst seinen normalen Gang weiter geht. Von vorzeitiger Überarbeitung des Vorschlags durch die Kommission - wie es angesichts des massiven Widerstands unterschiedlichster gesellschaftlicher Gruppen geboten wäre - keine Spur. Ungleiche Kritiker
In der Tat kommt es nicht häufig vor, dass derart unterschiedliche Interessengruppen in einer gemeinsamen Front der Ablehnung vereint sind: Vom Europäischen Gewerkschaftsbund bis zum Dachverband der europäischen Klein-und Mittelbetriebe UEAPME, von Wohlfahrtsverbänden bis Anwaltskammern, von der Bundesvereinigung Bauwirtschaft über die Handwerkskammer bis zum Rat der Gemeinden und Regionen Europas, von RWE Thames Water über den deutschen Bundesrat bis zum französischen Staatsrat, und seit neuestem sogar bis zum deutschen Bundeskanzler - die Liste der Kritiker ist lang und vereint Organisationen, die man im Normalfall selten gemeinsam für oder gegen eine Sache streiten sieht.
Befürworterlobbying
Eigentlich sollte ein derart befehdetes Projekt geringe Chancen auf Durchsetzung haben. Im Fall der Dienstleistungsrichtlinie wird jedoch mit härtesten Bandagen für die Umsetzung gekämpft. Denn zu ihren Befürwortern gehören die Lobbyorganisationen des europäischen Großkapitals: UNICE, die Union der Industrie- und Arbeitgeberverbände Europas, Eurochambers, der Dachverband der europäischen Industrie- und Handelskammern, AmCham, die Vertretung der in Europa tätigen US-Multis und natürlich der European Roundtable of Industrialists, die Industriellenlobby der Vorstandsvorsitzenden der 45 größten europäischen Konzerne. Sie alle betreiben massives Lobbying von Kommissions- und Parlamentsmitgliedern in Brüssel.
Herkunftslandprinzip
Das Interesse ist leicht verständlich. Zwar verweist die Richtlinie in ihrem Einleitungstext wiederholt auf kleine und mittlere Unternehmen als potentielle Nutznießer, in Wahrheit ist das Gesetzeswerk jedoch vollständig auf die Bedürfnisse multinational tätiger Dienstleistungskonzerne zugeschnitten. Dies vor allem aufgrund des geplanten "Herkunftslandprinzips". Während bisher europäische Konzerne den Gesetzen des Landes unterliegen, in dem sie tätig sind, sollen in Zukunft für sie EU-weit nur noch die Standards ihres Heimatlandes gelten - beziehungsweise des Landes, in dem der Briefkasten mit ihrer Hauptanschrift steht.
Gehinderte Kontrolle
Die Konsequenz lässt sich ausmalen. Große Bauunternehmen werden ihren Firmensitz in das EU-Land mit den geringsten Sicherheitsanforderungen und Arbeitsschutznormen verlegen und dann mit Billigofferten ihre Konkurrenten ausstechen. Nicht wenige werden auch diese Vorschriften ignorieren, denn der besondere Charme der Richtlinie besteht darin, den Ländern, in denen die Konzerne tätig sind, nicht nur die Anwendung der eigenen Gesetze, sondern auch jegliche Kontrolle zu untersagen. Auch diese obliegt nämlich ausschließlich dem so genannten Herkunftsland, das weder Interesse noch Kapazitäten haben dürfte, die Auslandsaktivitäten seiner Firmen zu überwachen.
Kleineren Unternehmen dürfte es hingegen schwer fallen, ihre offizielle Residenz beliebig nach Riga, Porto oder wo immer es sich auszahlen mag, zu verlagern. UEAPME befürchtet daher, dass die Anwendung des Herkunftslandprinzips eine Situation "unfairen Wettbewerbs" heraufbeschwören würde. Klar erkannt hat der Mittelstandsverband auch, dass eine "Kontrolle durch das Herkunftsland unrealistisch" ist.
Bedrohte Arbeitnehmerinnenrechte
Auch Arbeitnehmerinnenrechte sind massiv bedroht. Zwar sind die im Rahmen der Entsenderichtlinie geregelten Bereiche offiziell ausgenommen vom Herkunftslandprinzip; aber erstens umfasst dies beispielsweise nicht das europaweit sehr unterschiedlich geregelte Recht, sich gewerkschaftlich zu organisieren, und zweitens greift auch hier das Kontrollverbot. Es ist absehbar, dass eine Umsetzung der Richtlinie das Ende von Mindestlohnstandards oder der in manchen EU-Ländern gesetzlich vorgeschriebenen tariflichen Bezahlung mit sich bringen würde.
