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Kampagne „Gesund ohne Selbstbehalt“

  • Samstag, 21. Januar 2006 @ 12:50
Positionen Grundsätzliches
Laut der Weltgesundheitsorganisation WHO ist Gesundheit mehr als nur die Abwesenheit von Krankheit, sondern der Zustand des „vollkommenen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens“ oder kurz gesagt: Gesundheit ist Lebensqualität. Demnach darf Gesundheit also nicht eine Frage des Geldes sein. In seinen zehn Thesen zur Gesundheitspolitik zeigt Werner Vogt auf, dass viele Krankheiten weniger durch eine ungesunde Lebensweise, sondern durch soziale Ursachen wie Stress, Angst usw. entstehen. Die Hälfte der Krankheiten ist durch Faktoren der Arbeitswelt bedingt. Zumindest ein Viertel der Lohnabhängigen leidet unter Stress und innerer Erschöpfung. Auch der seit Jahren feststellbare Rückgang der Krankenstände zeugt vom wachsenden Druck auf die Versicherten, die sich oft gar nicht mehr trauen, trotz Erkrankung einen Krankenstand zu beanspruchen. Gesunde Arbeitsplätze und Arbeit, die nicht krank macht, sind mit immer weitergehender Flexibilisierung unvereinbar. Eine radikale Verkürzung der Arbeitszeit ist auch im Hinblick auf die Gesundheit der Menschen wesentlich.

Unter diesem Gesichtspunkt bedeutet die neoliberale „Gesundheitsreform" ähnlich wie bei der Pensionsreform die Privatisierung der Lebensrisiken. Generell geht es darum den „Gesundheitsmarkt" kapitalistischer Geschäftemacherei auszuliefern. Versicherungskonzerne, Pharmaindustrie, Technologiekonzerne und einige Ärzte mit profitablen Privatkliniken wittern hier sagenhafte Profitmöglichkeiten.

Hauptargument für einschneidende Reformen vor dem Hintergrund der EU-konformen Liberalisierung sind Finanzierungsprobleme, die auch von den Sozialversicherungsträgern, SPÖ und Grünen aufgegriffen wurden, ohne auf die wirklich entscheidenden Fragen einzugehen. Wohin diese Entwicklung führt zeigt das Negativbeispiel USA, wo bei den höchsten Kosten gemessen am BIP das für die Allgemeinheit schlechteste Gesundheitswesen existiert.

Gesundheitsreform
Der ‚Österreichische Strukturplan Gesundheit’ der Regierung als Fortsetzung der „Reform“ des Hauptverbandes zielt auf die Entmachtung der als Selbstverwaltungskörper geführten Sozialversicherungsträger. Derzeit werden aber zwei Drittel der Mittel des Gesundheitswesens durch die Beitragszahlerlnnen der Sozialversicherungsträger aufgebracht. Diese haben bislang eine verfassungsrechtlich garantierte große Autonomie in ihrem Verantwortungsbereich.

Im Zuge der Krankenhausreform soll der personalintensive stationäre Bereich zugunsten ambulanter Versorgung zurückgedrängt werden. Geplant sind die Schließung von Abteilungen und ganzen Krankenhäusern und das Abschieben von LangzeitpatientInnen in Pflegeheime. Die Folge sind Verschlechterungen für das Krankenpflegepersonal – Kranken- und Altenpflege sind durchwegs Schwerarbeit – und die regionale Versorgung aufgrund von Personalmangel, wachsendem Leistungsdruck sowie Lohn- und Sozialdumping als Folge von Ausgliederungen. Profiteure sind niedergelassene Ärztinnen und Privatkliniken, welche die von öffentlichen Krankenhäusern nicht mehr angebotenen Leistungen dann in Tageskliniken vor Ort anbieten können. Das Budget wird auf Kosten der Krankenkassen, die den niedergelassenen Bereich tragen, entlastet.