Regulierungsverbote
Dabei ist nicht allein das Herkunftslandprinzip problematisch. Ebenso heikel sind die vorgesehenen Regulierungsverbote, die künftig beispielsweise öffentlich Eingriffe wie das Verbot von Dumpingpreisen oder die Festsetzung von Höchstpreisen verbieten würden. Untersagt wäre es künftig auch, bestimmte soziale Dienste dem Non-Profit-Sektor zu reservieren.
Information und Widerstand
Die Richtlinie ist eine Kriegserklärung an alles, was an sozialen Rechten in der Europäischen Union die bisherige Deregulierung, Privatisierung und Liberalisierung überlebt hat. Doch allmählich formiert sich Widerstand. Gewerkschaften, Attac u.a. mobilisierten für den 19. März zur zweiten Großdemo in Brüssel gegen Bolkesteins
Machwerk.
Aktivitäten dieser Art sind dringend nötig. Einzig darauf zu vertrauen, dass das Liberalisierungsprojekt der EU-Kommission an möglicher Kritik aus dem Europäischen Parlament scheitert wäre ebenso unangemessen wie zu glauben, in Schröder, der wie Wirtschaftsminister Clement noch kürzlich die Dienstleistungsrichtlinie verteidigt hat, einen Verbündeten zu haben. Um den Generalangriff der Konzerne zurückzuweisen, bedarf es vor allem einer wirklich breiten Bewegung außerhalb der Parlamente, die stark genug wird, tatsächliche Änderungen zu erzwingen.
Kommissionsankündigung zu Bolkestein-Richtlinie nur heiße Luft
Es gibt keinen Grund zum Aufatmen. Die aktuellen Ankündigungen aus der EU-Kommission, die Bolkestein-Richtlinie überarbeiten zu wollen, sind offenbar durch nichts untersetzt. Sie sind nur ein erneuter Aufguss der bereits vor einigen Wochen verlauteten Gerüchte, die Kommission sei bei diversen der zentralen Problemfelder wie dem Herkunftslandprinzip zu Änderungen bereit. Die aktuellen Äußerungen unterscheiden sich hier in nichts: Erneut wird betont, dass erst einmal die erste Lesung im EU-Parlament Anfang Juni abgewartet wird. Eine Überarbeitung des Textes zum jetzigen Zeitpunkt wird von der Kommission nicht erwogen. Im Gegenteil: Die Kommission unterstreicht, dass sie nach wie vor hinter der Richtlinie steht.
Das Agieren der Kommission in der Frage der Bolkestein-Richtlinie ist ein Skandal. Ihre Verwirrungstaktik dient vor allem dem Ziel, den Widerstand gegen das neoliberale Machwerk mit Verweisen auf eine angebliche spätere Gesprächsbereitschaft in zentralen Fragen möglichst ruhig zu stellen. Dass es sich hierbei um eine tatsächliche Kompromissbereitschaft handelt, ist jedoch kaum zu erwarten. Anstatt weiter mit Nebelkerzen um sich zu werfen, sollte die Kommission endlich das tun, was angemessen wäre: Die vielfältige Kritik ernst nehmen und ihr Liberalisierungsprojekt endlich zurückziehen.
Der GLB ist der Ansicht, dass diese Richtlinie grundsätzlich nicht reformierbar ist. Der GLB tritt daher für die ersatzlose Rücknahme der Richtlinie ein und wird alle diesbezüglichen fortschrittlichen Initiativen aktiv unterstützen!