Ein Problem des Gesundheitswesens stellt auch die regional sehr unterschiedliche Versorgung dar. So gibt es im ländlichen Raum, aber auch in Stadtrandgebieten oft einen Mangel an FachärztInnen. Ein wichtiger Faktor wäre der Ausbau der Vorsorge, etwa durch regelmäßige Untersuchungen, wobei auch hier darauf geachtet werden muss, dass Früherkennung sinnvoll ist und nicht zu einem zusätzlichen Geschäft wird.

Von zunehmender Bedeutung ist bedingt durch die steigende Lebenserwartung der Pflegesektor. Die zunehmende Orientierung auf mobile Betreuung ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass die öffentliche Hand sich aus budgetären Zwängen aus der Finanzierung der Pflege zurückziehen und diese auf ehrenamtliche Arbeit von Vereinen, billige Zivildiener oder pflegende Angehörige abschieben will. Diese sollen die Versorgungsarbeit ohne professionelle Unterstützung leisten. Das als letzte große sozialpolitische Errungenschaft 1993 eingeführte Pflegegeld wurde bislang nur dreimal erhöht und bleibt weit hinter der Inflationsentwicklung und auch hinter den Pensionserhöhungen zurück. Diese Ausdünnung einerseits und die Debatte über eine Pflegeversicherung zielen auch darauf, den parteipolitisch orientierten Hilfsorganisationen wie Volkshilfe oder Hilfswerk große Teile des Pflegesektors zu übertragen.

Finanzierung
Die größten Kostenfaktoren im Gesundheitswesen sind Medikamente, Medizintechnik, Ärztehonorare, Pflegekosten und Spitalsfinanzierung, wobei derzeit ein Mix aus Versicherungsbeiträgen durch Dienstnehmer- und Dienstgeberbeiträge, öffentliche Finanzierung durch Bund, Länder und Gemeinden sowie private Finanzierung in Form von Selbstbehalten und Eigenvorsorge erfolgt. Mit Verweis auf die Budgetlage zieht sich die öffentliche Hand immer mehr aus ihrer Verantwortung für die Finanzierung zurück und fördert durch das Argument der angeblichen Unfinanzierbarkeit mit massiver medialer Unterstützung den Druck in Richtung private Eigenvorsorge.

Im Zuge der Kostendebatte erfolgte vor dem Hintergrund der EU-Budgetauflagen bereits die Ausgliederung der meisten Spitäler aus dem Budget, was erfahrungsgemäß die Vorstufe für Privatisierungen darstellt. Die Spitalsfinanzierung ist ein zentrales Problem. Der Bund hat seine Beiträge gedeckelt, während Länder und Gemeinden mit einer Kostenexplosion konfrontiert sind. Die Verantwortung des Staates für das Gesundheitswesen ist aber vor allem mit dessen Finanzierung verbunden.

Durch zu geringe Lohn- und Gehaltserhöhungen und steigende Arbeitslosigkeit bleiben die nach der Lohnsumme bemessenen Beiträge zurück, die Schere zwischen wachsender Produktivität einerseits und stagnierenden Einnahmen der Krankenkassen andererseits wird immer größer. Durch die wachsende Prekarisierung kommen zunehmend viele gar nicht mehr in das Gesundheitssystem, etwa wenn sie als geringfügig Beschäftigte nur mehr unfall-, nicht aber kranken- und pensionsversichert sind. Die Bemessung der Unternehmerbeiträge zur Krankenversicherung von der Lohnsumme auf die gesamte Wertschöpfung ist daher höchst dringlich.

Der Anteil der Gesundheitsausgaben am Bruttoinlandsprodukt hat sich in den letzten 20 Jahren kaum verändert. Die Einnahmensituation verschlechtert sich trotz wachsender Beschäftigtenzahlen aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit, von bereits annähernd einer Million atypisch beschäftigter und der rasanten Umwandlung bisheriger Vollarbeitsplätze in Teilzeitarbeit und geringfügige Beschäftigungsverhältnisse. Dazu kommen hohe Rückstände der Unternehmen bei der Abfuhr von Sozialversicherungsbeiträgen – also auch jener Gelder, die sie von den Lohnabhängigen eingehoben haben.

Eine Möglichkeit zur Verbesserung der Einnahmen ist die Anhebung der Höchstbeitragsgrundlage in der Sozialversicherung. Entscheidend ist letztlich aber, die auch vom Wiener Politologen Emmerich Talos ausführlich begründete Notwendigkeit, die Finanzierungsbasis des Sozialsystems dadurch zu verstärken, dass nicht nur die Lohnsumme, sondern auch Kapitalerträge, Gewinne und Einkünfte aus Miete oder Pacht herangezogen werden. Eine zukunftsweisende Finanzierung des Gesundheits- und Sozialsystems auf einer solidarischen Grundlage ist letztlich nur durch eine solche Wertschöpfungsabgabe möglich, die angesichts der Wirtschaftsleistung auch leistbar ist.

Eigenleistungen
Von Unternehmerseite wird eine Ausweitung der Eigenleistungen verlangt, etwa für Risikofreizeitsport, Übergewichtige und RaucherInnen. Dabei wird völlig darauf vergessen, dass z.B. RaucherInnen bereits höhere „Eigenleistungen“ in Form der erhöhten Tabaksteuer erbringen – diese jedoch nicht zweckgebunden für die Finanzierung des Gesundheitssystems verwendet wird. Die auf Veranlassung der Regierung erfolgte Information der Versicherten über die von ihnen verursachten Kosten zielt offensichtlich darauf, ein schlechtes Gewissen zu erzeugen und die Bereitschaft für mehr Eigenleistungen zu erhöhen. Bereits jetzt ist aber der Anteil von Selbstbehalten und Eigenleistungen sehr hoch. Damit wird eine Kostenabwälzung über Rezeptgebühr, Spitalsteuer, Krankenscheingebühr und Eigenleistungen bei bestimmten medizinischen Leistungen oder Inanspruchnahme von WahlärztInnen betrieben.

Jährlich steigende und neue Selbstbehalte wie der Spitalskostenbeitrag, die Krankenschein- und neuerdings Chipkartengebühr sowie die Medikamentengebühr unterwandern das System des solidarisch finanzierten Gesundheitswesens.

Kampagne
Der GLB hat daher eine Kampagne unter dem Titel „Gesund ohne Selbstbehalt“ gestartet. Mit dieser Kampagne will der GLB deutlich machen, dass bereits jetzt die Lohnabhängigen einen beträchtlichen Teil ihrer Gesundheit zusätzlich zu ihren Versicherungsbeiträgen selbst finanzieren müssen. Die Kampagne will verdeutlichen, dass Selbstbehalte unsozial sind, weil sie einkommensschwache Menschen besonders stark treffen und Gesundheit zunehmend zur Ware machen. So hat Österreich bereits die dritthöchsten Selbstbehalte in Europa! Gleichzeitig will der GLB mit dieser Kampagne grundsätzliche Aspekte und Alternativen zur Finanzierung des Gesundheitswesens in einer breiteren Öffentlichkeit darstellen.

Dazu fordert der GLB:
• Abschaffung aller Selbstbehalte
• Bemessung Unternehmerbeiträge nach gesamter Wertschöpfung
• Erhalt der solidarischen Finanzierung nach Umlagensystem
• Krankenkassen und Gesundheitswesen in Selbstverwaltung
• Streichung Mehrwertsteuer auf Medikamente
• Zweckbindung (zumindest anteilig) auch für Tabak-, Mineralöl-, KFZ- und Alkoholsteuer für die Finanzierung des Gesundheitssystems
• Pflichtversicherung in der Sozialversicherung für alle Arbeitenden
• Aufhebung der Höchstbeitragsgrundlage bei der Krankenversicherung
• Verbesserung der Arbeitsplätze – Schaffung von gesunden Arbeitsplätzen
• Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich = mehr Freizeit und Erholung

GLB-Bundesleitung 21. Jänner 2006