Resolution der 13. GLB-Bundeskonferenz vom 30. April 2005
Mitte Februar schien es Grund zum Aufatmen zu geben: In Brüssel kursierten Gerüchte, dass EU-Binnenmarktkommissar Charlie McCreevy den von seinem Vorgänger Frits Bolkestein im Januar 2004 vorgelegten Entwurf für eine EU-Dienstleistungsrichtlinie zurückziehen und gründlich überarbeiten werde. Die Freude währte jedoch nicht lang: Nach einem halben Tag stellte sich heraus, dass die Gerüchte nicht viel mehr- als heiße Luft waren. McCreevy hatte, nicht zuletzt aufgrund wachsenden Drucks aus Frankreich und Deutschland, nur verlauten lassen, dass er die Debatten im Europäischen Parlament intensiv verfolgen und die Kritik gegebenenfalls aufnehmen werde. Dies heißt nichts anderes, als dass das Legislativverfahren vorerst seinen normalen Gang weiter geht. Von vorzeitiger Überarbeitung des Vorschlags durch die Kommission - wie es angesichts des massiven Widerstands unterschiedlichster gesellschaftlicher Gruppen geboten wäre - keine Spur. Ungleiche Kritiker
In der Tat kommt es nicht häufig vor, dass derart unterschiedliche Interessengruppen in einer gemeinsamen Front der Ablehnung vereint sind: Vom Europäischen Gewerkschaftsbund bis zum Dachverband der europäischen Klein-und Mittelbetriebe UEAPME, von Wohlfahrtsverbänden bis Anwaltskammern, von der Bundesvereinigung Bauwirtschaft über die Handwerkskammer bis zum Rat der Gemeinden und Regionen Europas, von RWE Thames Water über den deutschen Bundesrat bis zum französischen Staatsrat, und seit neuestem sogar bis zum deutschen Bundeskanzler - die Liste der Kritiker ist lang und vereint Organisationen, die man im Normalfall selten gemeinsam für oder gegen eine Sache streiten sieht.
Befürworterlobbying
Eigentlich sollte ein derart befehdetes Projekt geringe Chancen auf Durchsetzung haben. Im Fall der Dienstleistungsrichtlinie wird jedoch mit härtesten Bandagen für die Umsetzung gekämpft. Denn zu ihren Befürwortern gehören die Lobbyorganisationen des europäischen Großkapitals: UNICE, die Union der Industrie- und Arbeitgeberverbände Europas, Eurochambers, der Dachverband der europäischen Industrie- und Handelskammern, AmCham, die Vertretung der in Europa tätigen US-Multis und natürlich der European Roundtable of Industrialists, die Industriellenlobby der Vorstandsvorsitzenden der 45 größten europäischen Konzerne. Sie alle betreiben massives Lobbying von Kommissions- und Parlamentsmitgliedern in Brüssel.
Herkunftslandprinzip
Das Interesse ist leicht verständlich. Zwar verweist die Richtlinie in ihrem Einleitungstext wiederholt auf kleine und mittlere Unternehmen als potentielle Nutznießer, in Wahrheit ist das Gesetzeswerk jedoch vollständig auf die Bedürfnisse multinational tätiger Dienstleistungskonzerne zugeschnitten. Dies vor allem aufgrund des geplanten "Herkunftslandprinzips". Während bisher europäische Konzerne den Gesetzen des Landes unterliegen, in dem sie tätig sind, sollen in Zukunft für sie EU-weit nur noch die Standards ihres Heimatlandes gelten - beziehungsweise des Landes, in dem der Briefkasten mit ihrer Hauptanschrift steht.
Gehinderte Kontrolle
Die Konsequenz lässt sich ausmalen. Große Bauunternehmen werden ihren Firmensitz in das EU-Land mit den geringsten Sicherheitsanforderungen und Arbeitsschutznormen verlegen und dann mit Billigofferten ihre Konkurrenten ausstechen. Nicht wenige werden auch diese Vorschriften ignorieren, denn der besondere Charme der Richtlinie besteht darin, den Ländern, in denen die Konzerne tätig sind, nicht nur die Anwendung der eigenen Gesetze, sondern auch jegliche Kontrolle zu untersagen. Auch diese obliegt nämlich ausschließlich dem so genannten Herkunftsland, das weder Interesse noch Kapazitäten haben dürfte, die Auslandsaktivitäten seiner Firmen zu überwachen.
Kleineren Unternehmen dürfte es hingegen schwer fallen, ihre offizielle Residenz beliebig nach Riga, Porto oder wo immer es sich auszahlen mag, zu verlagern. UEAPME befürchtet daher, dass die Anwendung des Herkunftslandprinzips eine Situation "unfairen Wettbewerbs" heraufbeschwören würde. Klar erkannt hat der Mittelstandsverband auch, dass eine "Kontrolle durch das Herkunftsland unrealistisch" ist.
Bedrohte Arbeitnehmerinnenrechte
Auch Arbeitnehmerinnenrechte sind massiv bedroht. Zwar sind die im Rahmen der Entsenderichtlinie geregelten Bereiche offiziell ausgenommen vom Herkunftslandprinzip; aber erstens umfasst dies beispielsweise nicht das europaweit sehr unterschiedlich geregelte Recht, sich gewerkschaftlich zu organisieren, und zweitens greift auch hier das Kontrollverbot. Es ist absehbar, dass eine Umsetzung der Richtlinie das Ende von Mindestlohnstandards oder der in manchen EU-Ländern gesetzlich vorgeschriebenen tariflichen Bezahlung mit sich bringen würde.
Regulierungsverbote
Dabei ist nicht allein das Herkunftslandprinzip problematisch. Ebenso heikel sind die vorgesehenen Regulierungsverbote, die künftig beispielsweise öffentlich Eingriffe wie das Verbot von Dumpingpreisen oder die Festsetzung von Höchstpreisen verbieten würden. Untersagt wäre es künftig auch, bestimmte soziale Dienste dem Non-Profit-Sektor zu reservieren.
Information und Widerstand
Die Richtlinie ist eine Kriegserklärung an alles, was an sozialen Rechten in der Europäischen Union die bisherige Deregulierung, Privatisierung und Liberalisierung überlebt hat. Doch allmählich formiert sich Widerstand. Gewerkschaften, Attac u.a. mobilisierten für den 19. März zur zweiten Großdemo in Brüssel gegen Bolkesteins
Machwerk.
Aktivitäten dieser Art sind dringend nötig. Einzig darauf zu vertrauen, dass das Liberalisierungsprojekt der EU-Kommission an möglicher Kritik aus dem Europäischen Parlament scheitert wäre ebenso unangemessen wie zu glauben, in Schröder, der wie Wirtschaftsminister Clement noch kürzlich die Dienstleistungsrichtlinie verteidigt hat, einen Verbündeten zu haben. Um den Generalangriff der Konzerne zurückzuweisen, bedarf es vor allem einer wirklich breiten Bewegung außerhalb der Parlamente, die stark genug wird, tatsächliche Änderungen zu erzwingen.
Kommissionsankündigung zu Bolkestein-Richtlinie nur heiße Luft
Es gibt keinen Grund zum Aufatmen. Die aktuellen Ankündigungen aus der EU-Kommission, die Bolkestein-Richtlinie überarbeiten zu wollen, sind offenbar durch nichts untersetzt. Sie sind nur ein erneuter Aufguss der bereits vor einigen Wochen verlauteten Gerüchte, die Kommission sei bei diversen der zentralen Problemfelder wie dem Herkunftslandprinzip zu Änderungen bereit. Die aktuellen Äußerungen unterscheiden sich hier in nichts: Erneut wird betont, dass erst einmal die erste Lesung im EU-Parlament Anfang Juni abgewartet wird. Eine Überarbeitung des Textes zum jetzigen Zeitpunkt wird von der Kommission nicht erwogen. Im Gegenteil: Die Kommission unterstreicht, dass sie nach wie vor hinter der Richtlinie steht.
Das Agieren der Kommission in der Frage der Bolkestein-Richtlinie ist ein Skandal. Ihre Verwirrungstaktik dient vor allem dem Ziel, den Widerstand gegen das neoliberale Machwerk mit Verweisen auf eine angebliche spätere Gesprächsbereitschaft in zentralen Fragen möglichst ruhig zu stellen. Dass es sich hierbei um eine tatsächliche Kompromissbereitschaft handelt, ist jedoch kaum zu erwarten. Anstatt weiter mit Nebelkerzen um sich zu werfen, sollte die Kommission endlich das tun, was angemessen wäre: Die vielfältige Kritik ernst nehmen und ihr Liberalisierungsprojekt endlich zurückziehen.
Der GLB ist der Ansicht, dass diese Richtlinie grundsätzlich nicht reformierbar ist. Der GLB tritt daher für die ersatzlose Rücknahme der Richtlinie ein und wird alle diesbezüglichen fortschrittlichen Initiativen aktiv unterstützen!
Resolution der 13. GLB-Bundeskonferenz vom 30. April 2005